"Wie Hooligans": Israels Gaza-Feldzug 2008 und 2009

Israelischer Soldat auf dem Merkava-Panzer Mark IV

Israelischer Soldat auf dem Merkava-Panzer Mark IV im Gazastreifen während der Operation "Gegossenes Blei", 2019. Bild: ChameleonsEye / Shutterstock.com

Das brutale Vorgehen gegen Palästinenser hat sich abgezeichnet. Ebenso wie der Umgang mit den Kritikern der Armee. Ein kommentierender Rück- und Ausblick.

Die Operation "Gegossenes Blei" zeigte schon vor 15 Jahren das gewaltsame Ende von Politik. Und offenbart Parallelen einer Tragödie. Mit einer bösen Ahnung: Warum die Grenzen zwischen Staatsgewalt und Terrorismus verschwimmen.

Israel macht mehr und mehr von sich reden als Staat mit besonderer Lizenz zum Töten. Wer im Meinungskorridor nicht mitmarschiert, ist plötzlich Antisemit. Am Gaza-Desaster zeigt sich jedoch etwas, wofür Israel geradezu ein Muster abgibt: Die fatale Dialektik von Staat und Krieg. Und da gibt es eine spezielle Gaza-Vorgeschichte, in mehr als einer Hinsicht problematisch.

Der aktuell in Gaza wütende Krieg hat ein Vorspiel, das 15 Jahre zurückliegt, woran es insofern heute einmal mehr zu erinnern gilt: Die israelische Militäroffensive Cast Lead ("Gegossenes Blei") vom Winter des Jahres 2008/2009. Es ist bestürzend, wie die Verhältnisse einander gleichen, auch in den Mitteln der Rechtfertigung; und sich an Härte (Gnadenlosigkeit) und Blutvergießen indes ins Extreme steigern.

Die Militäraktion um die Jahreswende 2008/2009 hielt die Welt in Atem. Die Zeitschrift Vereinte Nationen (VN) nannte in ihrer Ausgabe 6/2010 unter Berufung auf den Untersuchungsbericht der UN (im Folgenden "Goldstone Report") sowie auf weitere Quellen, darunter Ärzte ohne Grenzen, nähere Einzelheiten. Hier kann nur ein grober Überblick gegeben werden.

Kalkulierter Tod

Bei der Operation, die – gleich wie im Gazakrieg heute – als Antwort auf Raketenangriffe der Hamas offiziell legitimiert und seitens der israelischen Regierung als alternativlos eingestuft wurde, verloren in den drei Winterwochen zwischen dem 27. Dezember 2008 und dem 18. Januar 2009 schätzungsweise 1.400 Palästinenser ihr Leben, unter ihnen 350 Kinder; 13 Israelis starben.

Um diese Jahreszeit können in Gaza die Temperaturen morgens und abends auch unter 10 Grad fallen, es ist also kalt. Kritiker behaupteten, schon dies sei Bestandteil des Kalküls gewesen.

Der UN-Bericht, nach dem Kommissionsvorsitzenden Richard Goldstone benannt, bietet ambitionierte 450 Seiten voll mit Fakten und Problematisierungen.1 Die englische Bezeichnung der Kommission lautete: "UN Fact-Finding Mission on the Gaza Conflict".

Fact-Finding Mission

Richard Goldstone. Bild: The Academy of Arts and Sciences / CC BY-SA 4.0 Deed

Goldstone, ein profilierter südafrikanischer Jurist und Völkerrechtler, 1938 in Johannesburg geboren, entstammt einer jüdischen Unternehmerfamilie. Anfang April 2009 wurde Goldstone von der UN-Menschenrechtskommission beauftragt, mögliche Menschenrechtsverbrechen während der israelischen Militäroperation "Gegossenes Blei" aufzudecken.

Neben der Dokumentation und Rekonstruktion des eigentlichen Kriegsgeschehens schloss Goldsteins Fact-Finding Mission eine Fülle rechtlicher Fragen ein, wie diese:

Konnte sich Israel auf das Selbstverteidigungsrecht stützen? Ist es im Gaza-Streifen "Besatzungsmacht" im Sinne des Völkerrechts? Hat es im Zuge der Operation gegen Völkerrecht verstoßen?

