Wagenknecht gründet ihre neue Partei: In hellen Gassen und auf dunklen Pfaden

Schaut auf Montag: Sahra Wagenknecht. Bild: Sven Teschke, CC BY-SA 3.0 DE

Verein als Vorstufe zu neuer Partei. Planung war schon lange klar, Perspektive ist es nicht. Was aus Papieren aus dem Umfeld des Projektes hervorgeht.

Am Montag ist es soweit: Sahra Wagenknecht wird nach monatelanger Hängepartie die Gründung einer eigenen Partei bekanntgeben. Indirekt zumindest, denn zunächst wird ein Verein als Vorstufe präsentiert. Der Verein "BSW - Für Vernunft und Gerechtigkeit e. V." geht an die Öffentlichkeit. Indirekt zumindest. Denn öffentlich ist er schon.

Das alles zeigt den holprigen Start des Parteiprojektes, der auf einem Trugschluss beruht: dass ein solches Projekt im Geheimen geplant und vorbereitet werden kann.

Nun haben also das Nachrichtenmagazin Spiegel und das ZDF unter Berufung auf das Umfeld der Politikerin die Präsentation des Vereins übernommen. Nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios wird Wagenknecht die Gründung des Vereins in der Bundespressekonferenz am Montag dennoch vorstellen.

Ziel des Vereins, so die zuerst informierten Medien, sei die Gründung einer eigenen Partei, die Anfang des Jahres die Führung von Wagenknechts bisheriger Partei, der Linken, übernehmen soll.

Damit ist die Katze aus dem Sack, wobei der Sack, um bei dieser Metapher zu bleiben, schon seit Wochen durchsichtig war. Bereits vor gut zwei Monaten hatten Telepolis und die Berliner Zeitung nach einer gemeinsamen Recherche berichtet, dass sich die Wege der bisherigen Linkspartei und des Lagers um Wagenknecht "nach der Sommerpause trennen dürften".

"Auch wenn die Akteure im Lager von Sahra Wagenknecht bis September Stillschweigen vereinbart haben, verdichtet sich das Bild: Die Geheimoperation Parteineugründung ist in vollem Gange", hieß es damals an dieser Stelle:

Im Gespräch ist ein Vereinsmodell. Die Abgeordneten des Wagenknecht-Lagers könnten noch in diesem Jahr einen solchen Verband gründen und damit eine erste Struktur für eine neue linke Partei schaffen. Das käme einer Kaderpartei am nächsten: einer geschlossenen, zunächst auf Gefolgsleute beschränkte Struktur, die so lange bestehen könnte, wie es das Parteiengesetz erlaubt.

Dies hätte aus Sicht der Neugründer mehrere Vorteile. Zunächst würde man sich vor politischer Einflussnahme schützen. Zugleich würde man den Wagenknecht-Gegnern in Partei und vor allem Fraktion keinen unmittelbaren Anlass für Sanktionen gegen die Leute in den noch eigenen Reihen geben. Es wäre schließlich noch keine Gegenpartei.

Skurrile Verwirrtaktik des Wagenknecht-Lagers

Mit der für Montag angekündigten Pressekonferenz hat sich diese Prognose bestätigt. Dabei hatten Vertraute von Wagenknecht vehement versucht, alle Hinweise auf eine Trennung zu dementieren. Im August antwortete eine Abgeordnete, die Wagenknecht nähersteht als jedes andere Fraktionsmitglied, auf die konkrete Telepolis-Anfrage nach einer möglichen Neugründung im Oktober noch in derselben Minute, sie wisse "von nichts".

Und auf den Text vom 11. August über die "Geheimoperation Parteineugründung" meldete sich am 12. August um 02:02 Uhr morgens ein User mit dem Nickname "Red_Baron" im Heise-Forum an, um zehn Minuten später seinen bisher einzigen Kommentar zu hinterlassen, Auszug:

So sehr, wie man sich eine Neugründung auch wünschen mag, so wenig kann man sich sicher sein, dass er wirklich auf einer gründlichen Recherche beruht. Aber wenn man den Artikel glauben will, dann gibt es zur Unruhe und Ungeduld keinen Anlass, denn dann wäre ja mit der angeblichen Vereinsgründung schon unmittelbar nach der Sommerpause zu rechnen. Lassen wir uns also überraschen.

