Von den "No Fly"-Listen zu "No Transportation"-Listen?
Alles für die nationale Sicherheit: Nicht nur die "No Fly"-Listen sollen geheim bleiben, sondern auch diesbezügliche Gerichtsurteile, das umstrittene Passagierüberprüfungsprogramm CAPPS II wurde eingestellt, wird aber unter neuen Namen weitergeführt
Warum John Gilmore keinen Flug in den USA nehmen kann, ohne vorher seine Identität nachgewiesen zu haben, will man ihm nicht sagen. Der rechtliche Rahmen sei geheim. Gilmore klagte im Juli 2002 gegen diese Praxis - und prompt will die Regierung dafür sorgen, dass auch die betreffende Gerichtsentscheidung sowie die Begründung geheim bleiben. Selbst Gilmore soll nicht erfahren, warum wie über seine Klage entschieden wird.
Es klingt wie eine Satire oder ein schlechter Film: Da will man in ein Flugzeug steigen und den gebuchten Flug antreten und dann heißt es: "Ihre Papiere bitte!" Für uns in Deutschland, die wir an Personalsausweise (respektive gültige Reisepässe) so gewöhnt sind, dass viele schon die Meinung vertreten, es herrsche nicht nur eine Besitz-, sondern auch eine Mitführungspflicht, wäre dies nichts Neues, in den USA jedoch ist das anders. Zumindest war es vor dem 11.09.2001 anders. Nun aber hieß es für den amerikanischen Bürgerrechtler John Gilmore: "Entweder Sie zeigen uns Ihre Papiere (eine Standardprozedur, wenn Gilmores Name auf einer der "No Fly Lists" entsprechend aufgeführt ist) oder Sie sind nicht berechtigt, per Flugzeug zu reisen."
Für ein solches Prozedere wollte John Gilmore zumindest eine rechtliche Grundlage zitiert sehen. Und während man in Deutschland das passende Gesetz vorweisen kann, hieß es gegenüber Gilmore lapidar, dass diese gesetzliche Bestimmung geheim sei. Ironischerweise blieb es Gilmore so verwehrt, nach Baltimore zu reisen, wo er von der Regierung per Eingabe eine Entschädigung für die durch das Passagier-"Screening" verursachte Missstände verlangen wollte.
Der streitbare Bürgerrechtsvertreter fand sich mit diesem Zustand jedoch nicht ab und erhob Klage gegen Senator John Ashcroft. Denn die Fluggesellschaft hatte ihm mitgeteilt, es gäbe eine gesetzliche Regelung seitens des Justizministeriums, die jedoch - wie bereits erwähnt - angeblich geheim ist.
Geheimhaltung von Gerichtsverfahren wird durch nationale Sicherheit begründet
Gilmore sieht in den "No Fly Lists" nicht nur eine Einschränkung seines Rechts auf Freizügigkeit, er stellt sich auch die Frage, inwieweit durch diese Listen das Versammlungsrecht eingeschränkt wird. Wenn es zum Beispiel Bürgerrechtlern nicht mehr möglich ist, mit dem Flugzeug zu einer Demonstration zu reisen, so Gilmore, sei das Versammlungs- und Demonstrationsrecht in Gefahr, zumal da die Größe der USA es problematisch machen, nur mit Bus, Bahn oder Schiff bestimmte Ziele zu erreichen. Weiterhin sei es paradox, wenn einerseits keine verbindlichen Papiere zum Identitätsnachweis in den USA vorgeschrieben sind, andererseits aber eine Nichtvorlage eben solcher Papiere dazu führt, dass man nicht per Flugzeug reisen darf.
Gilmores Klage wurde von dem ersten Gericht abgelehnt, weil es sich für nicht zuständig erklärte. Ein Berufungsgericht sei die richtige Adresse, hieß es. Die Entscheidung dieses Gerichts steht noch aus - aber bereits im Vorfeld zeichnet sich ab, wie die Regierung auf das Auskunftsersuchen Gilmores reagiert: mit dem Wunsch nach noch mehr Geheimhaltung. Wie jüngst bekannt wurde, wandte sich das Justizministerium an das Gericht und forderte dieses auf, weder öffentliche Erklärungen zu der Thematik abzugeben, noch seine Gründe für die wie auch immer lautende Entscheidung in der Öffentlichkeit darzulegen. Auch Gilmore selbst soll nicht erfahren, mit welcher Begründung das Gericht seine Entscheidung trifft. Für Gilmores Anwälte nicht nur ein typischer Fall für die übertriebene Geheimhaltungspolitik der US-Regierung (Milliarden für die Staatsgeheimnisse), sondern vielmehr eine gefährliche Tendenz. "Geheime Gesetze und geheime Gerichte sind gefährlicher als eine Gefahr von außen", lautet der Kommentar von James Harrison, einem der Anwälte Gilmores.
