Vorzensur in Portugal

Die Regierungskoalition hat sich mit der großen Oppositionspartei auf ein Gesetzesprojekt geeinigt, um eine Vorzensur über die Wahlkampfberichterstattung auszuüben

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Der ehemalige EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hatte es einst klar und deutlich erklärt. Der Portugiese sagte im Jahr 2010, dass die Krisenländer "in ihrer demokratischen Gestaltung, wie wir sie derzeit kennen, verschwinden könnten" (Barroso: Umstürze im Süden Europas möglich). Nun kann in seiner Heimat ein Vorgang beobachtet werden, dass dort die Presse- und Meinungsfreiheit, welche die Portugiesen in der Nelkenrevolution und dem Sturz der Diktatur 1974 errungen haben, geschleift werden soll.

Denn die beiden konservativen Regierungsparteien PSD und CDS, so schreibt auch die spanische Tageszeitung El Pais, hätten sich "in einer Nacht- und Nebelaktion" und mit im Land "unbekannter Schnelligkeit" mit der großen sozialdemokratischen Opposition auf ein Gesetzesprojekt geeinigt. Sogar die Zeitung, die den spanischen Sozialdemokraten nahe steht und damit auch der portugiesischen Schwesterpartei, erklärt, dass offiziell nur von einer "Voransicht" gesprochen werde, doch dass es sich real um eine "Vorzensur" im kommenden Wahlkampf handele.

Portugiesisches Parlament. Bild: Joaomartinho63/CC-BY-SA-3.0

Wie auch portugiesische Medien berichten, sollen alle Kommunikationsmedien gezwungen werden, egal ob privat oder öffentlich-rechtlich, vor dem Wahlkampf ihre Pläne zur Wahlberichterstattung vorzulegen. Zur Prüfung soll eine gemischte Kommission geschaffen werden, die von Personen gebildet wird, die wiederum von den Parteien benannt werden. Und kontrolliert werden soll jede Art der Berichterstattung: Nachrichten, Reportagen, Interviews oder Debatten. Betroffen sollen alle Medien sein: Presse, Radio, Fernsehen. Auch Medien, die nur im Internet agieren, müssen nach dem Entwurf ihre Pläne zur Wahlkampfberichterstattung unter politische Kontrolle stellen. Bei Nichteinhaltung der Vorgaben oder der Korrekturen drohen Geldstrafen von bis zu 50.000 Euro und andere Sanktionen.

Die Vorzensur gilt nicht nur für die 15 Tage der offiziellen Wahlkampagne, sondern sie beginnt mit der Vorstellung der Kandidaten für die Parlamentswahlen im Herbst, weshalb gut ein Monat vorzensiert werden soll. Der Entwurf will den Medien vorschreiben, dass mehr Raum für Nachrichten oder Reportagen gesendet werden müssen als Meinungsbeiträge. Und ein Kommunikationsmedium oder ein Journalist darf demnach auch nicht immer die gleiche Partei kritisieren.

Das Ziel der drei Parteien, die bisher dem Text zugestimmt haben, ist nach Ansicht von El Pais klar: "Sie wollen sich Berichterstattung mit dem Argument der Proportionalität im derzeitigen Parlament gegenüber den kleinen Parteien oder denen sichern, die noch nicht im Parlament vertreten sind." Doch die kleineren Oppositionsparteien lassen sich nicht vor den Wagen der Zensur spannen, die sogar davon profitieren könnten, dass auch in rechten Zeitungen über Aktivitäten der Kommunistischen Partei (PCP) oder des Linksblocks berichtet werden müsste.

"Inakzeptable und gefährliche Einmischung"

Beide Oppositionsparteien haben ihre Ablehnung sehr deutlich gemacht. Die PCP kündigte an, gegen das Gesetz zu stimmen. Über solche Vorschläge gäbe es mit ihr nichts zu debattieren. Besonders deutlich drückte sich die kleine Partei "Livre" (Frei) aus, die von dem Gesetz auch besonders hart getroffen würde. Denn es ist eine Bürgerkandidatur, wie es sie auch in Spanien gibt. Sie ist bisher nicht im Parlament vertreten ("Parlamente von Mafia-Strukturen säubern"). Der Vorstoß zeigt, dass den etablierten Parteien, die in Spanien von Empörten-Parteien als "Kaste" bezeichnet werden, vor den neuen Kandidaturen die Angst in den Knochen gefahren ist. Schließlich hat Syriza schon die Macht in Griechenland übernommen und Podemos (Wir können es) soll im Herbst nach Umfragen in Spanien zur stärksten Kraft werden.