Der Goldstone-Bericht zum Gaza-Krieg 2008/2009 aus Sicht des Völkerrechts, VN 6/2020

Die "Goldstone-Gefahr"

Vorweg gesagt, kaum je hat ein UN-Bericht dermaßen viel Aufsehen erregt, so urteilten jedenfalls alsbald Beobachter und Experten. Kurz nach Erscheinen am 15. September 2009 war der Bericht in aller Munde. Die israelische Regierung hatte Goldstones Ermittlungen allerdings boykottiert.

Aus gutem Grund: Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sah sich unter Druck und stufte den Bericht glatt als Bedrohung für Israel ein, indem er ihn die "Goldstone-Gefahr" nannte.

Einige der Fakten. Die folgenden Angaben stammen aus dem Goldstone Report unter Mitverwendung von Norman G. Finkelstein: Israels Invasion in Gaza, März 2011, sowie Angaben der AG Friedensforschung.

Operation Gegossenes Blei

Am 27. Dezember 2008 vormittags startete Israel die Operation "Gegossenes Blei"; in den Straßen Gazas herrschte dichter Passantenverkehr. Mehr als 300 Menschen starben allein an diesem Tag. "In der ersten Woche griff Israel Gaza aus der Luft an. Ab dem 3. Januar 2009 kamen zum Luftbombardement Angriffe der Bodentruppen hinzu."

Das israelische Luftwaffenkorps, das "über die modernsten Kampfflugzeuge der Welt verfügt", flog laut Finkelstein annähernd 3.000 Einsätze über Gaza und warf 1.000 Tonnen Sprengstoff ab. "Von der israelischen Armee waren mehrere Brigaden im Einsatz, die über ausgefeilte Spähtechnik und hoch entwickelte Waffen verfügten, darunter Roboter und mithilfe von Bildschirmübertragung ferngesteuerte Gewehre."

Während des Angriffs, so Finkelstein weiter, schossen palästinensische Gruppen rund 570 meist rudimentäre Raketen sowie 200 Mörsergranaten auf Israel ab. Am 18. Januar trat eine Waffenruhe in Kraft, "aber die wirtschaftliche Strangulierung Gazas wurde fortgesetzt."2

In der Mehrzahl: Zivile Todesopfer

Mehr als die Hälfte der 1.400 palästinensischen Todesopfer waren Zivilisten, andere Quellen sprechen von bis zu vier Fünfteln. Etwa 5.400 weitere Personen auf palästinensischer Seite wurden verletzt, darunter 1.872 Kinder und 800 Frauen. Mehr als 20.000 private und öffentliche Häuser und Einrichtungen wurden zerstört. Auf israelischer Seite forderten die Kämpfe und der Beschuss israelischer Städte 13 Tote, darunter drei Zivilisten.3

Wie Finkelstein im Nachgang festhielt, wurden von Israel außerdem zerstört und beschädigt: Fast die Hälfte der 122 Gesundheitseinrichtungen Gazas (darunter 15 Krankenhäuser), 29 Krankenwagen, 280 Schulen und Kindergärten, 45 Moscheen, 1.500 Fabriken und Werkstätten, Anlagen für die Strom- und Wasserversorgung, Klärwerkanlagen, 190 Gewächshausanlagen, 80 Prozent der Ernten und fast ein Fünftel der landwirtschaftlichen Nutzfläche.

Finkelstein beruft sich u. a. auf Human Rights Watch, demnach zündete Israel "phosphorhaltige Munition mehrfach über Wohngebieten: Dabei wurden Zivilisten getötet und verletzt und zivile Gebäude beschädigt, darunter eine Schule, ein Markt, eine Lagerhalle für humanitäre Hilfsgüter und ein Krankenhaus."

Fatal: Die "Militärische Logik"

Zentralen Raum im Goldstone-Papier nimmt die Dokumentation von Verstößen gegen Regeln zum Schutz der Zivilbevölkerung ein. Staaten sind verpflichtet, zwischen militärischen und zivilen Zielen zu unterscheiden; unverhältnismäßige Angriffe sind verboten. Diese Gebote, so die Kritik, hat die israelische Armee in vielfacher Weise verletzt.

