Ukraine-Krieg: Was hinter der Welle russischer Luftangriffe steckt
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Die technologische und strategische Dimension: Lancet- und Geran-2-Drohnen, Raketen aus Nordkorea. Worauf die Angriffe zielen, Reaktionen der ukrainischen Militärs. Eine Einschätzung.
Sie ist eine der erfolgreichsten Waffen der russischen Streitkräfte im Ukrainekrieg. Jetzt soll sie über 700 Abschüsse von militärischen Zielen in der Ukraine erreicht haben – die Rede ist von der Kamikazedrohne Lancet.
Noch Ende Juli berichtete Telepolis davon, dass die Drohne der russischen Herstellerfirma Zala über 400 Abschüsse erzielen konnte. In nur fünf Monaten konnte die russische Armee diese Zahl jetzt angeblich fast verdoppeln.
Die Information stammt aus einem Propaganda-Video des Lancet-Herstellers Zala, einem Tochterunternehmen des bekannten Kalaschnikow-Konzerns. In dem Video heißt es weiter, dass es seit Februar 2022 872 Einsätze der Lancet mit einer Trefferquote von 80 Prozent gegeben habe.
Die Angaben können nur schwer überprüft werden. Allerdings finden sich täglich mehrere Videos von Lancet-Schlägen gegen vornehmlich gepanzerte Fahrzeuge der ukrainischen Armee in den einschlägigen Telegramm-Kanälen, von daher kann die Zahl durchaus als realistisch angenommen werden.
Lancet mit neuen Features
Die Lancet wird kontinuierlich weiterentwickelt, genauso wie die andere, sehr erfolgreiche Kamikazedrohne der russischen Streitkräfte, die ursprünglich aus dem Iran stammende Geran-2. Die Geran-2 wurde jüngst durch russische Ingenieure verbessert, davon später mehr.
Die neueste Iteration der überaus erfolgreichen Lancet-Drohne hat eine gesteigerte Reichweite von mindestens 70 Kilometern. Zudem scheinen Zala-Ingenieure ein Gegenmittel gegen physische Drohnen-Abwehrmaßnahmen gefunden zu haben: An gepanzerten Fahrzeugen werden jetzt häufig Fangnetze, Metallkäfige und Reaktivpanzerungen angebracht.
Maßnahmen gegen Abwehrmaßnahmen
Ein zusätzlich in der Lancet verbautes Lidar erkennt die an dem Zielfahrzeug angebrachten physischen Abwehrmaßnahmen. Diese Fähigkeit der Lancet ist neu. Lidar ist eine dem Radar verwandte Laserscan-Methode. So kann die Drohne die Abwehrmaßnahme erkennen und beim Auftreffen auf den Metallkäfig oder das Fangnetz das verbaute Hohlladungsgeschoss zur Zündung bringen.
Der kegelförmige, konzentrierte Wirkstrahl der Hohlladung erreicht dann trotzdem das Zielfahrzeug. Gegen eine Reaktivpanzerung hat die neue Lancet zusätzlich eine Tandemhohlladung verbaut.
Eine Reaktivpanzerung ist eine Art Kachel, die auf der Hülle eines gepanzerten Fahrzeugs angebracht ist. Bei Aufprall eines Geschosses explodiert diese Kachel und schleudert dem Geschoss abgewinkelt eine Metallplatte entgegen, so ähnlich, als würde man mit einer Hand das Geschoss seitlich wegschlagen.
Auf diese Weise kann eine Reaktivpanzerung besonders gut Hohlladungen abwehren, die Bildung des Wirkstrahls wird so weitestgehend neutralisiert.
Dagegen wiederum ist eine Tandemhohlladung wirksam, bei der zwei Hohlladungen hintereinander in einem Gefechtskopf sitzen. Die erste, kleinere Hohlladung neutralisiert die Reaktivpanzerung, während die zweite, größere Ladung ungehindert die Fahrzeugpanzerung penetrieren kann.
Anpassungen an aktuelle Anforderungen
Dabei scheint es so zu sein, dass nicht jede dieser neuen Fähigkeiten als Standard in der Lancet verbaut ist, sondern vielmehr die jeweils ausgelieferte Version auf die Bedürfnisse einzelner Teilstreitkräfte zugeschnitten werden – die Lancet-Produktion scheint also nicht standardisiert zu sein, die Lancet kann auf Armeebedürfnisse angepasst werden.
Schon seit einiger Zeit scheint die Lancet außerdem in der Lage zu sein, aufgeschaltete Ziele selbständig zu bekämpfen, also den Ziel-Endanflug autonom zu bewerkstelligen. Über den Autonomiegrad liegen naturgemäß keine näheren Informationen vor.
