Vergebung für einen Terroristen
Seite 3: Courage, Bier und blinde Wut
Unabhängig davon, wer erschossen wird: Das Töten eines Menschen, sagt der Film, führt nur zu weiterer Gewalt. Durch den Mord an Krasko wird die Welt nicht besser. Vielmehr gerät der unschuldige da Costa ins Visier der Gangster. Meehan schickt ein paar Männer, die seine Kirche anzünden sollen. Da Costa löscht daraufhin das Feuer, nicht seine Wut. Er geht zu Meehans Stammkneipe, um ihn zur Rede zu stellen. Bei Hodges gibt es auf der Tonspur ein Klavier, die Stimmen der Gäste und das Signalhorn eines Schiffs, weil die Kneipe direkt an der Themse liegt. Wir sind im East End, auf der Isle of Dogs, und so hört es sich auch an.
In der Kinoversion fleht eine Violine, damit wir gleich wissen, wie traurig das alles ist. Selber denken ist unerwünscht. Meehan lässt da Costa aus dem Pub werfen. Bei den Mülltonnen vor der Kneipe verliert da Costa die Kontrolle über sich und den aufgestauten Ärger. Hier braucht man die SAS-Vergangenheit des Priesters, weil sie erklärt, warum ihm zwei Gangster und ein Barmann nicht gewachsen sind. Wie von Sinnen prügelt da Costa auf die hilflos wirkenden Männer ein. Das verbindet ihn mit Fallon. Beide sind Profis, die keine mehr sein wollen; beide haben der Gewalt abgeschworen; beide werden rückfällig.
An der Fassade des Pubs ist in großen Leuchtbuchstaben das Wort COURAGE angebracht, das früher an vielen Londoner Kneipen zu sehen war. Mit dem Schriftzug "Take Courage" wurden Passanten nicht dazu aufgefordert, Mut zu fassen, sondern im Pub ein dort ausgeschenktes Bier der einst von John Courage gegründeten Brauerei zu trinken. Heute könnte man anhand der Leuchtreklame vom Thatcherismus und von der Gentrifizierung der Docklands erzählen. Das alte Anchor Brewhouse, in dem das Courage-Bier gebraut wurde, steht noch (gleich unterhalb der Tower Bridge), wurde aber in den 1980ern in Luxusapartments umgewandelt.
Hodges reduziert COURAGE durch die Wahl des Bildausschnitts auf RAGE. Man kann diesen Regieeinfall zu plakativ finden. Was ausformuliert ziemlich bemüht klingt (aus dem Mut, den da Costa braucht, um dem Gangster gegenüberzutreten, wird die blinde Wut), ist visuell aber sehr effektiv, als Beleuchtung und als Kommentar zur Szene bei den Mülltonnen. Vor den vier Buchstaben, R-A-G-E, steht Jack Meehan im feinen Anzug und mit seidener Krawatte. Er beobachtet da Costas Ausraster, bleibt ganz kühl und sagt: "Ich glaube, Sie wissen nicht genau, wer ich bin … Pater."
Der Film hat da ein spannendes Dreiecksverhältnis konstruiert. Der Gangster, der sich selbst als Geschäftsmann sieht, ist eiskalt und vertritt die profitorientierte Art der Gewalt. Der Priester ist ein Idealist, der vor dem Pub so in Rage gerät, dass er wild um sich schlägt. Fallon ist das Bindeglied. Als IRA-Kämpfer hat er ebenfalls als Idealist angefangen, aber beim Töten ist er der abgeklärte Profi, oder zumindest spielt er diese Rolle, und als Meehans Auftragskiller tötet er für den ungestörten Fortgang der Geschäfte und zum eigenen Vorteil, nicht für sein Ideal von einem perfekten Irland (für den Mord an Krasko, Meehans Konkurrenten, kriegt er Geld und einen falschen Pass).
Die Frontlinien werden auf diese Weise so unübersichtlich, wie Hodges sie haben will. Das dient nicht der Relativierung der Gewalt. Es macht es vielmehr schwieriger, sich selber von ihr freizusprechen und sie den anderen zuzuschieben. Die Kinoversion leidet darunter, dass da ohne Rücksicht auf Verluste gekürzt wurde. Im Director’s Cut wird die RAGE-Szene im Beichtstuhl vorbereitet. Fallon tut sich schwer, die richtigen Worte zu finden. Leichter wäre es, sagt er, wenn er mit da Costa bei einem Glas Bier im Pub sitzen und sich aussprechen könnte. Bier und Pub bringen dann zwar den Priester und den Gangster zusammen, doch Fallon ist zumindest gedanklich mit dabei.
Da, wo da Costa über sich und seine Brutalität erschrickt und wo in der Kinoversion die schluchzende Geige wieder einsetzt sind im Director’s Cut kurze Flashbacks eingefügt. Wir sehen Kraskos Blut, das auf die Marienfigur spritzt und Fallon, der mit der Pistole auf den Priester zielt, ohne abzudrücken. Im Friedhof hat alles angefangen. Inzwischen ist da Costa vom Zeugen einer Gewalttat zum Täter geworden. Das stürzt ihn in eine Krise. Der Director’s Cut ist dichter, handwerklich besser und vielschichtiger als die Kinoversion, deren Bearbeiter weder solche Flashbacks wollten noch zu viel Gerede bei der Beichte.
