Visa-Affäre: Stolpert Baerbock über Proxy-Pässe und Vetternwirtschaft?

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock.

Unter Druck: Bundesaußenministerin Annalena Baerbock. Archivbild: Dan Morar / Shutterstock.com

Bericht über Interessenkonflikt eines Ehepaars. Afghanen mit falschen Dokumenten sollen Visa von deutscher Botschaft erhalten haben. Wie das Amt es erklärt.

In der "Visa-Affäre" steigt der Druck auf Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Ihr Ressort sei "außer Kontrolle geraten", schrieb die Neue Zürcher Zeitung am Mittwoch. Das Nachrichtenportal Business Insider warf dem Amt vor, einen brisanten Interessenkonflikt herunterzuspielen.

Auswärtiges Amt beschäftigt Mann von Visa-Anwältin

Im Zentrum steht ein Ehepaar: Die Frau eines Referatsleiters für Visumsrecht vertrete als Rechtsanwältin Afghanen, die in der deutschen Botschaft in Islamabad (Pakistan) Visa beantragen. Der Mann, ein hochrangiger Regierungsbeamter, sei inzwischen in das für Afghanistan zuständige Nahost-Referat versetzt worden.

Die Frau habe zudem ohne offizielle Ausschreibung Aufträge vom Auswärtigen Amt (AA) erhalten. Beispielsweise habe sie ein Rechtsgutachten erstellt und Online-Kurse für Botschaftsmitarbeiter, die Visa-Entscheidungen treffen, erteilt.

Verdacht gegen Baerbock-Staatssekretärin

Erst nach wiederholten internen Beschwerden habe das AA im vergangenen Jahr angekündigt, den Fall zu überprüfen. Auf Anfrage von Business Insider soll die Behörde "nach einigem Hin und Her" eingeräumt haben, dass die Anwältin weiterhin Aufträge erhält. Das Portal berichtete zudem über den Verdacht, dass Baerbocks Staatssekretärin im Zusammenhang mit der Visa-Affäre eine kritische Beamtin "kaltstellen" wollte.

Die Staatsanwaltschaften in Berlin und Cottbus ermitteln bereits mindestens seit Ende Juni in gegen leitende Mitarbeiter der Visa-Abteilung wegen des Verdachts der Rechtsbeugung. Unter anderem sollen sie die Botschaft in Islamabad angewiesen haben, einem angeblichen Afghanen trotz mutmaßlich vorgetäuschter Identität und gefälschten Passes ein Visum auszustellen.

Gefälschte Pässe vs. Proxy-Pässe für Afghanen

Das Amt selbst spricht von "Proxy-Pässen" – es handelt sich demnach nicht um gefälschte Dokumente, aber dennoch um einen Fehler, der nicht hätte passieren dürfen.

Auf die Journalistenfrage, in wie vielen Fällen "sogenannte Proxy-Pässe für Afghanen unerlaubterweise mit Visa für die Einreise nach Deutschland ausgestattet" worden seien, hatte AA-Sprecher Sebastian Fischer hatte am 28. Juni in der Regierungspressekonferenz erklärt, das Amt gehe davon aus, "dass es sich hierbei um weniger als zwei Dutzend Fälle handelt". Das "Wesen eines Proxy-Passes" erklärte er wie folgt:

Ein Proxy-Pass ist aus Sicht des Landes, das ihn ausstellt, ein gültiges Reisedokument. Im Falle Afghanistans – es handelt sich hier ausschließlich um afghanische Fälle – werden Proxy-Pässe von afghanischen Behörden ausgestellt und von den afghanischen De-facto-Behörden, aber auch von der Republik Afghanistan zuvor, als reguläre afghanische Reisepässe angesehen.

Sie sehen aus wie reguläre Reisepässe, und sie fühlen sich an wie reguläre Reisepässe. Sie sind aus unserer Sicht allerdings, und das ist richtig, nicht visierfähig, weil bei Proxy-Pässen oft Dritte, zum Beispiel die Schwester, der Bruder, diesen Pass bei den Passbehörden abholen. Nach unserem Verständnis ist es notwendig, dass der Pass vom Passinhaber selbst abgeholt wird. (...)

Das ist der Hintergrund der Proxy-Pässe. Weil sie aussehen wie Originaldokumente und auch Originaldokumente sind, ist es naturgemäß in einem Visumsverfahren nicht ganz einfach, diese zu erkennen.

Sebastian Fischer, Auswärtiges Amt

Deshalb gebe es speziell geschulte Dokumenten- und Visaberater. Wenn ein Proxy-Pass erkannt werde und die Person trotzdem einreiseberechtigt sei – wie in den genannten Fällen –, "dürfte normalerweise der Proxy-Pass nicht visiert werden, sondern es müsste ein Reisedokument für Ausländer ausgestellt werden".

Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan vor dem Aus?

Im Rahmen des Bundesaufnahmeprogramms (BAP) für Afghanistan hatte die Bundesregierung die Aufnahme Tausender besonders gefährdeter Afghaninnen und Afghanen zugesagt. Dieses Versprechen wird sie nun möglicherweise nicht einhalten: Laut einem Bericht des Redaktionsnetzwerks Deutschland vom heutigen Donnerstag will sie den Großteil der Finanzmittel dafür streichen.

Finanziert wird das Programm aus dem Posten "Resettlement und Leistungen im Rahmen der humanitären Aufnahme" des Bundesinnenministeriums. Dafür sind im Haushaltsentwurf 2025 nur noch 8,9 Millionen Euro vorgesehen, nach knapp 70,5 Millionen Euro in diesem Jahr. Das entspricht einer Kürzung um mehr als 87 Prozent.