Und der Gewinner ist ... Jack Straw!

Big-Brother-Preise in Großbritannien

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Hollywood-Filmmusik ertönt im Old Theatre der London School of Economics und zwei Männer in schwarzen Anzügen und mit dunklen Sonnenbrillen betreten die Bühne. Links Simon Davies, charismatischer Leiter von Privacy International, und rechts David Shayler, ehemaliger Spion Ihrer Majestät der Königin, und nun selbst von den Strafverfolgungsorganen der Krone verfolgt wegen Verstößen gegen den Official Secrets Act, beginnen die Anmoderation des Abends zur Verleihung der Big Brother Awards in dem Land, in dem die Veranstaltung erfunden wurde, Großbritannien.

Die einprägsame Ästhetik des Big-Brother-Preises in Großbritannien

In diesem Jahr zum dritten Mal verliehen, kann es sich Simon Davies auf die Fahne heften, eine kleine Tradition begründet zu haben, die inzwischen Gefolgschaft in den Vereinigten Staaten von Amerika, Deutschland, Frankreich, Österreich und Schweiz gefunden hat. "Belohnt" werden mit diesen Preisen außergewöhnliche Beiträge zur Zerstörung der Privatsphäre, und wie das die Erfinder vorexerzieren, darf das nicht ohne Showeffekte vor sich gehen. Gefehlt hat diesmal leider Mark Thomas, jener außergewöhnliche "Komödiant". Das englische "comedian" ist mit Komödiant unzureichend übersetzt; zutreffender wäre Kabarettist, doch angesichts des Schaffens von Thomas, der sich ganz intensiv Themen wie der Unterwanderung der Privatsphäre verschrieben hat, möchte man ihn doch nicht mit deutschen Kabarettisten in einen Topf werfen.

Simon Davies, Privacy International

Die letzten Fernsehsendungen von Mark Thomas drehten sich vor allem um den Official Secrets Act und das Schicksal von David Shayler. Dass dieser anwesend sein konnte, ist schon eher ein kleines Wunder, denn bis vor wenigen Monaten hatte er sich in Paris dem Zugriff britischer Behörden entzogen. Als ehemaliger Agent für den Geheimdienst MI5 waren ihm die Vorgänge dort irgendwann nicht mehr ganz geheuer gewesen, er hatte gekündigt und auszupacken begonnen. Das wiederum hatte seinen Vorgesetzten gar nicht geschmeckt, und sie begannen ihn mit allem Nachdruck zu verfolgen. Da er nichts verbrochen hatte, außer Fehler des Systems aufzuzeigen, war und ist ihre einzige Waffe der "Official Secrets Act". Dabei handelt es sich um ein archaisches Gesetz, das britischen Staatsdienern untersagt, jegliche Informationen zu veröffentlichen, die sie in ihrer Zeit im Dienst erfahren haben. Diese Dinge mögen noch so trivial sein, doch selbst für den "Verrat" trivialster Staatsgeheimnisse kann jemand wie Shayler in Großbritannien heute noch ins Gefängnis kommen.

David Shayler, ehemaliger Geheimagent

Die fortgesetzte Existenz dieses Gesetzes im britischen Gesetzesbuch, beim gleichzeitigen Fehlen einer ordentlichen Verfassung, illustriert vielleicht am deutlichsten, welche Umstände zusammentreffen, so dass Großbritannien heute unter westlichen Ländern als die führende Überwachungsnation angesehen werden kann. Beginnend bei Überwachungskameras, die sich wie eine Seuche in den öffentlichen Räumen in Städten von London bis Glasgow ausgebreitet haben, über die zwangsweise erfassten "genetischen Fingerabdrücke", bis hin zu den erst am vergangenen Sonntag bekannt gewordenen Plänen, sogenannte "Kommunikationsdaten" (wer mit wem wann und wo telefoniert oder geemailt hat) sieben Jahre zu speichern, ganz zu schweigen von den fehlenden Rechten der Arbeitnehmer, sich gegen Eingriffe in ihre Privatsphäre durch Arbeitgeber zu wehren, ist Großbritannien im Begriff, ein Überwachungs- und Kontrollstaat par excellence zu werden.

Simon Davies, Erfinder der Big-Brother-Preise

Hatten schon Baronin Thatcher und ihr ebenso konservativer Nachfolger John Major vorzügliche Arbeit in dieser Hinsicht geleistet, vor allem da ihre Politik eine Verschärfung der sozialen Gegensätze bewirkte, die wiederum eine Verschärfung der polizeilichen Überwachung "sinnvoll" erscheinen ließ, so darf sich Tony Blairs Innenminister Jack Straw rühmen, dies noch auf die Spitze getrieben zu haben. Keine Möglichkeit der Überwachung und Kontrolle durch technologische Mittel wird von ihm und seinen Beamten außer Acht gelassen. Otto Schily müsste angesichts dieses Willens zur Modernität vor Neid erblassen. In Anbetracht aller Umstände wurde Jack Straw der Preis als "Lifetime Menace" (lebenslange Bedrohung) respektvoll verliehen.

Fleur Fisher hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Preis, den niemand will, den rechtmäßigen Empfängern zuzustellen

Allerdings war Jack Straw nicht anwesend. So wie alle anderen Preisträger auch, doch das gehört zur Natur dieser Preise. Die Wirtschaft darf im Zeitalter der PPPs (Public Privat Partnerships) nicht fehlen. Es erhielt die Envision Licensing Ltd den Preis als "übelstes" Unternehmen. Ihre Aufgabe ist es, jene Übeltäter ausfindig zu machen, die ihre Fernsehlizenzgebühr nicht bezahlen, wie z.B. Pensionisten am untersten Existenzminimum. Als "abstoßendstes Projekt" wurde die "Nationale DNA-Datenbank" ausgezeichnet, die bereits DNA-Samples von mehr als einer Million britischer Bürger gesammelt hat und hofft, diese Zahl bis 2004 auf 4 Millionen zu erhöhen. Das Leitungsgremium des "nationalen Gesundheitsdienstes" (NHS) bekam einen Preis für den etwas sehr transparenten Umgang mit Patientendaten. Und als "schlimmster Beamter" wurde Javier Solana ausgezeichnet, dessen Taten von Tony Bunyan von Statewatch in einer kurzen Rede dargelegt und in diesem Medium bereits mehrfach gewürdigt wurden. Die Rede ist dabei nicht von der Bombardierung diverser Drittweltländer in seiner Zeit als NATO-Generalsekretär, sondern von seinen Bemühungen, die EU in eine NATO-ähnliche, geheime Kommandosache umzuwandeln.

Caspar Bowden war einer der Empfänger des positiven "Winston Awards" für seine Anti-RIP-Kampagne

Wir wenden uns also voller Entsetzen ab. Aber noch nicht ganz. Denn es wurden auch die Winston-Awards verliehen. Das sind die Preise für die Guten. Diese erhielten Ben Rooney, ehemaliger Redakteur des Daily Telegraph (Betonung auf ehemalig), Caspar Bowden, von FIPR für seinen Kampf gegen RIP, Jason Ditton für Aufklärungsarbeit über die kriminologische Sinnlosigkeit von CCTV und Lord Cope, der den Widerstand im Oberhaus gegen das RIP-Gesetz geleitet hat und wesentlich dazu beitrug, dass einige der übelsten Paragraphen am Weg durch das House of Lords noch umformuliert wurden.