Wer beerbt den Weltsouverän?

Seite 2: Niederlage im Nicht-Krieg

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Im Januar 2006 analysierte der Leipziger Philosoph Georg Meggle die handlungsleitenden Motive der US-amerikanischen Kriegsmaschine und zog die Schlussfolgerung, der Countdown für Luftangriffe auf den Iran habe bereits begonnen (Bomben auf den Iran?). Er benannte mehrere Motivationsstränge (Geostrategie, Israel, Krieg gegen den Terror, Nuklearwaffen), verwies auf die US-Propaganda zur Akzeptanz des Krieges in der Weltöffentlichkeit und schloss mit einem weiteren Argument: Ein neuer Krieg sei „auch notwendig, um die militärische Glaubwürdigkeit der Supermacht wiederherzustellen. Die Irak-Scharte muss ausgewetzt werden. Gerade mit Blick auf die anderen islamischen Länder.

Meggles Beweisführung war überzeugend. Etwa anderthalb Jahre später jedoch haben die USA, vielen Vorhersagen zum Trotz, immer noch keine „chirurgischen Luftschläge“ gegen den Iran ausgeführt. Was hat sie zurückgehalten? Die Bedenken der NATO-Verbündeten, Russlands und Chinas allein hätten die USA sicherlich nicht abgeschreckt. Aber infolge der niederschmetternden, nur noch Schadensbegrenzung erlaubenden Entwicklung im Irak dreht sich in Washington nun die Spirale der Verunsicherung. Die Furcht, dass es beim Auswetzen der Scharte noch schlimmer werden könnte, hält die Supermacht davon ab, den Iran zu züchtigen. In den irakischen Städten tobt ein apokalyptischer, verlustreicher Nicht-Krieg, der nach dem Sieg im Blitzkrieg von 2003 alle strategischen Absichten und gesichtswahrenden Ersatzpläne durchkreuzt.

Was im Irak geschieht, ist aus weltherrschaftlicher Perspektive irreal. Wäre es aus dieser Perspektive absehbar gewesen, hätte man lieber mit Saddam Hussein kollaboriert. Nun weiden sich nahezu alle Völker der Welt an der Schmach des Weltbeglückers. Die Niederlage im Nicht-Krieg entzieht den Vereinigten Staaten die militärisch wohl bedeutsamste Herrschaftskompetenz: über Besitz und Nichtbesitz von Nuklearwaffen allein entscheiden zu können.

Die Folgen sind noch nicht abzusehen. Hätte man die Irak-Operation erfolgreich abgeschlossen, hätten sich nur Randfiguren über das Folterlager von Guantanamo erregt. Nun gehört die Entrüstung über die vom rechten Weg abgekommenen Terrorbekämpfer zum guten Ton. Der „Schiedsrichter Eurasiens“ benötigt heute für jedes Vorgehen in Eurasien die Hilfe starker Partner. Die Demokratische Partei der USA und Vordenker wie Francis Fukuyama werben für den Verzicht auf Alleingänge und einen „nüchternen liberalen Internationalismus“4, doch nicht aus tiefer Überzeugung, wie ihnen bei uns beflissen unterstellt wird, sondern in Anbetracht des angerichteten Desasters. Kommen weitere Niederlagen hinzu (Afghanistan, neue Anschläge), mag in Washington die Bereitschaft zu einem militärischen Verzweiflungsschlag wachsen. Schon wird gemahnt, man dürfe die Supermacht nicht allzu sehr demütigen. Ohnehin liegen israelische und amerikanisch-jüdische Wortführer der US-Regierung mit Warnungen vor dem nächsten „Holocaust“ und den Folgen einer Appeasement-Politik gegenüber dem Iran in den Ohren.5

Die Frage ist wohl eher, ob die Vereinigten Staaten dem eingefleischten Drang widerstehen können, im eigenen Auftrag Weltordnungskriege anzuzetteln. In Diskussionsforen von Eliteuniversitäten ist der Verzicht auf das Erstschlagsprivileg nur ein konsequenter Denkschritt. Auf dem Spiel steht aber die Evidenz globaler Durchsetzungsfähigkeit. Das meist süffisant benutzte Schlagwort von der Pax Americana hat an den Börsen eine konkrete positive Bedeutung. Der „Frieden“, gesichert durch Streitkräfte, die jedes Land binnen Stunden in die „Steinzeit“ zurückbomben können, schiebt den Absturz der Kapitalanleger ins Bodenlose auf. Auch und gerade Chinesen und Russen mit ihren riesigen Dollarreserven sind gegenwärtig noch an der Effizienz der amerikanischen Ordnungskraft interessiert.

Bei Fortgeltung der vertrauten Kriegsgründe steckt die letzte Entscheidung zum Losschlagen im schmerzlichen Detail. Einige Wirtschaftsexperten meinen, der entscheidende Beweggrund für einen Krieg gegen den Irak sei dessen Entschluss im Jahr 2000 gewesen, die Öllieferungen künftig in Euro statt in US-Dollar abzurechnen. Vermutlich wird hier die Bedeutung dieses Währungswechsels überschätzt. Aber er passt ins Bild. Im April 2007 wurde prompt gemeldet, dass nun auch der Iran im Außenhandel und bei seinen Auslandsguthaben den US-Dollar durch den Euro ersetzen wolle. In den Monaten zuvor hatten die Vereinigten Staaten die Banken mit massivem Druck zu überreden versucht, nicht mehr mit iranischen Kunden zu handeln. Die Zeit wird kommen, da Europa und China das Für und Wider eines Verzichts auf ernsthafte Währungskonkurrenz – zwischen Euro, Yuan und Dollar – abwägen müssen.

Und die Zeit wird kommen, da sich die vulgärökonomische Behauptung, in den beiden Irakkriegen sei es wesentlich um die Kontrolle über die Ölreserven des Nahen Ostens gegangen, bewahrheiten wird. Sie war primitiv, da sie den Wandel der Weltwirtschaft ausblendete. Die Amerikaner wollten zum wiederholten Mal an grotesk unterlegenen Gegnern ihre imperiale Vertrauenswürdigkeit demonstrieren. Wenn diese aber allseits bezweifelt wird, ist es bereits zu spät für solche Demonstrationen. Dann muss sie durch herkömmliche, ortsgebundene Raubzüge erst wieder verdient werden – auch durch Zugriffe dort, wo das Öl und andere lebenswichtige Rohstoffe (Kupfer, Silber, Zink und Nickel) nun einmal lagern. Dann treten die ärgerlichen stillschweigenden Bedingungen des selbstgegründeten Wachstums hervor.

Der demokratische Präsident Jimmy Carter wusste sehr wohl, warum er die Sicherung der Ölreserven am Golf zur amerikanischen „Doktrin“ adelte. Die Vereinigten Staaten bleiben abhängig von Ölimporten; das verleiht dem Anschlag eines Sprosses der saudi-arabischen Bin-Laden-Dynastie auf das Welthandelszentrum den Charakter eines familiären Schmierentheaters.