Ein Ave Maria für das Bestattungsinstitut
Manchmal könnte man fast meinen, dass es den Produzenten vor allem darauf ankam, sich von Hodges’ Umgang mit dem Ton zu distanzieren. Nach dem Mord an Krasko fährt Varley, der das Ganze beobachtet hat, zu Meehans Bestattungsinstitut, um dem Boss und seinem Bruder Billy zu berichten, dass Fallon den Auftrag ausgeführt hat und es mit Pater da Costa einen Zeugen gab. Der Dialog der Gangster darf ohne Musik von Bill Conti stattfinden. Bei Hodges dagegen hört man im Hintergrund eine traurig-erhebende, von einer Frauenstimme gesungene Weise, mit der John Scott das Kunststück fertig bringt, Fahrstuhlmusik und Kirchenlied zu kombinieren.
Meehan beschallt damit sein Beerdigungsinstitut in Endlosschleife, weil er denkt, dass so die pietätvolle Atmosphäre entsteht, die seine Kunden erwarten, wenn sie einen Sarg kaufen. Die Musik korrespondiert sehr schön mit dem Religionskitsch, der den Hintergrund für das Gespräch der Gangster über Mord und Geschäft abgibt: einem aufgemalten Himmel, mit den Strahlen des göttlichen Lichts, die durch die Wolken dringen. Wer hier wohl erleuchtet wird? Dem Gangsterboss ist jedenfalls die Vorfreude anzumerken, weil er an dieser Stelle der Handlung noch erwartet, dass Fallon zu da Costas Kirche gegangen ist, um nun auch den Priester umzubringen. Scheinheiligkeit ist eines der Themen von Hodges’ Film.
Einmal betritt Meehan den Verkaufsraum. Zur vollen Stunde läuten die Glocken von Big Ben. Das ist Teil der Selbstdarstellung. Meehan präsentiert sich der Kundschaft als Londoner Geschäftsmann, als Lokalpatriot und Stütze der Gesellschaft. Bonati, im Zweitberuf ein Gangster, trägt eine Plastikschürze wie ein Metzger und besprüht die Blumenbouquets mit Wasser. Meehan drückt einen Knopf. Einer der Särge beginnt sich zu drehen, die Musik geht los. Bonati reicht dem Chef eine frische Nelke für sein Knopfloch. Damit ist alles für den neuen Arbeitstag bereit.
Meehan, ganz Gentleman, nimmt an einem repräsentativen Schreibtisch Platz. Von hier aus regiert er den legalen Teil seines Reiches, in dem auf Knopfdruck ein Verkaufsmechanismus in Gang gesetzt und die christliche Vorstellung vom Tod und vom ewigen Leben in Kitsch und Kommerz übertragen wird. Hodges hat mit Ironie und Sorgfalt die angemessene Stimmung etabliert. Die Produzentenfassung nimmt auf so etwas keine Rücksicht. Die nun gekürzte Szene beginnt mit Bonati als Reinigungsmann. Meehan sitzt bereits am Schreibtisch. Nur ein paar Sekunden weggeschnitten, um das Tempo zu erhöhen, sagte Peter Snell, der Produzent. Was soll die Aufregung?
Antwort: Es ist etwas völlig anderes, ob der König am Anfang einer Szene sein Reich betritt, dieses inspiziert und persönlich auf den Knopf drückt, weil er allein den Zugriff auf das Räderwerk hat (sei es das Räderwerk des Staates, des Bestattungsinstituts oder der Unterwelt), oder ob er morgens schon auf dem Thron sitzt, als ob man ihn dort am Abend davor vergessen hätte. Wer im Kino den Blick kontrolliert hat die Macht. Hodges weiß das. Bei ihm setzt sich Meehan an den Tisch, schaut (von ihm aus) nach links und sieht Bonati (im Gegenschuss). Die Produzenten wussten es scheinbar nicht.
In der Kinoversion sieht man zuerst Bonati. Dann wird auf Meehan geschnitten, der den Blick abwendet. Souverän wirkt das nicht. Auch die Musik läuft schon, weil Meehan hier eben nicht der Mann ist, der den Knopf drückt (einen Knopf, der genauso entfernt wurde wie die Glocken von Big Ben). Anstelle von Scotts Kirchenlied für Fahrstühle und Kaufhäuser ist Schuberts "Ave Maria" zu hören. Das ist total daneben. Das "Ave Maria", dürften sich die Herren Goldwyn und Snell gedacht haben, ist das Lied für eine weltweite Konsumkultur, es spricht die meisten Zuschauer an, und ohnehin geht Schubert immer. Das tut er nicht.
Wir sind hier in einem sorgfältig charakterisierten, mit individuellen Eigenschaften ausgestatteten Teil von London und nicht in einer Fußgängerzone, in der weltweit operierende Ladenketten ihre Einheitswaren feilbieten. Man muss nicht Hodges’ Original gehört haben, um auf die Idee zu kommen, dass das "Ave Maria" fehl am Platze ist, auch wenn es überall auf der Welt bei Beerdigungen sehr gern genommen wird. Schubert passt weder zu Meehan und seinem Institut noch zu seinen Kunden, und zu der Szene auch nicht. Die Leute, die Hodges’ Film bearbeitet haben, hatten schlicht kein Interesse an den Charakteren.
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