Verfrühter Abgesang
Befindet sich die AfD tatsächlich bereits auf dem absteigenden Ast, wie es angesichts fallender Umfragewerte diskutiert wird? Ein Kommentar
Die Wochenzeitung Die Zeit fragte fragte am 30. Januar, ob die AfD bereits ihren Zenit überschritten habe. Die Auseinandersetzungen zwischen CDU und CSU seien beendet, mit Angela Merkel verblasse eine zentrale Feindfigur der Neuen Rechten, die Flüchtlingskrise sei nicht mehr das alles beherrschende Thema. Zudem würde eine etwaige Prüfung der AfD durch den Verfassungsschutz die "moderaten" Anhänger der sich radikalisierenden Partei abschrecken.
Kurz zuvor wollte der Tagesspiegel eine schweigende, vernünftige Mehrheit in der Bundesrepublik ausfindig gemacht haben. Der Zuspruch zur AfD nehme ab, die Demokratie in der Bundesrepublik sei "stabiler als bei den europäischen Nachbarn", so der Tenor des Kommentars. Deutschland sei nicht "vertrumpt, verorbant, versalvinit". Hier in Deutschland könne kein Macron einbrechen, "mit der Gefahr, dass danach die Rechtsradikalen kommen".
Gute Regierungsarbeit, "Stichworte sind gute Kita, gute Bildung, gute Arbeit für guten Lohn", lasse auch die Zufriedenheit in der Bevölkerung wieder ansteigen. Das Fazit des Kommentars: "Nie gab es, in der Hinsicht, geschichtlich ein besseres Deutschland als heute." Es ist eine vernünftige Mehrheit von "85 Prozent der Menschen hierzulande", an die der Kommentar sich richtet - indem er umstandslos selbst den anscheinenden Abstieg nationalistischer Parteien zur nationalen Selbstbeweihräucherung nutzt. Denn der Schein trügt.
Schief wird die obige Argumentation - was charakteristisch ist für die bürgerlich-liberale Opposition gegen die Neue Rechte - durch ihre Ausblendung des Krisenprozesses wie auch der sozioökonomischen Dimension des Aufstiegs des Rechtspopulismus und Extremismus. Länder wie Ungarn, Italien - auch Frankreich - sahen sich nach dem Krisenausbruch 2008 langfristigen Perioden von Sozialabbau, Rezession und/oder Stagnation ausgesetzt, die nicht zuletzt durch die europäische Austeritätspolitik von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble vertieft worden sind. Die USA wiederum haben ein massives Abschmelzen der Mittelklasse nach dem Platzen der Immobilienblasen erlebt, in deren Gefolge der politische Borderliner Trump ins Weiße Haus einziehen konnte.
Faschismus ist somit eine Krisenideologie, die in Reaktion auf kapitalistische Krisenschübe, als ein Extremismus der Mitte, an Dynamik gewinnt. In der Bundesrepublik gab es aber keine vergleichbaren sozioökonomischen Verwerfungen wie "bei den europäischen Nachbarn" oder den USA, da hierzulande der Schuldenexport via Außenhandelsüberschüssen zu einer Sonderkonjunktur führte. Es ließe sich folglich ehrlicherweise höchstens behaupten, die Bundesrepublik sei weniger anfällig für Rechtspopulismus und Rechtsextremismus als Österreich oder die Schweiz, wo es ja ebenfalls keine starken ökonomischen Verwerfungen im Gefolge des letzten Krisenschubes gegeben hat. Kunststück.
Angst vor dem Abstieg
Dennoch spielte die Krise - konkreter: die Angst vor der Krise - auch beim Aufstieg der AfD eine zentrale Rolle. Zur Erinnerung: Die inzwischen in den Rechtsextremismus abdriftende AfD wurde ursprünglich als eine rechtspopulistische "Professorenpartei" von Figuren wie Lucke und Henkel gegründet, die auf die Eurokrise in klassisch wohlstandschauvinistischer Manier mit nationalistischer "Eurokritik" reagierten, um alle Krisenfolgen auf die südliche Peripherie der Eurozone abzuwälzen. Die Angst der Mittelklasse vor der kapitalistischen Systemkrise, die ideologisch im Konstrukt des "faulen Südländers" personifiziert wurde, bildete den Morast, aus dem die AfD ursprünglich erwuchs. Die rechtsextremen Kräfte setzten sich erst im Zuge der Flüchtlingskrise durch.
Die in Hass transformierte Mittelklassen-Angst vor den Folgen der 2007/08 geplatzten "transatlantischen" Immobilienblasen in den USA und Westeuropa, vor sozialem Abstieg und Pauperisierung, bildete folglich den Treibstoff bei der Formierung der Neuen Rechten in der Bundesrepublik. Ein ähnlicher, potenziell sogar weitaus stärkerer Krisenschub steht aber erneut an, da die gigantische Liquiditätsblase, die in Reaktion auf den Krisenschub von 2008/09 von den Notenbanken initiiert wurde, nun nach einer knappen Dekade zu platzen droht.
Diesmal scheint es kaum noch möglich, die Krisenfolgen abermals auf die Peripherie der EU abzuwälzen, wie es Schäuble nach Ausbruch der Eurokrise vermittels seiner Austeritätspolitik vermochte. Die Mittelklasse in der Bundesrepublik wird aller Wahrscheinlichkeit auf zweifache Weise von dem kommenden Krisenschub erfasst werden. Einerseits durch die Folgen der einbrechenden Konjunktur, sobald der zunehmende Protektionismus bei einer globalen Rezession weiter um sich greift. Andrerseits durch die Bestrebungen zur Abwertung des Werts, zur Entwertung des gigantischen Schuldenbergs, den das kapitalistische Weltsystem in den vergangenen Dekaden krisenbedingt angehäuft hat.
