Ukraine-Krise: Vorbereitung auf den Ernstfall

Seite 7: Vorwärtsdislokation

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Die russische Annexion der Krim führte zu einer Verschärfung der Spannungen zwischen der NATO und Russland und innerhalb der NATO selbst: Während die klassischen NATO-Mitglieder in Westeuropa, die die sowjetische Bedrohung immer beschworen haben, aber nie Opfer einer sowjetisch-russischen Aggression wurden, relativ gelassen reagieren, sind die neuen osteuropäischen NATO-Mitglieder, die einst "Bruderländer" der Sowjetunion in der Warschauer Vertragsorganisation (WVO) waren, aber dennoch zum Ziel blutiger sowjetischer Militäraktionen wurden (DDR, Polen, CSSR, Ungarn), höchst alarmiert. Sie sehen in der Annexion einen ersten russischen Verstoß gegen die in Jalta 1945 vereinbarte europäische Nachkriegsordnung und deren Unantastbarkeit der Grenzen.

"Viele Alliierte bewerten das russische Vorgehen als historische Zäsur und Zeitenwende für die euro-atlantische Sicherheitsarchitektur. (…) Im NATO-Rat treffen die unterschiedlichen Sichtweisen (..) zum Teil sehr kontrovers aufeinander. (…) Das Nachdenken über die strategischen Auswirkungen für die Allianz hat gerade erst begonnen", kabelte der deutsche NATO-Botschafter Martin Erdmann nach Berlin.

Bereits mit der Annahme der polnischen Ursprungsversion von GUARDIAN EAGLE im Jahr 2009 verstärkten die USA ihre Militärpräsenz in Polen: Naval Special Forces wurden in den polnischen Hafenstädten Gdansk und Gdynia disloziert, Jagdflugzeuge F-16 Fighting Falcon und Transportmaschinen C-130 Hercules verlegten auf polnische Fliegerhorste und in Morag wurden Flugabwehrraketen Patriot auf Rotationsbasis zu Trainingszwecken stationiert. Seit dem NATO-Beitritt der baltischen Staaten 2004 stellt die NATO zudem die Jagdfliegerkräfte der regionalen Luftverteidigung im Rahmen der Operation "Air Policing Baltikum".

Nach der russischen Annexion der Krim drängen die osteuropäischen NATO-Staaten darauf, dass die Allianz ihre Truppenpräsenz in Osteuropa als Teil ihrer "Crisis Response Operation" (CRO) massiv erhöht. Der russische Botschafter bei der NATO, Alexander Gruschko, berichtete dazu: "Wir wissen, dass die Militärs der Allianz in der Tat den Auftrag bekommen haben, zum Nato-Gipfel im September in Wales Verstärkungspläne an den Ostgrenzen vorzulegen. (…) Es handelt sich um eine Verstärkung des Militärpotentials in einer Region, die an unser Gebiet Kaliningrad angrenzt."

Gerade die polnische Regierung will nun den Teufel mit dem Beelzebub austreiben und sich die Russen vom Hals halten, indem sie die US-Regierung bittet, möglichst viele alliierte Kampfverbände auf polnischen Territorium zu stationieren. Die Rede ist von mindestens zwei Panzergrenadierbrigaden. Möglicherweise müssten diese beiden Brigaden dann aus der Bundesrepublik abgezogen werden.

Auch die Bundeswehr verlegt Truppenteile in den Osten: Das Bundesheer will sich im Juli 2014 an dem Manöver RAPID TRIDENT im Raum Lwiw (Ukraine) beteiligen. Bereits am 10. März 2014 beschloss der Nordatlantikrat der NATO einen Aufklärungseinsatz mit AWACS-Flugzeugen. Da die Ukraine kein NATO-Mitglied ist, werden die Maschinen offiziell über Polen und Rumänien eingesetzt. An Bord befinden sich auch Soldaten der Bundesluftwaffe. Außerdem plant die Bundesluftwaffe eine Beteilung am Air Policing der NATO im Baltikum erstmals durch die Verlegung von sechs Eurofightern. Sie sollen entweder in Ämari (Estland) oder in Šiauliai (Litauen) stationiert werden. Die Bundesmarine will einen Minensucher und eventuell ein Führungsschiff ins Baltikum verlegen.

Während sich die Bundeswehr auf ihren Auslandseinsatz Ost vorbereitet, stellt sich die Frage, was macht eigentlich die deutsche Friedensbewegung. Die Anhänger der Linkspartei unter Führung von Gregor Gysi äußerte ihre Sympathien für das russische Vorgehen auf der Krim. Zunächst verurteilte man - im Prinzip - den Verstoß gegen das Völkerrecht. Schließlich wollte "Die Linke" keinen Präzedenzfall dafür schaffen, dass irgendwelche deutschen Neonazis nun eine Annexion der russischen Enklave Kaliningrad, dem alten Ostpreußen, an das wiedervereinigte Deutschland forderten. Allerdings hieß es in "linken" Argumentationshilfen, man solle die Hauptschuld der NATO und ihrer aggressiven Politik der letzten fünfzehn Jahre zuschreiben, wonach die "westlichen" Völkerrechtsverstöße im Kosovo, im Irak und in Libyen etc. den akuten Völkerrechtsbruch Russlands mindestens aufwiegen würden. Der russische Täter soll so zum Opfer umstilisiert werden.

Hatte man in den letzten Jahren gegen die amerikanische "Koalition der Willigen" noch eine Stärkung der UNO und der OSZE wiederholt gefordert, so nahm man nun die Bedrohung von deren Inspektionsteams durch russische Paramilitärs auf der Halbinsel Krim gelassen hin. Nachdem so allerlei friedenspolitisches Porzellan zerschlagen worden war, mokierte sich Katrin Göring-Eckhardt von den einst antimilitaristischen Grünen zurecht darüber, auch die "Linke" würde nun Auslandseinsätze favorisieren.

Der kirchlich-pazifistische und bürgerlich-demokratische Flügel der Friedensbewegung war durch die Ereignisse auf der Krim und die Geschwindigkeit, mit der der "Kalte Frieden" seit 1989/90 nun einer neuen, aber dennoch antiquierten West-Ost-Konfrontation wich, konsterniert. Nur allmählich kommt man dazu, politische Position zu beziehen. Dazu bietet der kommende Ostermarsch eine neue Möglichkeit.

Gerhard Piper ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit.