Verschwörungen und Entschwörungen

Seite 2: Wenig Kritik am linken Etatismus

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Kritik an dem "Ökoleninismus", wie man in kritischer Absicht eine Position bezeichnen könnte, die den Staat für als fortschrittlich erachtete Zwecke in die Verantwortung nehmen will, ist nur vereinzelt zu lesen.

Dazu gehört ein historisch fundierter Essay von Johannes Hauer in der Jungle World, der erfreulicherweise auch auf Kritiken des Rätekommunisten Willi Huhn verweist:

Auch ein Teil der Klimaschutzbewegung nutzt Krieg und Ausnahmezustand als positive Referenzmodelle für die Agitation, wenn er die Ausrufung des "Klimanotstands" fordert oder die vage geplante grüne Transformation der Wirtschaft mit den Anstrengungen der Kriegswirtschaft im Zweiten Weltkrieg vergleicht.

Solche Ideen stehen in einer fatalen Tradition, die der Rätekommunist Willy Huhn in seinen Studien zum "Etatismus der Sozialdemokratie" bis in die Anfänge der deutschen Arbeiterbewegung zurückverfolgt hat. In weiten Teilen der Bewegung waren die Vorstellungen sozialistischer Emanzipation bereits im Kaiserreich auf den Staat zentriert, den man als Statthalter vernünftiger Allgemeinheit in einer Welt des privaten Egoismus missverstand.

Die Kriegswirtschaft ab 1914 gab diesen Sozialisten daher Anlass zur Freude, führte sie doch zur staatlichen Planung und Leitung des Wirtschaftslebens durch die Oberste Heeresleitung. An die Stelle der "Anarchie des Marktes" tritt die staatliche Organisation, durch die jede Arbeit unmittelbar zum Dienst an der Nation wird.

Johannes Hauer

Zuvor hat Hauer klare Worte zu der Burgfriedenspolitik gefunden, mit der seit März vom DGB-Vorstand Tarifkonflikte - um das hochtrabende Wort von "Klassenkämpfen" hier nicht zu verwenden - stillgelegt hat. Dem stellt Hauer eine Auswahl von selbstorganisierten Kämpfen Lohnabhängiger in aller Welt gegenüber, die zeigen, dass durch Corona längst nicht überall Burgfrieden durchgesetzt wurde:

Tatsächlich übersetzten sich die schockartigen materiellen Verschlechterungen im Zuge der Covid-19-Pandemie sofort in Proteste und Kämpfe in aller Welt, die von neuen Blogs wie "Solidarisch gegen Corona" und "Fever Struggle" dokumentiert werden. In einigen Ländern wurden Supermärkte geplündert, in Städten wie New York laufen die größten Mietstreiks seit beinahe einem Jahrhundert an, es gründeten sich Netzwerke gegenseitiger Hilfe. Wilde Streiks und Arbeitsniederlegungen grassieren.

Nach Beobachtungen von Kim Moody dominierten zunächst vor allem die Forderungen nach Gesundheitsschutz und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Mittlerweile machen sich die finanziellen Engpässe der Unternehmer bemerkbar und es regt sich vermehrt Widerstand gegen Entlassungen und nichtbezahlte Löhne, etwa in zahlreichen italienischen Standorten des Paketzustellers TNT, bei Pizza Hut in London und in Textilfabriken in Bangladesh und Myanmar.

Die Londoner Angry Workers schrieben, einige Lohnabhängige hätten in den Auseinandersetzungen der vergangenen Monate "begrenzte, aber reale Schritte in Richtung Arbeiterkontrolle gemacht", indem sie die Entscheidungsgewalt darüber einforderten, ob, was, zu welchem Zweck unter welchen Bedingungen produziert wird.

So erzwangen beispielsweise 5 000 Arbeiter bei Mercedes im spanischen Vitoria die Werkschließung durch Sitzblockaden, US-amerikanische Arbeiter bei General Electric forderten die Umstellung ihrer Produktion von Flugzeugmotoren auf Beatmungsgeräte, die italienische Basisgewerkschaft SI Cobas hielt ihre Mitglieder in der Logistik an, nur noch die Distribution von Lebensmitteln und medizinischen Gütern zu besorgen.

Johannes Hauer, Jungle World

"Klassenkampf ist das beste Entschwörungsprogramm"

Es ist erfreulich, dass hier einmal der Augenmerk auf diese sehr unterschiedlichen Kämpfe gerichtet und daran erinnert wird, dass diese wesentlich mitentscheiden, wie Post-Corona-Zeiten aussehen. Allerdings sollte damit nicht vermittelt werden, dass die Welt in der Post-Corona-Ära vor einer neuen Welle von Kämpfen und Revolten steht.

Es soll aber doch klar werden, dass solche Kämpfe potentiell möglich sind. Ob sie stattfinden und auch erfolgreich sind, hängt von vielen spezifischen Faktoren ab, nicht zuletzt auch von kämpferischen Gewerkschaften auf der Höhe der Zeit. Ein Beispiel hat die basisdemoratisch organisierte transnationale Basisgewerkschaft IWW mit ihrer digitalen Anleitung zur Selbstorganisation am Arbeitsplatz gegeben.

Damit werden die von Johannes Hauer aufgeführten Arbeitskämpfe konkretisiert. Was vor Jahrzenten der Kampf um jeden Cent mehr und jede Minute Lohnarbeit weniger gewesen ist, kann heute der Kampf um besseren Gesundheitsschutz sein.

Dass es dabei um mehr als um eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen geht, macht der Publizist Daniel Kulla in einem Aufsatz mit dem Titel "Die beste Antwort auf die Verschwörung ist der Klassenkampf" deutlich.

Damit hebt sich Kulla, der sich bereits seit langem kritisch mit Verschwörungstheorien befasst, von einer hegemonialen linksliberalen Strömung ab, die in der Tradition des liberalen Philosophen Karl Popper Verschwörungstheorien vor allem als Angriff auf die bürgerliche Demokratie begreift, dem mit "Entschwörungsveranstaltungen" beizukommen ist.

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