Wenn Spaß zur Politik wird

Der Boom des Politkabaretts im Libanon

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

"LBC", "New TV", "OTV" - jeder wichtige libanesische Sender hat sie im Programm: die eigene Politsatire-Show. Die käut hämisch akkurat das wider, was die Nachrichtensendungen soeben vermeldeten. Allerdings nur so weit, wie es der Ideologie des jeweiligen TV-Senders dient. Wo Politik keinen Spaß mehr macht, wird Spaß zur Politik. Ein mitunter gefährliches Phänomen, aber eines, das nicht nur die Libanesen, sondern die gesamte arabische Welt fasziniert.

"Heute Nacht habt ihr zwei Möglichkeiten: Entweder ihr gebt euer Einverständnis, dass keiner beleidigt ist, egal, über wen wir uns lustig machen - oder die Show dauert 10 Minuten. Alsooo? Gebt ihr euer Einverständnis?"

"Jaaa!!!"

"Keiner wird beleidigt sein?"

"Neeein!!!"

"Ihr wollt also eine offene Show? Na gut, dann sind wir bereit für eine offene Show!"

Der Nachtclub des Hotel Royal an der Straße nach Jounieh, dem schicken christlichen Vorort Beiruts, quillt über. Das Publikum tobt. Nur zu gut haben alle verstanden, wen Libanons Comedystar Mario Bassil gerade nachgeäfft hat: Hassan Nasrallah, den Chef der Hisbollah. Dieser hatte im Sommer 2006 Israel einen "offenen Krieg" angekündigt, nachdem der Erzfeind die Wohnviertel der libanesischen Schiiten im sogenannten Julikrieg gnadenlos bombardiert hatte.

Aus der Nachtclub-Show von Mario Bassil

Politische Instrumentalisierung der Medien

Seit über vier Jahren freut sich Mario Bassils Politkabarett über großen Zulauf. Kurz zuvor hatte sich das ereignet, was den Libanon nahezu an den Abgrund eines neuerlichen Bürgerkrieges getrieben hatte: das Attentat auf Ex-Premier Rafik al-Hariri im Februar 2005 (vgl. Syrien wieder im Visier der USA). Ein Politmord, der sämtliche verdrängten Feindschaften in dem kleinen Zedernstaat offen ausbrechen ließ und das Volk in zwei große Blöcke spaltete, in den so genannten "pro"- und in den "contra"-westlichen. In Gegner und Verfechter des bewaffneten Widerstandes gegen Israel. Wessen Ansichten Bassils Politkabarett vertritt, verrät seine spöttische Imitation von Nasrallah somit eindeutig - und er verrät sie nicht nur in Nachtclubs, sondern auch im Fernsehen. Zumindest auf bestimmten Sendern.

Tatsächlich habe es nicht lange gedauert, bis die extreme Polarisierung, die die Ermordung Hariris ausgelöst hat, sich in Politcomedies im Fernsehen niederschlug, erklärt Mayssa Awad, die Medienredakteurin der libanesischen Tageszeitung "As-Safir". Mit Ausnahme der muslimisch-religiösen oder christlich-religiösen Kanäle hätten alle mit der Ausstrahlung eigener Shows begonnen. "Da im Libanon aber auch die Fernsehsender polarisiert sind, folgen die Witze natürlich deren jeweiliger politischer Linie. Gelacht wird also weniger um des Lachens willen, sondern um die gegnerische Fraktion lächerlich zu machen", sagt Awad.

Die Fronten sind dabei klar verteilt: Wer das von einer schiitischen Familie geführte "New TV" oder das dem Christenführer General Michel Aoun zugehörige "OTV" einschaltet, erwartet sich eine Fortsetzung der jüngsten parlamentarischen Schlammschlacht gegen das "pro-westliche" Lager. Für die Gegenrichtung zuständig zeichnen der "Forces Libanaises"-Sender "LBC" oder das der Hariri-Familie eigene "Al-Mustaqbal-TV"

Der Witz zwischen Therapie und Lunte

Diese Instrumentalisierung der Medien an sich erklärt aber noch nicht den seit Jahren anhaltenden Boom der mal mehr, mal minder seichten Politsatiren. "Was tatsächlich dahinter steckt ist ein Bedürfnis, das alle Libanesen teilen - nämlich, mit den eigenen Ängsten humoristisch umzugehen", führt Awad aus und meint das Damoklesschwert, das in nahezu rhythmischen Intervallen immer wieder über dem Libanon schwebt und zwischen 1975 und 1990 bereits in das Land eingefallen war - den Bürgerkrieg.

