Vergebung für einen Terroristen
Seite 7: Liebesnacht mit Kerzenschein und Dracula
Ohne das von ihm gewünschte Supermodel hatte Mickey Rourke keine Lust mehr auf die Liebesszene. Für Hodges war das eine gute Nachricht, weil er gern ganz auf sie verzichtet hätte. So konnte er sie auf ein Minimum reduzieren. Die Szene ist jetzt sehr dezent und in ein zartes Licht getaucht. Der Kameramann Mike Garfath ist zurecht stolz darauf, wie er das gemacht hat. In der Produzentenfassung wurde die Szene leider in Kitsch verwandelt. Zur Musik von Bill Conti könnte man Urlaubsreisen auf die grüne Insel oder Milch von glücklichen irischen Kühen verkaufen.
Anna nimmt Fallon mit ins Schlafzimmer. Im Unterrock zündet sie eine Kerze an. Der Unterrock fällt auf den Boden, Fallon zieht Anna zu sich hoch. Hodges schneidet von ihren nackten Füßen auf Billy, der neben dem Rummelplatz in sein Auto steigt, sich eine Zigarette ansteckt und wartet, bis Fallon gegangen ist. So spielt sich auch die zarte Liebe in der unmittelbaren Nachbarschaft von Tod und Vergewaltigung ab. Die Kinofassung betont die Romantik und überblendet von Annas Füßen auf Fallon, der sich nach dem Sex wieder angezogen hat. Den wartenden Billy lässt sie weg.
Anna liegt im Bett und weint. Sie würde sich so sehr wünschen, sagt sie, Fallon sehen zu können. Fallon nimmt die Kerze, hält sie zwischen sich und Anna. In der Kinoversion ist das der blanke Unsinn, oder sogar grausam, weil da alles auf ein konventionelles Erzählen ausgerichtet ist. Warum sollte ein halbwegs sensibler Mensch einer Blinden, die darunter leidet, dass sie nicht sehen kann, eine brennende Kerze vor die Augen halten? Soll das ein Sehtest sein? Ist Fallon, der Terrorist mit dem Musikstudium, ein verhinderter Augenarzt?
Im Director’s Cut, für den das konventionelle Erzählen des Kommerzkinos nicht das oberste Gesetz ist, wird die Kerze zum Symbol. Sie verbindet mehrere Ebenen, die zueinander in Beziehung stehen: Liebe, Zärtlichkeit, Sex, Gewalt und Tod. Hodges zeigt uns den rauchenden, ungeduldig auf seine Gelegenheit wartenden Billy und dann Fallon, der die Kerze auslöscht, bevor er aus Annas Zimmer nach unten geht. Kaum hat er das Pfarrhaus verlassen taucht Billy - jetzt wieder in beiden Versionen - neben der Treppe zum Schlafzimmer auf.
Billy ist wie einer jener Vampire, die lautlos in die Häuser der braven Bürger eindringen, um deren Frauen zu beißen - nur dass die alten Abwehrmittel nicht mehr helfen. Erotisch wie einst bei Christopher Lee ist auch nichts mehr. Anna steht neben einem Kruzifix und hat ein Kreuz um den Hals hängen, wenn ihr der lachende Billy rote Farbe ins Gesicht sprüht wie ein verrückt gewordener Maskenbildner. Das ist doppelt verstörend, wenn man zuvor gesehen hat, wie Billy (als vorweggenommene Höllenfahrt) die Rutschbahn hinunter fuhr und die Schreie der jungen Vergnügungssuchenden aufnahm, die zugleich die Schreie der Toten sind. Jetzt wird dann gleich sein Lebenslicht ausgelöscht wie die Flamme einer Kerze.
Auf eine verquere, sehr individuelle Weise hat die Version des ehemaligen Katholiken Mike Hodges eine metaphysische Qualität. In der Kinofassung ist davon nicht viel geblieben. Das ist schade, weil es in A Prayer for the Dying um einen auch religiös motivierten Terrorismus geht und um das christliche Heilsversprechen, um den Tod und um das ewige Leben. Die Produzenten wollten lieber einen konventionellen Thriller. Sehr deutlich wird der Unterschied zwischen den beiden Fassungen im Anschluss an die versuchte Vergewaltigung (inspiriert von Hitchcocks Dial M for Murder).
Abgekürzte Bestattung und die nächste Leiche
Anna sticht Billy in Notwehr eine Schere in die Brust. Fallon entsorgt im Krematorium die Leiche. Vom Ofen werden wir dieses Mal nicht zum Bordell gebracht, sondern ins Polizeirevier, denn in einem Krimi braucht man auch die Polizei. Also stellt sich jetzt ein Herr Gaskin von der für innere Sicherheit zuständigen Special Branch bei Superintendent Miller vor. Irgendwann muss sich der Drehbuchautor diese Frage gestellt haben: Wie bringe ich den gegen Meehan ermittelnden Miller und den Fallon suchenden Gaskin so zusammen, dass es sich auf glaubwürdige Weise aus der Handlung ergibt. Leider fiel dem Autor dazu gar nichts ein.