Auf Seiten der Regierung sieht man dies anders. Dort vertritt man die Meinung, niemand dürfe erfahren, auf Grund welcher Bedingungen man in den USA nun per Flugzeug reisen darf oder eben nicht. Und auch warum manche Leute ihre Identität nachweisen müssen, andere wiederum nicht, sei eine Sache der nationalen Sicherheit. Sie werde gefährdet, wenn man dies offen legen würde.
Die "No Fly"-Listen der USA sind seit ihrer Einführung umstritten. Immer wieder kommt es dazu, dass Personen die Reise verweigert wird, ohne dass sie dafür eine Begründung erhalten (Kriegsgegner auf CAPPS-Überwachungsliste). Da die Listen jedoch nicht einsehbar sind, hat der Abgewiesene kaum eine Möglichkeit, sich gegen dieses Prozedere zu wehren. Weder kann er kontrollieren, ob die seine Person betreffenden Daten korrekt sind, noch kann er Löschung verlangen. Und dem ist so obgleich es sich herausgestellt hat, dass die Listen viele falsche Einträge enthalten, nicht hinreichend gepflegt werden und es durch Namensgleichheiten, -ähnlichkeiten oder fremdländische Namen oft genug zu "false Positives" kommt.
Problemlösung durch Umtaufen
Erst kürzlich benötigte Senator Edward Kennedy drei Wochen, um seinen Namen von einer der "No Fly Lists" löschen zu lassen. Ihm war es immerhin möglich, sich direkt mit Tom Ridge vom Heimatschutzministerium in Verbindung zu setzen, um eine Korrektur des Listeneintrages zu verlangen. Für den Normalbürger keine Option.
Das auf verschiedenen Data Mining Programmen basierende CAPPS II (Computer Assisted Passenger Pre-screening System) geriet dementsprechend auch in die Kritik von Bürgerrechtlern (Zuerst die ganz Bösen, dann die weniger Bösen) und wurde, ähnlich wie das Darpa-Überwachungsprogramm Terrorist Information Awareness (Kongress streicht Gelder für Pentagon-Überwachungsprojekt, eingestellt. Und wie das TIA wird auch CAPPS II unter anderen Namen, nämlich als "Secure Flight", weiter geführt. An der prinzipiellen Funktionsweise ändert sich jedoch nichts.
Während also einerseits die Klassifizierung von Passagieren weiter vorgenommen wird und man, ohne eine Begründung hierfür zu erhalten, wahlweise als "unverdächtig", "einer weiteren Sicherheitsüberprüfung bedürfend" oder aber als "Sicherheitsrisiko, das kein Flugzeug betreten darf" eingestuft wird, geht die Bush Regierung nunmehr einen Schritt weiter. Den Empfehlungen der 9/11-Komission folgend, erwägt man zur Zeit, die "No Fly Lists" zu "No Transportation Lists" umzuwandeln, die dann auch auf Kreuzfahrtschiffe sowie auf Amtrak und andere "Reisemöglichkeiten neben der des Fliegens" gelten würden. Die Debatte um den CAPPS II-Nachfolger, so die Kommission, solle die erweiterte Nutzung von "No fly"- und "automatic selectee"-Listen nicht verzögern.
Für Marcia Hofmann vom Electronic Privacy Information Center eine indiskutable Empfehlung. "Wenn die TSA (Transport Security Administration) irgendein Passagierklassifizierungsprogramm entwickelt, ohne Belange des Datenschutzes und der Privatsphäre von Anfang an zu beachten, so kann dieses Programm nicht funktionieren." Die 9/11 Kommission hat gefordert, dass die TSA von Anfang an die Öffentlichkeit und Bürgerrechtler in die Debatte mit einbeziehen sollte. Ob dieser Empfehlung ebenso Folge geleistet wird wie der, umfassende strategische Pläne zum Schutz von Schiffen, LKWs und Massentransportsystemen zu entwickeln und dazu auch die "No Transportation Lists" einzusetzen, bleibt abzuwarten.
Im Falle John Gilmores gibt es mittlerweile immerhin eine positive Entwicklung. Dem Gesuch, die Angelegenheit komplett im Geheimen zu verwandeln, wurde nicht stattgegeben.