Wehrpflicht-Debatte: Tag der Kriegsdienstverweigerung mit neuer Brisanz

Noch zwingt sie niemand: Bundeswehr-Gelöbnis zum 20. Juli 2023. Foto: Dr. Frank Gaeth / CC BY-SA 4.0

Proteste gegen Militärzwang vor Botschaften von Russland, Belarus und Ukraine. Bald könnte das Thema junge Deutsche einholen. Ein Kommentar zum Stand der Debatte.

Die Ukraine gerät an mehreren Fronten gegen die russischen Angreifer militärisch unter Druck. Schon beginnt die Diskussion, warum so viele Männer im wehrfähigen Alter in Deutschland leben. Besonders Politiker der Unionsparteien haben sich immer mit Vorschlägen hervorgetan, wie sie diese Menschen an die Front schicken können.

So schlug der wehrpolitische Sprecher der CDU, Roderich Kiesewetter vor, ukrainischen Männern das Bürgergeld zu kürzen, wenn sie sich nicht beim Militär melden.

Deserteure und Kriegsdienstverweigerer im Blick

Dem widersprechen Pazifisten und Antimilitaristen vehement. "Kriegsdienstverweigerung ist kein Verbrechen" lautet ihr Motto. Wie jedes Jahr gedachten sie auch am gestrigen 15. Mai zum Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung den Menschen in aller Welt, die sich dem Krieg widersetzt haben und sich noch immer widersetzen – vor allem durch die Weigerung, in den militärischen Strukturen mitzuwirken.

Am 15. Juni gingen auch in Deutschland die Antimilitarist*innen in verschiedenen Städten auf die Straße, um sich für die Rechte der Kriegsgegner in allen Ländern einzusetzen. Dabei steht der Ukraine-Krieg in Deutschland im Mittelpunkt.

Mahnwachen gegen Militärzwang vor drei Botschaften

Mehr als 30 Organisationen haben sich zur Object War Campaign zusammengeschlossen. Ihr zentrales Anliegen bringt Lothar Eberhard, der seit vielen Jahren in antimilitaristischen Gruppen aktiv ist, auf den Punkt: "Wir fordern den Schutz aller, die in Russland, in Belorussland und der Ukraine den Kriegs- und Militärdienst verweigern".

Am 15. Mai wurden diese Forderungen vor den Botschaften der drei Länder in Berlin zum Ausdruck gebracht. Die Mahnwache, an der sich auch Kriegsgegner aus mehreren osteuropäischen Staaten beteiligten, begann um 10 Uhr vor der belorussischen Botschaft, die am Treptower Park ihr Domizil hat.

Um 12 Uhr war die Stimme der Antimilitaristen vor der Botschaft der Ukraine in der Altbrechstraße 26 zu hören, um 14 Uhr begann die Mahnwache vor der russischen Botschaft Unter den Linden.

Motto: Kriegsverrat ist Friedenstat

Im Anschluss sind die Kriegsgegner nach Potsdam gefahren, wo um 17 Uhr in der Breite Straße 1 in der Nähe des Landtags die Ausstellung "Kriegsverrat ist Friedenstat" eröffnet wurde. Damit will der antimilitaristische Förderverein an den Wehrmachtsdeserteur Ludwig Baumann erinnern.

Er hatte 1990 mit weiteren Wehrmachtsdeserteuren, engagierten Wissenschaftlerinnen und Historikern die Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz gegründet. Ihrem Engagement ist es zu verdanken, dass – wenn auch spät – diejenigen rehabilitiert wurden, die sich dem Krieg des NS-Regimes verweigert hatten.

Zeitenwende: Militaristische Töne auch von Liberalen

Die damals ausgelöste Diskussion sorgte auch dafür, dass Kriegsverweigerung und Desertion aus dem Ruch des Landesverrats herausgelöst wurde. Doch spätestens seit dem Angriff der russischen Truppen auf die Ukraine und der folgenden militärpolitischen "Zeitenwende" nehmen die Angriffe gegen entschlossene Kriegsgegner:innen wieder zu, wie der Publizist Gerald Grüneklee in seinen kürzlich erschienenen Buch "Nur die Lumpen werden überleben" analysiert.

Dort beschreibt Grüneklee auch, wie selbst Liberale von "Lumpenpazifisten" reden, in einer abwertenden Sprache, früher militaristischen Kreisen vorbehalten war. Die Object War Campaign hatte ab dem 7. Mai im Rahmen einer Aktionswoche mit Diskussionsveranstaltungen und Aktionen für die Rechte der Deserteure und Kriegsgegnerinnen geworben. Dabei steht auch die Bundesregierung in der Kritik.

"Angesichts des Krieges in der Ukraine brauchen wir eine klare Zusage der deutschen Bundesregierung und der europäischen Institutionen, dass bei Desertion und ausdrücklich auch bei Militärdienstentziehung in Russland Flüchtlingsschutz garantiert wird. In bisherigen Asylverfahren werden die Betroffenen nach wie vor abgelehnt", so Rudi Friedrich vom Kriegsdienstverweigerung-Netzwerk Connection.

Wird Kriegsdienstverweigerung in Deutschland wieder aktuell?

Kriegsdienstverweigerung könnte bald auch in Deutschland wieder einen größeren Stellenwert bekommen. Die CDU hat kürzlich auf ihren Bundeskongress die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht für Männer beziehungsweise die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht auch für Frauen gefordert.

Auch einige Militärs haben sich entsprechend geäußert. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) scheint solchen Überlegungen nicht abgeneigt und hat diesbezüglich für Ende Mai einen Vorschlag angekündigt.