Die UN Mission unter Goldstones Leitung befasste sich direkt mit zahlreichen Vorfällen, bei denen Frauen und Kinder infolge von absichtlichen oder wahllosen Angriffen der israelischen Streitkräfte getötet wurden und dokumentierte gezielte Angriffe auf die Zivilbevölkerung, die keiner "militärischen Logik" folgten, darunter auf Zivilisten, die sich ergeben wollten.4

Der Fall der Familie al-Samuni

Israels Boykott betraf vorwiegend diese Sachverhaltsermittlung, die in illustrativer Weise relevante Einzelfälle herausgreift, darunter den Fall der Familie al-Samuni, der zu trauriger Berühmtheit gelangte. Goldstone selbst nannte ihn den "schwerwiegendsten Vorfall", mit dem sich der Kommissionsbericht befasst habe.

Am kalten Wintermorgen des 5. Januar 2009 schoss demnach das israelische Militär in der Nähe eines Kommandopostens von Kampfhubschraubern aus auf eine Gruppe von Männern, die Feuerholz zum Haus der Familie al-Samuni trugen. Weitere Geschosse schlugen in dem Haus ein. Insgesamt wurden bei diesem Vorfall 29 Mitglieder der Familie getötet und elf verletzt, darunter Frauen und Kinder.5

Die Statistik der Todesopfer zeugt nicht von einem Krieg, sondern von einem Massaker, schreibt der Autor.

AG Friedensforschung

Blockade!

Mitte Dezember 2008, also kurz vor der Militäroperation, hatte das UN-Büro für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (Ocha) bereits eine Studie über die verheerenden Auswirkungen der Gaza-Blockade veröffentlicht.

Die Verschärfung der Blockade in den zwei Monaten vor Gegossenes Blei brachte für die Programme und Aktivitäten der Vereinten Nationen, zum Beispiel seitens des UNRWA und des WFP, bedrückende Einschränkungen mit sich, dies betraf Nahrungsmittel und andere Formen der Unterstützung der Bevölkerung im Gazastreufen.

Während der Militäroperation wurden auch UNRWA-Mitarbeiter und Lastwagen getroffen, es gab Todesopfer und Verletzte; diese Vorfälle wurden eigens untersucht und dokumentiert.

Zum weiteren Kontext der Militäraktion

Die Aktion "Gegossenes Blei" war Glied in einer Kette zur Norm gewordener israelischer Angriffe.

Wie Finkelstein schrieb (Israels Invasion in Gaza, Hamburg 2011), "kündete jeder Jahreszeitenwechsel von einem neuerlichen israelischen Angriff auf Gaza, bei dem Dutzende getötet und große Verheerungen angerichtet werden sollten".

Wer ist Norman G. Finkelstein? Der jüdische Politologe, Sohn von KZ-Überlebenden (beide Eltern überlebten überdies das Warschauer Getto) ist ein dezidierter Kritiker der israelischen Geschichtsdeutung: Den Zionismus sieht er kolonialistisch imprägniert, verstrickt in US-Großmachtinteressen.

Seine eherne Haltung brachte ihm nicht nur in Deutschland Widerstand und Entrüstung entgegen; innerhalb des amerikanischen und europäischen Judentums gilt er als Nestbeschmutzer.

Zur Einordnung: Im Januar 2006 gewann die Hamas die palästinensischen Wahlen. Im Jahr zuvor hatte Israel Truppenkontingente an die Randzone Gazas verlegt. Was folgte, waren "Operationen". Im Kontext der Ereignisse von 2008/2009 unternahm Israel folgende Militäraktionen6:

  • Operation Regenbogen (2004)
  • Operation Tage der Buße (2004)
  • Operation Sommerregen (2006)
  • Operation Herbstwolken (2006)
  • Operation Heißer Winter (2008)

Allein in dem Dreijahreszeitraum bis zum Eintritt der Operation "Gegossenes Blei", nämlich 2006 bis 2008, tötete die israelische Armee rund 1.250 Menschen in Gaza, darunter 222 Kinder; der palästinensische Raketenbeschuss forderte im selben Zeitraum elf israelische Todesopfer.7

Das Verhalten Israels, so Finkelstein, habe zu einem wachsenden Unbehagen in der Welt geführt.

