Ukraine-Krieg: Wendepunkt an der Festung Wuhledar

Panzer, der im Kampf zerstört wurde

(Symbol-)Bild: Artem Ilienko / Shutterstock.com

Strategisch wichtige Stadt im Donbass fällt an Russland. Für die Ukraine ein herber Rückschlag. Was folgt nun?

Seit Oktober 2022 war die Kleinstadt Wuhledar im Westen der ukrainischen Oblast Donezk Schauplatz heftiger Kämpfe zwischen russischen und ukrainischen Streitkräften.

Jetzt ist die Stadt gefallen, die russische Armee konnte die schwer umkämpfte Stadt nach Monaten einnehmen. Das auf einer Anhöhe gelegene Wuhledar war einer der wichtigsten Eckpfeiler des ukrainischen Verteidigungssystems im Donbass.

Vorgeschichte

Die ersten Gefechte begannen mit russischen Vorstößen auf das nahegelegene Pawliwka. Ende Oktober 2022 gelang es russischen Einheiten, in die südöstlichen Vororte des Dorfes einzudringen. Die Kämpfe forderten auf beiden Seiten hohe Verluste. Allein die russische 155. Marineinfanteriebrigade soll in dieser Phase bis zu 300 Mann verloren haben.

Der Hauptangriff auf Wuhledar selbst begann in der Nacht zum 24. Januar 2023. Russische Truppen rückten gegen die erste ukrainische Verteidigungslinie vor. In den folgenden Tagen kam es zu intensiven Gefechten mit schweren Verlusten auf beiden Seiten.

Die ukrainischen Verteidiger, darunter die 72. mechanisierte Brigade, leisteten erbitterten Widerstand. Sie nutzten die offene Landschaft um Wuhledar geschickt aus, um russische Panzerverbände in Hinterhalte zu locken und mit Artillerie und Panzerabwehrwaffen zu bekämpfen. Anfang Februar wurden bei einem einzigen russischen Angriff 30 Panzer und andere schwere Waffen zerstört.

Trotz massiver Angriffe gelang es den russischen Streitkräften nicht, entscheidende Geländegewinne zu erzielen.

Der Fall

In den folgenden Monaten kam es immer wieder zu kleineren Gefechten und Artillerieduellen um Wuhledar, ohne dass sich die Frontlinie wesentlich verschob.

Ende August 2024 starteten russische Truppen dann eine neue Großoffensive auf Wuhledar. Diesmal gelang es ihnen, die Verteidiger schrittweise einzukreisen. Sie eroberten zunächst die umliegenden Dörfer Pretschistiwka und Wodiane, bevor sie in die Stadt selbst eindrangen. Jetzt fiel Wuhledar schließlich in russische Hand.

Der zunächst für die russische Armee nicht glückliche Verlauf der Schlacht hatte auch personelle Konsequenzen: Der für die erste große Offensive verantwortliche russische General Rustam Muradow wurde im April 2023 seines Postens enthoben. Das britische Verteidigungsministerium bezeichnete dies als "ranghöchste russische militärische Entlassung des Jahres 2023".

Auf ukrainischer Seite wurde erst vor wenigen Tagen die Entlassung des Kommandeurs der Wuhledar verteidigenden 72sten Mechanisierten Brigade in der Kyiv Independent bekannt gegeben. Im gleichen Artikel wird Federico Borsari, Mitarbeiter des Zentrums für Europäische Politikanalyse (CEPA), mit folgender Einschätzung der Ereignisse zitiert:

Der Verlust von Wuhledar wäre nicht nur ein moralischer Schlag für die Ukraine, da diese Stadt seit 2022 zahlreichen Angriffen standgehalten hat, sondern auch eine sehr ernste Entwicklung, die möglicherweise die Sicherheit des gesamten südwestlichen Teils des Gebiets Donezk, der noch nicht besetzt ist, bedrohen könnte, ebenso wie die Bedrohung der südlichen Flanke von Pokrowsk.

Federico Borsari

Es ist davon auszugehen, dass die 72ste Mechanisierte Brigade, die Wuhledar verteidigte, schwere Verluste erlitt, weil der Rückzugsbefehl nicht oder zu spät erteilt wurde.

Das Dilemma der ukrainischen Verteidigung

Alle befestigten Straßen waren bereits seit Tagen unter vollständiger russischer Kontrolle, die Stadt operativ eingekesselt, die ukrainischen Kräfte konnten sich nur noch im Schutz einer dichten Baumreihe zurückziehen oder über offenes Feld fliehen – die Nutzung beider Routen, nur wenige hundert Meter von den russischen Truppen entfernt, dürfte mit hohen Verlusten verbunden gewesen sein.

Die ukrainische Führung stand vor einem Dilemma: Der Verlust der Stadt bedeutet, eine seit 2014 gut ausgebaute Festung zu verlieren, ein starres Festhalten an den Verteidigungsanlagen hingegen den Verlust erfahrener Kämpfer einer traditionsreichen Elitebrigade.

Allerdings war spätestens mit der operativen Einkesselung eine effektive Verteidigung nicht mehr möglich, der Zeitpunkt, die wertvollen Kämpfer aus der Stadt zu evakuieren, wurde verpasst.

Diese Entscheidung reiht sich ein in eine Kette von ideologisch motivierten Haltebefehlen aufseiten der ukrainischen Führung, die wertvolle und schwer zu ersetzende Militärressourcen leichtfertig verspielt.

