Ukraine-Krise: Vorbereitung auf den Ernstfall

Seite 6: Risiko: Atomwaffen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Ein unkalkulierbares Problem stellen heutzutage die Massenvernichtungswaffen dar. So sind die russischen Streitkräfte an der Grenze zur NATO mit taktischen Atomwaffen ausgerüstet. Spätestens seit Dezember 2013 ist an der Grenze zum Baltikum eine Artilleriebrigade mit mobilen Boden-Boden-Raketen vom Typ 9K720 Iskander (NATO-Bezeichnung SS-26 Stone) stationiert. Die Reichweite der Iskander beträgt maximal 415 km bei einer Treffgenauigkeit von 10 Metern. Die Nutzlast liegt bei 800 kg.

Neben konventionellen Gefechtsköpfen aus hochexplosivem Sprengstoff stehen auch drei verschiedene Atomsprengkopftypen zur Auswahl. Der AA-60 hat eine variable Sprengkraft von 10 bis 50 KT, der AA-86 5-50 KT und der AA-92 100-200 KT. Eine atomare Raketenbrigade hat - nach unterschiedlichen Angaben - 12 bis 27 Werferfahrzeuge vom Typ 9P71, die jeweils zwei Raketen transportieren. Dazu erklärte der Pressesprecher des Moskauer Verteidigungsministeriums Generalmajor Igor Konaschenkow am 16. Dezember 2013: "Raketen- und Artillerie-Einheiten des westlichen Militärbezirks sind mit taktischen Iskander-Raketensysteme bestückt." Überinterpretationen, die russischen Streitkräfte hätten auch in der Enklave Kaliningrad diese Atomraketen stationiert, wurden am 19. Dezember 2013 durch Präsident Putin persönlich dementiert.

Vermutlich ist die zeitliche Koinzidenz der Stationierung der atomaren Iskander-Raketen mit dem damaligen Beginn der Ukraine-Krise nur Zufall und keine flankierende Maßnahme zur (geplanten) Annexion der Krim. Eine Sprecherin des US-Außenministeriums erklärte damals: "Wir haben Moskau aufgefordert, keine Schritte zu unternehmen, um die Region zu destabilisieren." Bereits während des Georgien-Krieges hatten die russischen Streitkräfte drei konventionelle Iskander-Raketen eingesetzt.

Zwar ist es in der Praxis nicht wahrscheinlich, aber theoretisch auch nicht völlig ausgeschlossen, dass es - wie zu Zeiten des Kalten Krieges - bis zu einer nuklearen Entfaltung des Konfliktes kommt. So warnte der russische Militärexperte Pavel Felgenhauer: "A clash with the forces of other states is improbable. But the probability of a global nuclear war is not equal to zero. Everything is possible. These decisions … will be taken by the military in the near future."

Schon im Mai 2012 drohte der damalige Generalstabschef Armeegeneral Nikolai Makarow angesichts der drohenden Stationierung eines amerikanischen Raketenabwehrsystems in Osteuropa mit einem atomaren Präventivschlag:

Eine Stationierung neuer Angriffswaffen im Süden und im Nordwesten Russlands für die Bekämpfung von Teilen des Raketenabwehrsystems, einschließlich einer Stationierung von Iskander-Raketen im Gebiet Kaliningrad an der Ostsee, stellt eine der möglichen Varianten der Zerstörung der Raketenschild-Infrastruktur in Europa dar. (…) Angesichts des destabilisierenden Charakters des Raketenabwehrsystems, der konkret in der Schaffung der Illusion besteht, ein unbestrafter entwaffnender Schlag sei möglich, wird der Beschluss zu einer Anwendung der bestehenden Waffen in der Periode einer Zuspitzung der Lage gefasst.

Längerfristig plant die russische Regierung die Stationierung von Atomwaffen auf "ihrer" Krim. Es handelt sich um die Dislozierung der Mittelstreckenbomber Tu-22M3 (Nato-Code: Backfire-C) ab dem Jahr 2016. Bis dahin sollen die Fliegerhorste Gwardejskoje und Katscha entsprechend modernisiert werden. Die Tu-22M3 ist mit sechs Luft-Boden-Raketen vom Typ Ch-15 (NATO-Bezeichnung: AS-15 Kickback) ausgerüstet. Eine der vier Ch-15-Varianten im Dienst der russischen Streitkräfte dient der Schiffsbekämpfung, eine andere Version trägt einen Nukleargefechtskopf mit einer Sprengkraft von 350 KT.

Auch mehrere russische Analytiker haben sich für die Stationierung von taktischen Atomwaffen auf der Halbinsel Krim ausgesprochen, so der bekannte Hardliner Generaloberst a. D. Leonid Iwaschow und Wladimir Jewssejew, Direktor des Zentrums für gesellschaftspolitische Forschungen. Iwaschow erklärte: "Das wäre natürlich die äußerste Maßnahme, aber unsere westlichen Gegner sollten das nicht vergessen. Denn die Krim ist jetzt russisches Territorium, und auf unserem Territorium können wir jegliche Waffen aufstellen, solange das nicht gegen unsere internationalen Verträge verstößt."