Ukraine-Krieg entzweit die EU: Ungarn möglicherweise Stimmrecht entzogen
Die EU-Staaten streiten über den Ukrainekrieg. Ungarn setzt auf Frieden und blockiert Militärhilfe. Dem Land droht der Entzug des Stimmrechts. Droht ein Zerfall der EU?
Der Krieg in der Ukraine verändert nicht nur das kriegsgeschüttelte Land, sondern auch die Europäische Union. Hatten bisher alle Länder gleiches und gleichberechtigtes Stimmrecht im Staatenbund, so wird dies zunehmend ausgehebelt, wie das Beispiel Ungarn zeigt.
EU-Staaten einigen sich auf Militärhilfe für die Ukraine
Die EU-Staaten hatten sich darauf geeinigt, der Ukraine 1,4 Milliarden Euro Militärhilfe zu geben. Das Geld stammt aus den Zinseinnahmen der eingefrorenen Guthaben der russischen Zentralbank. Ein entsprechender Plan wurde am Montag bei einem Treffen der EU-Außenminister in Luxemburg verabschiedet.
Weil man in Brüssel aber ein Veto aus Budapest befürchtet, will man der ungarischen Regierung kurzerhand das Stimmrecht entziehen. Federführend dabei ist der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell, auf den der Vorschlag laut Bloomberg zurückgehen soll.
Borrell begründete den Schritt mit der Stimmenthaltung Ungarns bei der umstrittenen EU-Entscheidung, Zinsen auf russische Guthaben an die Ukraine zu überweisen. "Da Ungarn nicht an der Entscheidung beteiligt war, sollte es auch nicht an der Umsetzung beteiligt sein", sagte Borrell.
Ungarns Außenminister: Borrells Plan bricht europäische Regeln
In Budapest stieß Borrells Vorschlag, Ungarn zu übergehen, auf wenig Gegenliebe. Damit würden europäische Regeln gebrochen, erklärte der ungarische Außenminister Péter Szijjártó in den sozialen Netzwerken. Borrells Plan müssen noch die EU-Staaten zustimmen.
Ungarn hat es in diesen Tagen nicht leicht in der europäischen Familie. Während die Kriegshysterie um sich greift, setzt die Regierung von Viktor Orbán auf eine Friedenslösung durch Verhandlungen.
Besonders übel nimmt man ihr, dass sie den Krieg nicht mit immer mehr am Leben erhalten will. Zuletzt hatte Ungarn die Auszahlung von rund 6,5 Milliarden Euro Militärhilfe an Kiew blockiert. Dies geschah, nachdem Orban im Februar sein Veto gegen ein Finanzpaket in Höhe von 50 Milliarden Euro aufgehoben hatte.
Kriegstaumel erfasst grüne Parteien und Sozialdemokraten in Europa
Der Kriegstaumel hat nicht nur die grünen Parteien in Europa erfasst, inzwischen trommeln auch Sozialdemokraten aktiv für eine härtere Gangart gegenüber Russland. So drängt der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius darauf, die Bundesrepublik müsse ab 2029 kriegsbereit sein.
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Ex-Außenminister Sigmar Gabriel will die Bundeswehr unter Umständen sogar in den Krieg schicken. In einem Interview mit dem stern sagte er: "Aber wir werden Russland noch einmal so niederringen müssen, wie wir das im Kalten Krieg mit der Sowjetunion gemacht haben". Und sollte sich abzeichnen, dass die Ukraine diesen Krieg verliert, möchte er einen Einsatz der Bundeswehr nicht mehr ausschließen.
Progressive Governance Summit 2024: Friedenspolitik durch Aufrüstung
Der Krieg in der Ukraine war auch Thema beim Progressive Governance Summit 2024 in der baden-württembergischen Landesvertretung in Berlin. Hochrangige Vertreter sozialdemokratischer, grüner, liberaler und linker europäischer Parteien diskutierten dort laut Berliner Zeitung über die aktuellen geopolitischen Herausforderungen Europas.
Friedenspolitik bedeutete demnach für die Anwesenden hauptsächlich Aufrüstung und den Umbau der Gesellschaft in eine Kriegswirtschaft. Die finnische Sozialdemokratin Tytti Tuppurainen brachte dann das scheinbare Kernanliegen der europäischen Sozialdemokratie auf den Punkt: Bevor man Russland als guten Nachbarn betrachten könne, müsse es "auf dem Schlachtfeld in der Ukraine" besiegt werden.
Orban betont: Krieg ist Konflikt zwischen "zwei slawischen Ländern"
Während das grüne, sozialdemokratische, liberale und linke Europa Russland als Gefahr sieht, betonte Orban, dass der Krieg ein Konflikt zwischen "zwei slawischen Ländern" sei und Waffenlieferungen den Krieg nur verlängern würden. Für Europa und den Westen gehe dagegen keine ernsthafte Gefahr aus.
Dafür wurde Orban mangelnde Loyalität gegenüber Europa vorgeworfen. Um seine Zustimmung zu erhalten, wurden EU-Zahlungen an Ungarn in Höhe von 30 Milliarden Euro ausgesetzt und Bedenken hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit geäußert. Auch nachdem Orban sein Veto zurückgezogen hat, bleiben zwei Drittel der EU-Gelder blockiert.
Diese Konflikte gehen nicht spurlos an der Europäischen Union vorbei. Und es anzunehmen, dass sie noch größer werden könnten, denn ab Juli übernimmt Ungarn die EU-Ratspräsidentschaft. Letztlich könnte das zu einer weiteren Polarisation in den EU-Staaten und einem stärkeren Rechtstrend führen.