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Izdeliye 55 – Neue Lancet mit geringerer Reichweite
Das oben angesprochene Hersteller-Propagandavideo teasert noch die Neuentwicklung einer Kurzstrecken-Lancet mit dem Namen Izdeliye 55. Viel ist von der neuen Kamikazedrohne nicht zu sehen.
Sie hat aber, im Gegensatz zur großen Lancet, vier Motoren verbaut, die vorne an den vier Flügeln angebracht sind. Nähere Informationen sind noch nicht bekannt, außer, dass die neue Version eine geringere Reichweite haben wird.
Geran-2 Entwicklung
Innovationen gibt es auch bei der ebenfalls massenhaft und sehr erfolgreich eingesetzte Geran-2 Drohne. Noch in der Neujahrsnacht wurde die Ukraine mit der Rekordzahl von 90 Shahed-136/Geran-2 Drohnen angegriffen. Dabei wurde auch das Roman-Schuchewytsch-Museum getroffen, dass dem ukrainischen Faschisten gewidmet ist.
Zählt man die Neujahrsnacht mit, dann konnte nach ukrainischen Angaben Russland im Dezember mindestens 600 Geran-2 gegen das Land zum Einsatz bringen – ein neuer Rekord. Außer an zwei Tagen gab es täglich Geran-2 Einsätze.
Noch im November berichtete Telepolis darüber, dass Russland wahrscheinlich 100 Einheiten der Kamikaze-Drohne im neuen Werk in Alabuga herstellen kann.
Diese Information erscheint jetzt als veraltet. Vielleicht ist es Russland gelungen, die Produktion vorzeitig hochzufahren. Eine andere Möglichkeit, wie die hohen Einsatzzahlen der Geran-2 zustande kommen könnten, ist, dass der Iran weiterhin große Stückzahlen der Drohen liefern kann. Es gibt aber Spekulationen darüber, ob der Iran angesichts der Spannungen im Roten Meer seine Hilfslieferungen an Russland gänzlich einstellt.
Die neueste Version der Geran-2 besteht jetzt aus einem neuen, schwarzen Kompositmaterial. Das macht die Drohne leichter und erhöht zusätzlich ihre Reichweite. Außerdem ist von einer reduzierten Radarsignatur der neuen Geran-Variante auszugehen. Ältere Modelle bestanden ebenfalls aus Kompositmaterial, hier kam aber noch zusätzlich eine Aluminium-Tragstruktur zur Anwendung.
Zudem gibt es Gerüchte, aber keine Beweise, dass die neue Shahed 238 mit Jet-Antrieb über der Ukraine zum Einsatz gekommen ist.
Ukraine versucht sich in Drohnen-Kopien
Zu der Geran-2 gibt es kein westliches Analogon. Zur Lancet gibt es verschiedene, westliche Alternativen, von denen allerdings nur die Switchblade-Drohne in der Ukraine gesichtet wurde.
Diese hat wohl aufgrund der überlegenen, russischen elektronischen Kriegsführung bei Kampfeinsätzen in der Ukraine bisher nicht die erhoffte Wirkung erzielt. Deshalb wird sie kaum noch eingesetzt.
Stattdessen gibt es den Versuch der Ukraine, selber eine Lancet-Kopie herzustellen. Die Drohne hat noch keinen Namen, soll aber maximal 12.000 Euro kosten.
Angeblich wurde sie, obwohl sie optisch keine Merkmale des Vorbildes aufweist, nach einer eingehenden Analyse der russischen Lancet designt. Sie erreicht mit maximal 50 Kilometern Reichweite nicht die Spezifikationen des Originals und scheint zudem bedeutend leichter zu sein.
Ebenfalls bemüht sich die Ukraine, selber eine Geran-2 Kopie herzustellen, erst kürzlich wurde die Übergabe von neu entwickelten Scythe-Drohnen an die Streitkräfte verkündete, Telepolis berichtete.
Jetzt gibt es mit der Beaver einen weiteren Versuch einer Geran-Kopie. Sie soll eine Reichweite von 1.000 Kilometern haben und einen Gefechtskopf von 20 Kilogramm zum Ziel bringen können. Damit entspricht sie allerdings eher der Shahed-131, einer kleineren Variante der Shahed-136. Sie soll seit Juli bereits im Einsatz sein. Produziert wird sie von UkrJet.
Obwohl immer wieder ukrainische Drohnenangriffe auf russische Gebiete verzeichnet werden, scheint die russische Flugabwehr, die deutlich besser ausgebaut und weiterentwickelt ist als die Nato-Flugabwehr, vergleichsweise gut mit den ukrainischen Neuentwicklungen zurechtzukommen, zu einer strategischen Wirkung durch ukrainische Drohnenangriffe kommt es bisher nicht.