Vergebung für einen Terroristen

Seite 6: Ruhe in Frieden und katholischer Aberglauben

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Im Juli 2017 leisteten die Orangemen ihren Beitrag zum Reformationsjubiläum, womit wir zurück bei Jack Meehan und den "Ruhe in Frieden"-Karten für die Hinterbliebenen wären. Den Oraniern ist aufgefallen, dass in den sozialen Netzwerken viele Protestanten (und sogar evangelikale Fundamentalisten!) bei Trauerbekundungen nach dem Tod eines Menschen die Abkürzung RIP für "rest in peace" oder "requiescat in pace" verwenden. Das zeuge von einer "spirituellen Verwirrung", denn es sei unbiblisch, unprotestantisch und katholischer Aberglauben. Das Argument lautet ungefähr so:

Vor 500 Jahren fiel es Martin Luther wie Schuppen von den Augen und er sah, dass im Moment des Todes die Entscheidung darüber getroffen ist, ob ein Mensch in den Himmel oder in die Hölle kommt. Hinterher lässt sich da nichts mehr machen. Wer etwas anderes glaubt ist dem Papst auf den Leim gegangen. Die Formel "Ruhe in Frieden" (bei Jesus Christus) ist ein Gebet für die Toten und daher unprotestantisch, sagt etwa der Vorsitzende eines Zusammenschlusses evangelikaler Christen in Nordirland. Protestanten rate er davon ab, sie zu gebrauchen.

Der Oranier-Orden, einer der Hauptakteure im auch konfessionell begründeten Nordirlandkonflikt, widmete der Angelegenheit einen Artikel in seiner monatlich erscheinenden Zeitung The Orange Standard. Damit machte er ein Fass auf, das man eigentlich für geschlossen hielt, seit die katholische Kirche und der Lutherische Weltbund 1999 mit ihrer "Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre" den uralten Streit darüber beilegten, wer wie und wann in den Himmel kommt oder eben nicht.

Ein überkonfessionell operierender Bestattungsunternehmer wie Jack Meehan sollte sein Geschäftsmodell überdenken und genau überlegen, wem er die "Ruhe in Frieden"-Karten gibt und wem nicht. Er könnte plötzlich als Agent des Papstes dastehen, der unschuldige Protestanten zum katholischen Aberglauben verführt. In der langen Geschichte der Troubles haben scheinbar nichtige Anlässe immer wieder ausgereicht, um jemanden zu Gewalttaten gegen die eine oder die andere Seite zu motivieren, gegen Katholiken oder Protestanten, was dann das Pulverfass Nordirland erneut entzündete.

Das Karfreitagsabkommen ist so kompliziert, weil es enorm schwierig war, das Vertragswerk so auszutarieren, dass sich möglichst wenige von den Betroffenen als Verlierer fühlten. Kleine Verschiebungen können eine große Wirkung haben. Den Politikern von der Sinn Féin und gemäßigten protestantischen Gruppierungen in Nordirland, von der Labour Party und aus der Republik Irland würde ich zubilligen, dass es nicht nur politisches Kalkül ist sondern echte Sorge, wenn sie Theresa May Verantwortungslosigkeit vorwerfen, weil sie mit der DUP paktiert (einer Partei mit engen Verbindungen zu den Oraniern), um an der Macht zu bleiben.

Intime Geständnisse

Wenn sich Jack Meehan an der Leiche der vergewaltigten jungen Frau zu schaffen macht steht Fallon dabei und will sich eine Zigarette anzünden. Meehan fordert ihn auf, hier nicht zu rauchen, aus Respekt vor den Toten. Von da an sehen wir regelmäßig Zigaretten, wenn es um das Sterben geht. Das ist mehr als ein makabrer Running Gag. Es ist dem Gedanken geschuldet, dass am Ende auch von uns nicht viel mehr bleiben könnte als die Asche an der Spitze einer brennenden Zigarette. Der Film zeigt mehrere Möglichkeiten, mit dieser Erkenntnis umzugehen.

A Prayer for the Dying

Meehan verkauft Beisetzungen mit schönen, von ihm kosmetisch behandelten Leichen, die aussehen, als wären sie lebendig. In Pater da Costas Kirche wird die Hoffnung auf das ewige Leben offeriert. Und gleich nebenan ist ein Rummelplatz aufgebaut. Da kann man sich vergnügen, statt an das Sterben zu denken. Nur bei Fallon klappt das nicht, weil er immer den Tod im Schlepptau hat, auch beim Riesenradfahren mit da Costas Nichte. Die Kinoversion will hier "Stimmung", taucht das Ganze in Contis Musik. Nur im Director’s Cut zu hören sind die lustvollen Schreie der jungen Leute, die sich auf einer Rutschbahn in die Tiefe stürzen.

Bei Hodges hören wir auch, was gesprochen wird. Fallon erzählt Anna, wie er das erste Mal, fast noch als Kind und mehr aus Hilflosigkeit und Überforderung denn in Ausübung eines Plans, einen ebenso jungen und ebenso überforderten britischen Soldaten erschoss, und wie er dann weiter tötete. Sein Geständnis schafft eine Intimität mit Anna, die man braucht, um die folgende Liebesszene zu motivieren. Die Produzenten dachten wohl, dass sich diese Intimität schon irgendwie einstellen würde, wenn das Paar gemeinsam Riesenrad fuhr und Conti ordentlich auf die Tube drückte, um alle Zweifel zu übertönen.

A Prayer for the Dying

Fallons Erzählung, wie er zum Killer wurde, könnte leicht in einen klischeehaften Bekenntniskitsch abgleiten. Die Klangwelt des Rummelplatzes hilft Hodges, dem entgegen zu wirken. Die Schreie von der Rutschbahn könnten auch die Schreie von Fallons Opfern sein. Der Gedanke an den Tod und das lebensbejahende Vergnügen sind enge Nachbarn. Nur im Director’s Cut einmontiert ist Billy Meehan. Er beobachtet das Paar, raucht eine Zigarette und hat bereits beschlossen, Anna zu vergewaltigen. Neben dem Rummelplatz fährt die U-Bahn vorbei. In Hodges’ Film sind auch Fahrzeuge mit dem Tod assoziiert, wie die brennenden Zigaretten.

A Prayer for the Dying

Vom Riesenrad gehen Anna und Fallon zum Pfarrhaus. Ihr Onkel, sagt Anna auf dem Weg dorthin, sei (bei einem Sterbenden) im Krankenhaus und werde da die ganze Nacht zubringen. Da Fallon begonnen hat, von seiner Vergangenheit zu erzählen, kann man das - nur im Director’s Cut - als Angebot verstehen, das Gespräch fortzusetzen. Vor der Eingangstür bleiben die beiden schweigend stehen, zögern, dann gehen sie hinein. In der Kinoversion sagt Anna erst vor der Tür, dass sie die ganze Nacht haben. Das ist eine nicht unerhebliche Akzentverschiebung und lässt nur eine Deutung übrig: Anna will mit Fallon schlafen.

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