Verschwörungen und Entschwörungen

Seite 3: Ver- und Entschwörungen in der Linken

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Karl Popper prägte den Begriff der Verschwörungstheorie. Es ist frappierend, welche Konjunktur der Begriff mittlerweile auch in Teilen der antifaschistischen Bewegungen gefunden hat. Die wenigsten werden den Bezug zum liberalen Philosophen Karl Popper kennen.

Doch es gibt auch direktere Bezüge. So hat sich schon vor fast 20 Jahren ein Lesekreis der antideutschen Publikation Bahamas mit der Gründung der "Freunde der Offenen Gesellschaft" expliziert auf Karl Popper bezogen.

Popper hat auch bestimmte Spielarten des Marxismus als Verschwörungstheorie bezeichnet. Da ist es dann im Popperschen Sinn nur konsequent, wenn die Taz in einer "Entschwörungsausgabe" in der letzten Woche gleich noch mal Teilen ihrer linken Anfangsgeschichte abgeschworen hat. Doch als Beispiel wurde nicht etwa der regressive Antizionismus herangezogen, den die frühe Taz mit den meisten Gruppen der außerparlamentarischen Linken jener Jahre teilte.

Es war die generelle Staatskritik, dem die Taz noch mal abgeschworen hat. Dabei hat sie ausgerechnet einen der radikalsten Kritiker des Antisemitismus und des deutschen Nationalismus auch im linken Gewand, Wolfgang Pohrt, als Beispiel für verschwörungstheoretische Ansätze in der Zeitung herangezogen.

Dabei hatte Pohrt 1980, wie viele in aller Welt, die offizielle Selbstmordversion der RAF-Gefangenen am 18.Oktober 1977 in Stuttgart-Stammheim angezweifelt und die Selbstgleichschaltung der BRD-Presse in jener Zeit kritisiert. Bei Letzterem handelt es sich allerdings um keine Verschwörungstheorie, sondern um eine historische Tatsache, die auch zur Gründung der Taz führte.

Nun kann selbst sporadischen Taz-Lesern nicht verborgen gewesen sein, dass die Zeitung lange vor Corona schon Merkel unterstützte. Dass man noch einmal die eigene linke Geschichte zumindest in Teilen zur Verschwörungstheorie erklärte, soll verhindern, dass junge Linke wieder in Versuchung geraten, auf radikale Staats- oder Kapitalismuskritik zu setzen.

Das mag bei vor allem theoretisch arbeitenden Gruppen gelingen. Doch Menschen, die sich in ihren eigenen Wohn- und Lebensumfeldern politisch betätigen und organisieren, wissen, dass radikale Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen keine Verschwörungstheorie und Entschwörungsveranstaltungen kein Beitrag zur Gesellschaftskritik sind.

Von ihnen wird abhängen, wie die Gesellschaft nach Corona aussieht. Zu historischem Optimismus ist genau so wenig Anlass wie zum frühen Pessimismus, wie ihn der linksliberale Kulturkritiker Georg Seeßlen bemüht. In einem demnächst im Bahoe-Verlag erscheinenden Buch "Corona-Kontrolle, Nach der Krise, vor der Katastrophe" will Seeßlen schon wissen, dass alles nur noch schlimmer wird.

Mit zunehmender Dauer müssen wir uns indes auch von den Hoffnungen auf eine bessere Post-Krisen-Welt verabschieden. Denn bereits als viele Menschen nur mit ihrem persönlichen Überleben, mit ihren Einschränkungen und mit der Verantwortung für die Nächsten zu tun hatten, setzt die Bewegung von Reaktion und Restauration ein. Die Hoffnungsblasen platzen und es zeichnet sich ab: Die Gewinner der Vor-Krise werden wieder die Gewinner der Nach-Krise sein (mit etlichen Verschiebungen, Verstärkungen und Vermittlungen). Die Verlierer sollen weitere Verluste in Kauf nehmen - ganz im Dienste des "Systems".

Georg Seeßlen, Vorankündigung des Buches Corona-Kontrolle Nach der Krise, Vor der Katastrophe

Drei Monate nach den Corona-Shutdowns werden also alte Textbausteine, die Seeßlen in linksliberalen Medien ineinanderfügt, wieder einmal recycelt. Schließlich passen sie gut zu dem globalen Pessimismus, ohne den es den Corona-Shutdown nicht gegeben hätte, und können einen neuen Stillstand vorbereiten.

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