Livre erklärte, es könne nicht sein, "dass die Politik unabhängige und freie Kommunikationsmedien überwacht". Man könne Journalisten nicht vorschreiben, was und wie sie über den Wahlkampf berichten. Es sei ein Unding, dass per Gesetz der Raum festgelegt werden soll, der von Medien für Nachrichten oder Meinung vorgesehen wird: "Auch wenn wir davon ausgehen, dass in vielen Kommunikationsmedien keine gerechte und ausgewogene Wahlkampfberichterstattung gibt, verurteilt Livre jeden Versuch der Zensur oder der Bürokratisierung der Arbeit von Journalisten durch die politische Macht."

Die Medien sehen das ganz ähnlich und haben schnell und heftig auf den Vorstoß reagiert. In einem gemeinsamen Manifest sprechen sie von einer "inakzeptablen und gefährlichen Einmischung". Das Gesetz verstoße klar gegen "Grundsätze von Pressefreiheit und Journalismus". Schon zuvor hatten praktisch alle großen Kommunikationsmedien damit gedroht, gar nicht über den Wahlkampf zu berichten, sollte das Gesetz beschlossen werden. Inzwischen gibt es auch schon Berichte, allerdings bisher ohne offizielle Bestätigung, dass das Gesetz angesichts des massiven Widerstands, nicht weiterverfolgt werde.

Das traditionelle Parteiensystem bröselt

Vor allem für die Sozialdemokratie, die sich auch in Portugal "Sozialisten" nennen, ist das ein Eigentor. Unter ihrem neuen Parteichef, der frühere muss sogar wegen Korruptionsvorwürfen ins Gefängnis, versucht sich die Partei, von der alten Politik abzuwenden. Aber viele im Land haben noch nicht vergessen, dass die Sozialdemokraten mit der Troika den Austeritätskurs beschlossen hatten (Souveränität Portugals ist Geschichte). Sie hatten in der Opposition lange den Kurs der Konservativen mitgetragen. Jetzt in einer solchen demokratiefeindlichen Aktion ausgerechnet mit denen gemeinsame Sache zu machen, zeigt, dass auch den Sozialdemokraten mulmig und ihr inhaltlicher Schwenk wenig glaubwürdig ist.

Auch wenn konservative Zeitungen wie die Schweizer NZZ uns das traditionelle portugiesische Parteiensystem als stabil verkaufen wollen, sehen das die drei alten Parteien vor Ort offenbar anders. Sie befürchten, dass auch in Portugal neue Parteien sie von den Fleischtöpfen vertreiben könnten. Sie greifen deshalb zu so rabiaten Mitteln, um deren Medienpräsenz so klein wie möglich zu halten. Dass sich bei den Kommunalwahlen 2013 schon in 80 Städten und Gemeinden unabhängige Kandidaten durchgesetzt haben und sogar ein Unabhängiger die Metropole Porto regiert, zeigt deutlich, dass auch in Portugal einiges ins Rutschen gekommen ist.

Die linksgrüne Partei Livre hat kurz nach ihrer Gründung zum Beispiel bei den Europaparlamentswahlen vor einem Jahr schon einen Achtungserfolg erzielt. In Lissabon, der Hochburg des Linksblocks, hatte sie vor einem Jahr mit 5,4% sogar schon mehr Stimmen erhalten als die Formation, aus der Rui Tavares ausgetreten ist, der das Aushängeschild der Partei ist. Der 41-jährige promovierte Historiker saß für den Block im Europaparlament. Livre will Europa neu aus dem Süden definieren. Unter anderem aus enttäuschten Mitgliedern des Linksblocks speist sich auch die neue Empörten-Partei "Juntos Podemos" (Spanien und Portugal blicken gespannt nach Griechenland). Getragen von den Erfolgen der spanischen Schwesterpartei könnte auch sie eine Überraschung bringen. © Ralf Streck, den 25.04.2015