Die Eroberung Wuhledars markiert den wichtigsten militärischen Erfolg auf russischer Seite neben der Eroberung Awdijiwkas im Februar dieses Jahres.

Die militärische Lage nach dem Fall

Die Folgen sind bis jetzt nicht absehbar, können aber aus der Perspektive der Ukraine als gravierend bezeichnet werden. Denn mit Wuhledar ist nicht nur eine gut ausgebaute Festung gefallen, sondern hinter der ehemaligen Bergarbeiterstadt ist nur noch eine einzige nennenswerte Verteidigungsstellung vorhanden, die sich grob 30 Kilometer hinter Wuhledar befindet. Dazwischen gibt es einzelne feste Punkte, die der überlegenen russischen Armee keinen nennenswerten Widerstand leisten dürften.

Der Fall von Wuhledar steht in direktem Zusammenhang mit der ukrainischen Offensive bei Kursk. Diese Offensive, die als gescheitert bezeichnet werden kann, führte dazu, dass die ukrainische Führung die gut ausgebauten Verteidigungsstellungen im Raum Toresk, Pokrowsk und Wuhledar von essenziellen Verteidigungstruppen entblößte und sie in eine strategisch irrelevante PR-Offensive ohne militärische Bedeutung warf.

Die Kursk-Offensive resultiert in bedeutenden Verlusten an Personal und Material für die ukrainischen Streitkräfte. Diese Operation hat erhebliche Auswirkungen auf die ukrainische Armee. Die langfristigen Folgen für den weiteren Kriegsverlauf zeichnen sich ab, sind aber in ihrem vollen Umfang noch nicht abschließend zu beurteilen. Die Offensive könnte als einer der Wendepunkte im bisherigen Konfliktverlauf betrachtet werden, der die militärische Lage der Ukraine nachhaltig beeinflusst.

Die ukrainische Pravda versucht sich in einer Analyse der bröckelnden, ukrainischen Front. Erstens verfüge Russland über eine deutliche Überlegenheit an Soldaten, Artillerie und gelenkten Gleitbomben, was die Verteidiger unter massiven Druck setze und ihnen kaum Möglichkeiten zur effektiven Gegenwehr lasse.

Zweitens würden die ukrainischen Einheiten mit akutem Personalmangel kämpfen, wobei es besonders an erfahrenen und gut ausgebildeten Soldaten fehle. Viele Brigaden operierten deutlich unterbesetzt, während Nachschub oft unzureichend vorbereitet oder überaltert sei, was die Kampfkraft erheblich schwäche.

Drittens erschwerten mangelhafte Befestigungsanlagen die Verteidigung erheblich. Zahlreiche vorbereitete Stellungen erwiesen sich als ungeeignet, da sie in offenen Feldern lägen, leicht vom Feind einsehbar seien und logistisch schwer zu versorgen seien. Diese Kombination aus materieller Unterlegenheit, Personalnot und taktischen Schwächen in der Verteidigungsinfrastruktur führe zu einer zunehmenden Erosion der ukrainischen Verteidigungsfähigkeit in diesen kritischen Frontabschnitten.

Vor allem der letzte Punkt, nämlich die in ihrer Ausführung ungeeigneten neueren Befestigungsanlagen, lässt die Entscheidung, wertvolle ältere, gut ausgebaute Verteidigungsanlagen wie die von Wuhledar für eine nur als irrelevant einzustufende Kursk-Offensive zu opfern, als äußerst fragwürdig erscheinen.

Die Entscheidung der russischen Führung, nicht erst die Schlammperiode abzuwarten, sondern bereits jetzt Wuhledar zu erobern, könnte zumindest in diesem Bereich für einen erheblichen Verlust der ukrainischen Verteidigungsfähigkeit gesprochen haben.

Da Wuhledar von allen befestigten Nachschublinien abgeschnitten war, hätte die Stadt mit Beginn der Schlammperiode keinen Nachschub mehr erhalten können, was die Verteidigungsfähigkeit weiter eingeschränkt hätte.

Die Folgen

Mit dem Fall von Wuhledar wird sich der russische Vormarsch aller Voraussicht nach beschleunigen. Dies wird sich vermutlich in den kommenden Monaten an den russischen Eroberungen in Quadratkilometern ablesen lassen.

Der militärische Niedergang der Ukraine steht jetzt aller Wahrscheinlichkeit vor der Erreichung eines kritischen Punktes. Besonders muss hier der Faktor der in weiten Teilen zerstörten Energieversorgung der Ukraine einbezogen werden, der in der jetzt in Kürze einsetzenden Kälteperiode zu erheblichen Auswirkungen an der Heimatfront führen kann.

Zusätzlich sind nach übereinstimmenden Informationen von der New York Times, CNN und CNBC die Arsenale der Nato an einem kritischen Schwellenwert angelangt, weitere große Waffenpakete an die Ukraine sind daher fraglich.

Die Ukraine steht, um es auf den Punkt zu bringen, kurz vor einer umfassenden militärischen Niederlage. Man fragt sich, ob nur noch eine Unterstützung der Ukraine mit Nato-Truppen eine Niederlage der Ukraine jetzt noch aufschieben könnte? Das würde allerdings einen großen europäischen Krieg bedeuten und weitreichende Folgen für die globale Sicherheitslage haben und das Risiko einer Eskalation mit unabsehbaren Konsequenzen bergen.