Viruswaarheid: Niederländischer "Querdenker" in Untersuchungshaft

Seite 2: Radikalisierung

Doch bleiben wir bei Viruswaarheid: Im Laufe des Jahres 2020 fällt deren Anführer Willem Engel mit immer extremeren Aussagen auf. Noch im August schloss er in Het Parool die Gründung einer Partei aus. Er spricht aber von einem "blutigen Volksaufstand", zu dem es gegen die Coronamaßnahmen kommen werde.

Auf Facebook habe er einen Bezug zum 1989 exekutierten rumänischen Diktator Ceaușescu hergestellt. Dieses Schicksal wünsche er der niederländischen Regierung zwar nicht. "Doch denkt daran, dass das immer eine Möglichkeit ist, wenn sich das Volk erhebt."

Der Regierung, fährt der Artikel fort, unterstelle er faschistische Züge. Die Schutzmasken erinnerten ihn an den Judenstern. Und Unterrichtsmaterialien, in denen Kindern die Abstandsregeln erklärt werden, an die Hitlerjugend. Auch einigen Chefredakteuren drohten später Gefängnisstrafen – für die Mitarbeit an einem "legalen Staatsstreich".

In den Niederlanden würde kein Recht mehr gesprochen. Auf Demonstrationen solle man Polizeibeamte und Journalisten filmen. Het Parool wirft daraufhin die Frage auf, wie sich solche Aussagen mit der Botschaft "Liebe und Geduld" vereinbaren lassen.

Es ist natürlich schwer, in so komplexen Angelegenheiten kausale Zusammenhänge nachzuweisen. Aber obwohl die Amsterdamer Bürgermeisterin nach wie vor die Drogenkriminalität für das größte Problem hält, sprechen die gerade erschienenen Zahlen für das Jahr 2021 eine deutliche Sprache.

So stieg die Anzahl der Demonstrationen in der Hauptstadt von 1.422 auf 1.566. Gleichzeitig nahmen die registrierten Gewaltdelikte in der Öffentlichkeit um 75 Prozent zu. Das sei vor allem auf die Demonstrationen auf dem Amsterdamer Museumplatz zurückzuführen, auf dem es oft zu Zusammenstößen wegen der Coronapolitik kam.

Dabei wurden auch die Parolen von Viruswaarheid aufgegriffen. Die Polizei beklagt nun das abgenommene Vertrauen in die Regierung unter den Bürgerinnen und Bürgern. Zudem sei man zwar dazu ausgebildet, mit Hooligans umzugehen, doch nicht mit wütenden Demonstranten. Teils seien dort sogar eigene Verteidigungsgruppen mitgelaufen, die die Protestierenden gegen Polizeigewalt schützen sollten.

Kurzer Erfolg

Anfang 2021 gelang Engel und Pols dann doch ein Coup: Im Januar war es nach Einführung der Sperrstunde in mehreren Städten zu schweren Krawallen gekommen. Im Februar konnten die beiden Vorreiter von Viruswaarheid die Maßnahme dann im Eilverfahren von einem Gericht in Den Haag aussetzen lassen (Niederländische Sperrstunde illegal).

Die Regierung stand dumm dar. Die rechtliche Begründung für das Erlassen der umstrittenen Freiheitseinschränkung hatte sich nämlich als unzureichend herausgestellt.

Der Erfolg von Engel und Pols war jedoch nur von kurzer Dauer: Eine höhere Instanz kassierte das Gerichtsurteil umgehend. Und parallel besserte das Parlament nach.

Doch in dieser Zeit bekam die Initiative auch Probleme mit der Finanzwelt: Erst blockierte die ING das Konto der Stiftung. Die Bank warf Engel vor, Spendengelder veruntreut zu haben, um damit Grundbesitz in Spanien zu kaufen. Dem Finanzhaus habe er Einsicht in Dokumente verweigert.

Ein Gericht in Amsterdam gab Engel dann aber recht: Bei der strittigen Überweisung von 50.000 Euro auf ein spanisches Konto habe es sich um ein Darlehen gehandelt, das der Aktivist inzwischen zurückgezahlt habe. Engel erklärte das Vorgehen damit, dass er von ING und anderen Banken keine Unterstützung bei der Finanzierung seines Kaufs erhalten habe.

Langfristig setzten sich die (auch in Deutschland aktive) Bank mit dem orangefarbenen Löwen und andere Finanzinstitute aber durch: Viruswaarheid und weitere Gruppierungen, die gegen Impfungen aufriefen und angeblich "Fake News" oder "Verschwörungstheorien" verbreiteten, verloren im Laufe des Jahres 2021 Zugang zu ihren Konten.