Das Blutvergießen in Gaza hat das Weltgewissen wachgerüttelt.

Norman G. Finkelstein

Verteidigungsminister Ehud Barak dagegen nannte damals seine Streitkräfte eine "moralische Armee".8

Israels "ausgerastete Hooligans"

Als sich die Invasion 2008/2009 ihrem Ende zuneigte, erklärte die damalige Außenministerin Zipi Livni, "Gegossenes Blei" habe "die israelische Abschreckungsfähigkeit wiederhergestellt (…) Die Hamas hat jetzt begriffen, dass Israel ausrastet, wenn seine Bürger beschossen werden, und das ist auch gut so." Am Tag nach Inkrafttreten der Waffenruhe prahlte Livni: "Israel hat sich bei der jüngsten Operation wie richtige Hooligans aufgeführt, so wie ich es mir ausbedungen hatte."

Ein ehemaliger Mitarbeiter des israelischen Verteidigungsministeriums erklärte gegenüber der International Crisis Group, Israel habe mit der Entsendung eines Kampfgeschwaders nach Gaza beabsichtigt, sich "wie ein tollwütiger Hund aufzuführen, um seine Abschreckungsfähigkeit für die Zukunft zu stärken."

Death and Destruction: Politik der Zerstörung

Die im Rahmen der umfänglichen Goldstone-Recherchen erhärtete Kritik am israelischen Vorgehen gipfelte in dem Vorwurf, die Gaza-Operation sei Ergebnis einer Regierungspolitik, die auf eine "massive und vorsätzliche Zerstörung" hinauslief und Zivilisten mutwillig dem Untergang weihte.

Damit erhielt der israelische Angriff auf Gaza ein deutliches Stigma im Hinblick auf das Gesamtbild, das die Regierung abgab. Man habe "darauf abgezielt, eine Zivilbevölkerung zu bestrafen, zu demütigen und zu terrorisieren". In Gaza sei wahllose, unverhältnismäßige Gewalt angewendet worden.

Gemäß der Conclusio des Goldstein-Reports bestand die Gaza Operation "Gegossenes Blei" also nicht aus einer Reihe von einzelnen Vorfällen strafbaren Verhaltens, sondern war vielmehr das Ergebnis einer Regierungspolitik, die auf eine "massive und vorsätzliche Zerstörung" hinauslief.9

Conclusions

Die Schlussfolgerungen des Goldstein-Reports münden insofern in eine Kritik an Israels Vorgehen en bloc. Es geht um Israels Gaza-Politik insgesamt. Der Bericht attestiert Israel:

… systematische Bemühungen [sic!], die palästinensischen selbstbestimmten demokratischen Prozesse zu behindern und zu kontrollieren, nicht zuletzt durch die Inhaftierung von gewählten politischen Vertretern und Regierungsmitgliedern sowie die Bestrafung der Bevölkerung des Gazastreifens für ihre vermeintliche Unterstützung der Hamas, gipfelnd in den Angriffen auf Regierungsgebäude während der Gaza-Offensive, vor allem auf den Palästinensischen Legislativrat.

Die kumulativen Auswirkungen ("cumulative effect") dieser Politiken und Maßnahmen rücken die Aussichten auf eine politische und wirtschaftliche Integration zwischen Gaza und dem Westjordanland in weite Ferne.

Goldstein Report, Conclusions (Report Page 404 ff.)

Hier wird Israels Politik am Casus der israelischen Militärangriffe auf den besetzten Gaza-Streifen in Gänze delegitimiert, und zwar sowohl politisch als auch rechtlich-ethisch. Der Gazastreifen als "hostile territory"10 macht auch eine zukünftige Verständigung zu einer Utopie und wirft ein Licht auf die anhaltend gravierenden Menschenrechtsverletzungen überhaupt in den besetzten palästinensischen Gebieten.