Was tut man da? Man verkohlt den Zuschauer, der ohnehin ein Trottel ist (wenn man nach Produzenten wie Samuel Goldwyn Jr. geht) und macht es so wie hier. "Auf der Straße" erzähle man sich, sagt Gaskin, dass Krasko von einem IRA-Mann erschossen wurde, der Geld und falsche Papiere brauchte. Miller ermittelt in dem Fall. Darum kriegt er Besuch von Gaskin. Martin Fallon heißt der IRA-Mann, sagt Gaskin. Fallon?", fragt Miller. Den hat er doch bei da Costa getroffen, in der Kirche! Aber wo könnte er jetzt sein? Wo könnte Meehan ihn versteckt haben?
Machen wir doch eine Razzia, sagen sich die Polizisten. In Jack Meehans Spielcasino und in seinen "Hotels" (Bordellen). So wird’s gemacht. Der Zuschauer weiß jetzt, dass die Polizei Fallon auf der Spur ist. Wenn das nicht für atemberaubende Spannung garantiert. An der drögen Szene ist auch zu sehen, warum sich die Produzenten darüber beklagten, dass Hodges sich nicht an das Drehbuch gehalten habe. Er drehte sie so wie geschrieben, ließ sie dann aber weg, weil man sie nicht braucht und weil sie - unter handwerklichen Gesichtspunkten - eigentlich nur peinlich ist, ein Beispiel für schlechte Drehbucharbeit.
Hodges’ Version ist besser und logischer. Der Fallon der Produzenten scheint ein rechter Depp zu sein. Erst bringt er Billys Leiche ins Krematorium, um sie spurlos verschwinden zu lassen. Dann bleibt die Asche im Ofen liegen, damit sich der penible Jack Meehan am nächsten Morgen überlegen kann, wer das mal gewesen ist. Bei Hodges wird die Bestattung nicht plötzlich abgebrochen. Fallon geht mit der Urne in den Park, von dem man als Zuschauer der Kinoversion nichts weiß, weil da auch schon gekürzt wurde. Inzwischen ist früher Morgen, weil das Verbrennen eines Menschen Zeit in Anspruch nimmt.
Unter einer Trauerweide verstreut Fallon Billys Asche. Gleich danach stirbt sein bester Freund. Hodges schneidet von der Trauerweide auf Siobhan Donovan, die telefonisch Anweisung erhält, Docherty zu töten, weil er es nicht übers Herz brachte, Fallon zu liquidieren und für die IRA jetzt ein Verräter ist. Siobhan schießt Docherty eine Kugel in die Stirn. Kaum ist die eine Leiche entsorgt gibt es schon die nächste. Die Produzentenfassung betont die Kriminalhandlung. Im Director’s Cut ist es der sinnlose Kreislauf der Gewalt, der im Zentrum des Interesses steht. Das ist nicht ganz dasselbe.
Sprengsatz im Raum-Zeit-Kontinuum
Hodges erinnert sich an schwierige Proben für das dramatische Finale des Films auf dem baufälligen Kirchturm. Alan Bates, Bob Hoskins und er selbst litten unter Höhenangst. Besonders die Fahrt im Aufzug nach oben muss schlimm gewesen sein. Auf dem Turm will Meehan den Priester und seine Nichte mit einer Bombe töten und den Verdacht auf die IRA lenken. Der Rummelplatz neben der Kirche war eine Idee des Regisseurs. Hodges wollte damit zwei Filmen die Referenz erweisen, die er sehr mochte: Hitchcocks Strangers on a Train und Carol Reeds The Third Man.
Vor allem aber kämpfte er für den (nicht ganz billigen) Rummelplatz, weil er wie immer an den Ton dachte. Oben auf dem Turm geht es um Leben und Tod, während unten die Leute ihren Spaß haben. Das schien ihm ein interessanter Kontrast zu sein. Im Director’s Cut akzentuiert die Tonspur, wie nahe der Tod, das weltliche Vergnügen und die Religion beieinander liegen. Meehan macht die Bombe scharf, sagt den da Costas, dass sie noch zehn Minuten zu leben haben, muss sich dann mit Fallon auseinandersetzen, der seinen Plan durchkreuzt und erfährt, dass sein Bruder tot ist (Fallon hat eine "Rest in Peace"-Karte für Billy mitgebracht), und die Jahrmarktsmusik spielt dazu.