Aus der extrem beliebten Sendung "Arbat Tanchall" auf NewTV. Die dazu gehörige Szene zeigt, wie man Fuad Siniora, ex-Premier, die Nase putzt. In Anspielung auf seine idiotischen Heulattacken während des Sommerkrieges 2006, als er vor den Medien ständig in Tränen über die Opfer der israelischen Bombardierung ausbrach. Als ob sie ihn kümmern würden... Seither gilt er als "Premier Buhuuuuu".

Vor seinem Abgrund wähnten sich viele neuerlich in 2006, als Israel die schiitischen beziehungsweise die der Hisbollah zugehörigen Landesteile angriff (vgl. Die Lage im Nahen Osten eskaliert weiter) und zahlreiche Libanesen der "Partei Gottes" vorwarfen, lieber das eigene Land der Zerstörung preiszugeben als ihren bewaffneten Widerstand aufzugeben . Zu ihnen gehörte auch der Kabarettist Charbel Khalil.

In seiner damaligen Satire-Sendung befragte er einen Schauspieler, der Hassan Nasrallah doubelte, wann die Hisbollah ihre Waffen abgeben werde, worauf dieser erwiderte, dass dies in weiter Ferne stünde, da Israel immer noch die Shebaa-Farmen im Landessüden und somit libanesischen Boden besetze. Doch selbst wenn dieser zurückerorbert werde, stünde eine Abgabe der Waffen nicht zur Debatte - schliesslich gelte es noch den Garten eines libanesischen Landsmannes in Detroit befreien, da dieser von einem amerikanischen Juden besetzt werde.

Charbel Khalils Sketch beweist eindrücklich, dass die Politsatire im Libanon nicht bloss eine humoristische Ablenkung von realen Gefahren ist, sondern - ganz im Gegenteil - selbst gefährliche Lunten legen kann. So sprach sein Spott zwar einem Teil der Libanesen aus dem Herzen, trat dem anderen aber gefährlich nahe: die Sendung trieb Tausende protestierender Nasrallah-Anhänger auf die Straßen. Erst die Erklärung des Schiitenführers, dass es jedem Libanesen überlassen sei, wie er über den Widerstand denken wolle und er jedenfalls das Ganze nicht persönlich nehme, beschwichtigte die Gemüter wieder.

Reges Interesse in arabischen Nachbarstaaten

Nasrallahs moderate Reaktion ist zweifelsohne seinem diplomatischen Geschick geschuldet. Aber auch der vergleichsweise großen Redefreiheit im Libanon. In ihr sieht Awad den Hauptgrund für die hohe Popularität, die die Politsatiren in Libanons arabischen Nachbarstaaten genießen.

Auf meinen Reisen durch die Emirate, Saudi-Arabien oder Syrien bin ich immer wieder überrascht, wie detailliert die Menschen dort unsere Politshows verfolgen. Ich denke, es fasziniert sie, dass wir Sachen aussprechen dürfen, die in anderen Ländern des Mittleren Ostens verboten sind. Fast scheint es, als sei unser Kabarett ihr Tor zur Politik.

Genau deshalb bedauert Awad auch das kabarettistische Niveau. Vielfach seien die Witze nur eine dümmliche Verunglimpfung des politischen Gegners. So stelle sich das Land ein Armutszeugnis aus - und langweile letztlich auch sein Publikum. Mit einem baldigen Abflauen des Interesses rechnet sie dennoch nicht. Dazu sei die Politik viel zu sehr Tagesgespräch und zudem ereigne sich ständig Neues, über das es wieder humoristisch herzufallen gelte. Diesem Sog könne sich keiner entziehen, sagt die Medienredakteurin und beweist es, indem sie selbst begeistert einen der wohl nettesten Witze wiedergibt:

Darin geht es um den Größenwahn unserer beiden verfeindeten Christenführer, die am Libanon wie an einem Stück Seil zerren: General Michel Aoun und Samir Geagea. Gott ruft beide zu sich, um sie zu versöhnen. Geagea geht auf Gott zu und sagt: ‚Ich bin dein Sohn‘. Daraufhin ruft Aoun spontan: ‚Du bist weder mein Sohn, noch kenne ich dich‘.