Die IP des Users führte damals nach Mannheim – just der Stadt also, in der nun der Wagenknecht-Verein eingetragen wurde.

Diese ganze am Ende reichlich skurrile Versteck- und Verwirrspiel hatte und hat vor allem einen Grund: Sahra Wagenknecht und ihre Mitstreiter wollen die Ressourcen der bestehenden Fraktion und die Gelder des Bundestages so weit wie möglich und so lange wie möglich für das neue Projekt nutzen.

Die Gegenseite, vor allem Restparteivorsitzende Janine Wissler und andere beschweren sich zwar über dieses Vorgehen. Wisseler und ihre Anhänger machen das Spiel aber mit. Denn sie haben zwar recht, wenn sie darauf verweisen, dass das Wagenknecht-Lager in der noch bestehenden Fraktion in der Minderheit ist.

Das bedeutet im Umkehrschluss aber: Wenn die Wagenknecht-Leute ausscheiden und eine eigene Abgeordnetengruppe im Bundestag gründen, verliert auch die jetzige Fraktion diesen mit Privilegien und Geldern verbundenen Status. Und damit gingen auf der Seite der Wagenknecht-Gegner weitaus mehr Fraktionsarbeitsplätze verloren.

Deswegen machen auch die Anti-Wagenknecht-Linken gute Miene zum spalterischen Spiel.

Dietmar Bartsch: halb Scheidungsanwalt, halb Konkursverwalter

Jetzt haben sich die beiden Lager also endgültig getrennt, leben aber in einer Art Zweckgemeinschaft weiter zusammen.

Dabei gibt es ein gemeinsames politisches Projekt schon lange nicht mehr. Mitarbeiter der Fraktion schilderten gegenüber Telepolis eine, wie sie sagten, "unerträgliche Situation": Vertreter beider Lager haben im Jakob-Kaiser-Haus in der Berliner Wilhelmstraße in unmittelbarer Nähe ihrer Büros, grüßen sich aber nicht mehr, wenn sie sich auf dem Flur begegnen.

Die gemeinsamen Arbeitskreise der Fraktion sind teilweise zusammengebrochen, kaum jemand nimmt mehr an gemeinsamen Gremiensitzungen teil. Anträge der Gegenseite werden – wie seit Jahren üblich – nicht mehr blockiert oder auch nur diskutiert. Man interessiert sich schlichtweg nicht mehr für den anderen.

Der Bundestag hat damit de facto eine Oppositionsfraktion verloren. Der Noch-Fraktionsvorsitzende der Linken, Dietmar Bartsch, ist halb Scheidungsanwalt, halb Konkursverwalter.

Im Umfeld der neuen Wagenknecht-Partei ist die Trennung gedanklich und politisch ohnehin längst vollzogen, diskutiert werden dort schon die Perspektiven.

In einem internen Debattenpapier zu dem bundesweiten Arbeitskreis "Was tun?", der sich Anfang Mai in Hannover konstituiert hat und der als Gremium linker Unterstützer von Wagenknecht gilt, hieß es unlängst: "Die Partei Die Linke ist für eine antimilitaristische, antiimperialistische und an den gemeinsamen Interessen der Arbeiterklasse orientierten linken sozialen Politik (vermutlich unwiederbringlich) verloren." Und weiter:

Neuformierungen, Umformierungen, Spaltungen sind (…) niemals etwas Abruptes, was sich von heute auf morgen vollzieht. Dazu kommt, dass auch neue Formationen ja erst mal ihre Stabilität erweisen müssen.

Ohne die gesellschaftlichen Verhältnisse gleichzusetzen: 1914 ff. dauerten diese Neu- und Umformierungsprozesse neun Jahre. Sie enthielten unterschiedlichste Varianten. Helle Gassen genauso wie dunkle perspektivlose Pfade, die wieder aufgegeben werden mussten.

Die Distanz, die selbst wohlwollende Akteure gegenüber dem neuen Parteiprojekt bewahren, ist offensichtlich.

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