Sozialer Abstieg und Wertverlust der eigenen Ersparnisse und Rückstellungen in Geld- oder Wertpapierform, dies ist die sich abzeichnende Krisenperspektive für die Mittelklasse - erst in einer solchen sozioökonomischen Konstellation wird es sich erweisen, ob die Demokratie in der Bundesrepublik genauso stark ist wie etwa in Griechenland, das ja von Schäuble Jahrelang geschändet wurde, ohne in den Faschismus abzudriften.
Widerstand gegen Rechts von der Exportindustrie und dem liberalen Bürgertum
Zudem ist die gegenwärtige Stagnation der Neuen Rechten vor allem auf einen Machtfaktor zurückzuführen: die Opposition in der wichtigsten Fraktion der deutschen Wirtschaft. Die deutschen Funktionseliten in der exportorientierten Wirtschaft kritisieren den Aufstieg der Neuen Rechten inzwischen offen, wie etwa BDI-Chef Dieter Kempf:
Der Rückzug ins Nationale ist für unser Land keine Alternative: Die AfD ist im Kern gegen das, was Deutschland stark gemacht hat und weiter stark machen muss.
Dieter Kempf
Diese Kritik wird folglich von einer ökonomischen Logik getragen, da es die Exportausrichtung der deutschen Industrie ist, die Deutschland "stark macht". Dem BDI ist klar, dass die zunehmenden protektionistischen Tendenzen, die den Aufstieg der Neuen Rechten begleiten, einem Teil der deutschen Exportindustrie die Geschäftsgrundlage entzögen. Sobald aber im Gefolge des nächsten Krisenschubs eben die Handelsüberschüsse wegbrechen sollten, die Exportwirtschaft einbricht, würde auch diese handgreifliche Motivation für die Wirtschaft wegfallen, dem Aufstieg der Neuen Rechten zu opponieren. Zumal deutsche Manager noch nie Probleme damit hatten, auch mit Antidemokraten und Autokraten blendende Geschäfte zu machen.
Parallel zu dieser Opposition innerhalb der Exportindustrie - Teile des Mittelstandes und der Familienunternehmer sympathisieren hingegen mit der AfD - entwickelte sich ein oberflächlicher, bürgerlich-liberal geprägter Antifaschismus, wie er sich etwa in der Bewegung und Großdemonstration "Unteilbar" manifestierte.
Die ökonomische und soziale Dimension des Aufstiegs der Neuen Rechten, der systemische Krisenprozess werden hier ausgeblendet, es dominiert weiter die Parole des "Wir schaffen es!", wobei hierunter letztendlich die Integration der Flüchtlinge in den deutschen Arbeitsmarkt gemeint ist, der unter Fachkräftemangel leidet. Dieses ökonomische, gewissermaßen arbeitsmarktpolitische Kalkül wird sich aber ebenfalls am kommenden Krisenschub blamieren. Der liberalen Opposition gegen die Neue Rechte werden somit die wichtigsten Argumente wegbrechen: die Exportfixierung der "Deutschland AG" und der Mangel an geeigneten "Händen" zur Verwertung auf dem deutschen Arbeitsmarkt.
Neue Rechte braucht den neuen Krisenschub
Denn tatsächlich hat sich die Neue Rechte zu einem guten Teil einfach zu Tode gesiegt - sie braucht den nächsten Krisenschub, um politisch wieder Aufwind erhalten zu können. Einerseits hat sich die AfD politisch weitgehend durchgesetzt: Die Grenzen sind dicht, das Asylrecht weitestgehend abgeschafft. Und da ist zum anderen die krasse öffentliche Diskursverschiebung nach rechts seit dem Krisenausbruch, die eigentlich schon mit der Sarrazindebatte eingeleitet wurde. Längst scheinen zivilisatorische Schranken somit auch in der Mitte der Gesellschaft zu fallen; auch bei den honorigen liberalen Medien, die schon mal über das Absaufenlassen von Flüchtlingen diskutieren lassen. Auf dieser Barbarisierung des öffentlichen Diskurses wird die Neue Rechte auch künftig aufbauen können.
Und schließlich gibt es innerhalb der staatlichen Funktionseliten kaum ernsthafte Bestrebungen, eine grundlegende Aufarbeitung der mutmaßlichen braunen Netzwerke im Staatsapparat zu forcieren. Anstatt eine gründliche parlamentarische Untersuchung der mutmaßlichen "Schwarzen Reichswehr" in den Sondereinheiten von Bundeswehr und Polizei einzuleiten, scheinen staatliche Stellen auf Verharmlosung, Vertuschung und auf ein internes Vorgehen gegen Einzelpersonen zu setzen.
Die Strukturen und Personennetzwerke, die potenzielle uniformierte Rechtsterroristen hervorbrachten, bleiben so weiterhin bestehen. Es könnte so glatt der Verdacht aufkommen, dass man in Krisenzeiten auf die Tüchtigkeit von Männern, die Todeslisten politischer Gegner angelegt haben sollen, vorsorglich nicht verzichten möchte.