Ulrich Chaussy über das Oktoberfest-Attentat und die NSU-Mordserie

Seite 2: "Man hat die Leute in diesen Strukturen unbehelligt agieren lassen"

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Im Zuge der Enthüllungen über den Nationalsozialistischen Untergrund hat sich herausgestellt, dass der Verfassungsschutz Neonazis vor rechtsstaatlicher Verfolgung bewahrt hat. Kann man sagen, dass sich die Justiz bei ihren Ermittlungen immer dann besonders schwer tut, wenn es um rechtsextreme Terroristen geht und der Verfassungsschutz dabei involviert ist?

Ulrich Chaussy: Für die bisherige Geschichte der Bundesrepublik kann man das sagen, es kommt aber jetzt darauf an, dass nach dem Bekanntwerden der NSU-Morde ein Lernprozess einsetzt und die Beschlüsse und Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses umgesetzt werden. Wenn dies bis ins letzte Kommissariat und Staatsanwaltschaft hinein geschieht, müssten wir eigentlich nach den schlimmen Dingen, die geschehen sind und immer mit dem unterschätzten Gewaltpotential von rechts verbunden waren, in eine neue Phase eintreten. Nur das finde ich interessant. Es muss in Zukunft damit anders umgegangen werden.

Dass es beim Oktoberfestattentat, einem auch in seiner Brutalität herausragenden Terrorakt im Jahr 1980 versäumt worden ist, die Spur nach rechts zu verfolgen, hat die Erkenntnisfähigkeit der deutschen Polizei und Justiz in diese Richtung nicht verbessert und sensibilisiert, was uns bei den NSU-Morden vielleicht geholfen hätte. Wären all die Probleme, die beim NSU eine Rolle spielten (wie etwa die V-Mann-Thematik), seit dem Oktoberfestattentat bereits durchdacht gewesen, hätten diese Morde vielleicht nicht in dieser Art und Weise geschehen können, weil die Gefahr von rechts eventuell früher entdeckt worden wären.

So hat man aber die Leute in diesen Strukturen unbehelligt agieren lassen und sie mit Geldern versorgt. Erkenntnisse über die Täter des Oktoberfestattentats hätten uns also beim "Thüringer Heimatschutz" durchaus helfen können - auch wenn es sich vielleicht nur um die Erkenntnis gehandelt hätte, dass man über V-Männer nicht zu notwendigen Erkenntnissen kommt.

Ulrich Chaussy

Sie sehen also Ähnlichkeiten in der Ermittlungsarbeit beim Oktoberfestanschlag und dem NSU?

Ulrich Chaussy: Ja. Die Unfähigkeit überhaupt nur festzustellen, dass vom rechten Rand Gefahr droht und Gewaltpotential aufgebaut wird ist in beiden Fällen festzustellen.

"Die Bekenntnisse hätte dazu führen müssen, dass man den gesamten Kreis genauestens abprüft"

Verschiedenen Mitglieder der Wehrsportgruppe Hoffmann haben eine Beteiligung am Oktoberfest-Attentat zugegeben. Beispielsweise hat der WSG-Anhänger Walter-Ulrich Behle in einem Hotel in Damaskus vor einem Barkeeper von seiner Täterschaft erzählt, worauf dieser in Paris die deutsche Botschaft darüber unterrichtet hat. Wie haben die ermittelnden Behörden darauf reagiert?

Ulrich Chaussy: Die Generalbundesanwaltschaft hat sich die Mühe gemacht, den Barkeeper in Paris zu vernehmen, aber es konnte nie widerlegt werden, dass Behle Unsinn geredet hat, wie er seither behauptet. Dieser Walter-Ulrich Behle hat ja einen recht bewegten Lebenslauf, insofern er zur Zeit des Oktoberfest-Attentats für den nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz arbeitete und gibt Anlass dazu, sich damit zu beschäftigen, inwiefern die WSG durch Nachrichtendienste infiltriert war und was sie über die Vorgänge innerhalb der Gruppe wusste.

Der zweite Fall ist Stefan Wagner, der 1982 eine Geiselnahme beging, während der er Selbstmord verübte. Dieser bezichtigte sich ebenfalls selber. Hier ist es behördlicherseits ausgeblieben, genau zu recherchieren, wo er denn zur Zeit des Wiesn-Anschlags gewesen ist, obwohl die Wahrscheinlichkeit, dass er zu diesem Zeitpunkt in München war, eher gering ist.

Diese Bekenntnisse hätte dazu führen müssen, dass man den gesamten Kreis derer, die in irgendeiner Art und Weise mit dem Bombenleger via WSG in Kontakt haben kommen können, genauestens abprüft, auch wenn die Bekenntnisse den Grad einer Konkretisierung, in dem Täterwissen offenbart wurde, nicht erreicht haben.

Welche Rolle könnte denn der Verfassungsschutz - Stichwort Aktion Wandervogel - gespielt haben?

Ulrich Chaussy: Von dieser Aktion wissen wir lediglich, weil Tobias von Heymann die Akten der Staatssicherheit durchgearbeitet hat. Über die Inhalte dieses eigenartigen Vorgangs, bei dem die Staatssicherheit die Dienste in West-Deutschland beobachtet und beschattet, wissen wir einfach zu wenig. Meines Wissens sind wir ja nur über den Ort informiert, wo die Überwachung stattfand, nämlich als sich der Konvoi bei Hoffmann gebildet hat.

Dass die Aktion am Tag des Oktoberfestanschlags bereits um Null Uhr begonnen hat, kann man auf verschiedene Weise interpretieren: Einmal so, dass die westdeutschen Verfassungsschutzämter von irgend etwas wussten, was sich zusammenbraut. Solange man diese Inhalte nicht kennt, ist es aber durchaus auch möglich, dass es nur darum ging, die Aktivitäten einer gerade erst verbotenen Gruppierung zu überwachen. Das mussten die Behörden eigentlich tun, allein um herauszufinden, ob die Verbotsverfügung greift.

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