Wenn Fallon mit dem Aufzug nach oben fährt schlägt die Kirchenglocke und wenn er nach dem Handgemenge mit Meehan in die Tiefe stürzt hören wir kurz die Harfe und die E-Gitarre, die in der ursprünglichen Komposition von John Scott ein zeitgenössisches und unfolkloristisches Nordirland markieren. Am Anfang hören wir die Harfe und die E-Gitarre, bevor Fallon und seine Terrorzelle anstelle der Militärfahrzeuge einen Schulbus in die Luft sprengen. Dieser vermurkste Anschlag führt Fallon nach London. Jetzt, am Schluss, stürzt er zurück in den Abgrund, aus dem er gekommen ist.
Die Produzentenfassung ist ziemlich schematisch, weniger atmosphärisch und nicht so ambivalent. Die Jahrmarktsgeräusche sind noch da, werden aber bald von Bill Contis Musik verdrängt. Das Glockenläuten (vgl. das Ende von Hitchcocks Vertigo) ist von der Tonspur getilgt. Der Director’s Cut kommt ohne die üblichen Hierarchisierungen aus. Bild, Ton und Musik sind gleichrangige Einheiten. Das macht den Film offener und vielschichtiger, weil sich durch die Verbindung dieser Einheiten mehrere Erzähl- und Bedeutungsebenen ergeben. Contis Musik dagegen dominiert die Kinoversion und gibt vor, was wir denken und fühlen sollen.
Bei Hodges sind kurze Flashbacks eingestreut. Obwohl es sich um weniger als ein Dutzend Einstellungen handelt mussten sie aus der Produzentenfassung komplett verschwinden, weil da das Primat des streng chronologischen Erzählens herrscht, wo so etwas nur irritierend ist. Erst recht musste die Vorausblende weg. Im Rahmen der Hollywood-Konventionen ist ein Flashforward noch viel beunruhigender als die Erinnerungsbilder (vom Mord an Krasko), die da Costa wie Blitze durch den Kopf zucken. Die Rede ist von der Szene, in der Fallon zum ersten Mal in die Kirche kommt und Anna trifft, da Costas blinde Nichte.
Die beiden unterhalten sich. Anna verlässt die Kirche. Fallon bleibt auf einer Bank sitzen und schaut nach oben. Da hängt der gekreuzigte Heiland von der Decke. In der nächsten Einstellung löst sich das Kreuz aus der Verankerung und fällt herunter (nur im Director’s Cut). Ob das Fallons Perspektive ist, er also einen Blick in die Zukunft wirft, oder ob der Film die Chronologie aufbricht und zeigt, was noch passieren wird, bleibt unbestimmt. Hodges dachte schon über das Drehbuch für Black Rainbow nach, als er Prayer inszenierte. Rosanna Arquette spielt da ein betrügerisches Medium und stellt fest, dass sie doch übersinnliche Fähigkeiten hat.
Die leicht metaphysische Einstellung mit dem fallenden Kreuz ist durchaus angemessen. Wir sind hier im Gotteshaus einer Religion, die ein Leben nach dem Tod verspricht und deren Gläubige per Transsubstantiation das Blut ihres Erlösers trinken. Die nächste Szene bringt uns zurück auf den Boden der Tatsachen, und in das Bestattungsinstitut des Gangster-Kapitalisten Jack Meehan, für den auch der Tod nur ein Geschäft ist. Meehan entdeckt, dass einer seiner Angestellten in die eigene Tasche gewirtschaftet hat und lässt den Mann zur Strafe an die Wand nageln. Dann wird Mr. Ainsley zum Arzt gebracht, weil er tags darauf wieder arbeitsfähig sein soll. Das ist eine sehr weltliche, profitorientierte Erlösung von den Sünden.
In der Kinoversion kommt wieder die Polizei dazwischen. Meehan, Ainsley und das Beerdigungsinstitut müssen nach Fallons Blick auf den Gekreuzigten noch warten, weil erst der in der Mordsache Krasko ermittelnde Superintendent Miller einen seiner der Krimikonfektion geschuldeten Auftritte hat. Miller ist zum Friedhof geeilt, um den Tatort zu besichtigen. Tatzeuge Da Costa berichtet, dass Kraskos Mörder mit einer von Terroristen gern verwendeten Ceska geschossen hat. Der Priester kennt sich aus, weil er früher beim SAS war. Miller hat noch beizutragen, dass Jack Meehan involviert ist (Krasko war sein Konkurrent).
Wenn es der Director’s Cut je auf eine DVD geschafft hätte wären die paar Minuten mit Miller und da Costa auf dem Friedhof im Bonusmaterial gelandet, in "Deleted Scenes" - vielleicht mit einem Kommentar des Regisseurs, der uns erklärt, warum er die Szene weggelassen hat. Dafür gab es Gründe. Die Dialoge zeugen wieder von schlechter Drehbucharbeit, weil mit der Holzhammermethode eine Verbindung zwischen dem Gangster und dem Terroristen hergestellt wird. Die Vergangenheit des Pfarrers als Mitglied einer militärischen Spezialeinheit ist eine der forcierteren Erfindungen des Romanautors Jack Higgins. Der Director’s Cut geht dezenter damit um als die Kinoversion.
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