Politik als Vergeltung

Besonders einschneidend lautet der Vorwurf, es handle sich bei der Militäraktion um Vergeltung. Im Artikel der Zeitschrift der Vereinten Nationen VN 6/2020 ("Der Goldstone-Bericht zum Gaza-Krieg 2008/2009 aus Sicht des Völkerrechts") heißt es zu diesem Punkt:

Die Kommission sieht (die israelischen Aktionen in Gaza) als Vergeltungsmaßnahme gegen die Bevölkerung des Gaza-Streifens an. Dabei berücksichtigt (die Kommission) Israels Gaza-Politik seit der Machtübernahme der Hamas – und insbesondere die Blockade – in ihrer Gänze. Diese Charakterisierung ist politisch bedeutsam (…) Sie ist aber auch rechtlich relevant, weil nach Artikel 33 des IV. Genfer Abkommens Vergeltungsmaßnahmen grundsätzlich verboten sind.

Richard Goldstones Sinneswandel: Der Folgebericht

Am 1. April 2011 ließ Richard Goldstone auf den Seiten der Washington Post eine Bombe platzen.

Er relativierte die massiven Beweise, die in dem Bericht, der seinen Namen trägt, zusammengetragen worden waren, wonach Israel während seiner Invasion 2008/2009 in Gaza mögliche Kriegsverbrechen und möglicherweise Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hatte.

Israel war überglücklich. "Alles, was wir gesagt haben, hat sich als wahr erwiesen", jubelte Premierminister Benjamin Netanjahu. "Wir haben immer gesagt, dass die IDF [Israelische Verteidigungsstreitkräfte] eine moralische Armee ist, die nach internationalem Recht handelt", erklärte Verteidigungsminister Ehud Barak.11

If I had known then what I know now, the Goldstone Report would have been a different document

Richard Goldstone in seinem Widerruf "Reconsidering the Goldstone Report on Israel and War Crimes", Washington Post, 1. April 2011

Herzstück des Widerrufs ist Goldstones Äußerung, er sei aufgrund neuer Informationen zu überzeugt, dass Israel "nicht den Entschluss gefasst hatte, gezielt gegen Zivilisten vorzugehen". Was das heißen soll, ist nicht ganz klar, betont Kritiker Finkelstein.

Norman G. Finkelstein hat ausführlich auf Goldstones Widerruf reagiert. Finkelsteins Artikel wurde hier bereits mehrfach zitiert.

Ein Haftbefehl – schon 2009

In seinem Gaza-Buch (Israels Invasion in Gaza, 2011) erwähnt Finkelstein ein komplett untergegangenes Detail, nämlich dass die das Bombardement verteidigende damalige israelische Außenministerien Livni im Dezember 2009 eine London-Reise absagte, weil ein britisches Gericht Haftbefehl gegen sie wegen Kriegsverbrechen erlassen hatte.

2009 – 2024: Wie traurig die Verhältnisse sich gleichen.

Der umfassende Vorwurf, dass die Operation "Gegossenes Blei" in den dramatischen Wintertagen 2008/2009 sich gegen "die Bevölkerung des Gazastreifens als Ganzes" gerichtet habe, als Teil einer "allgemeinen Politik, die auf die Bestrafung der Bevölkerung des Gazastreifens für deren ausdauernden Widerstand und ihre vorgebliche Unterstützung der Hamas abzielt", ist beklemmend im Hinblick auf Israels Politik 15 Jahre später.

Die Zeitschrift der American Society of International Law urteilte über Goldstones Report12:

Der Goldstone-Bericht dürfte der kontroverseste UN-Menschenrechtsbericht sein.

Brandaktuell: Die Bedeutung effektiver Strafverfolgung

Die Ermittlungen des südafrikanischen jüdischen Richters Richard Goldstone zum Gazakrieg im Winter 2008/2009 brachten international Aufruhr, auch in den jüdischen Gemeinden.

Dieses Kapitel Nahost liest sich wie ein genauer Auftakt zum heutigen Konflikt. Es enthält Aspekte schwerer Kritik an der israelischen Kriegsführung gegen Gaza, bei der vor 15 Jahren 1.400 Palästinenser und 13 Israelis starben. Das dokumentierte Verhalten Israels verstört die Welt zunehmend: Der Goldstein Report und sein Nachspiel bilden eine diskussionswürdige Brücke zu heute.

In der rechtlichen Einordnung der Zeitschrift der Vereinten Nationen VN 6/202013 heißt es:

Die Aussagen [des Goldstein Reports] zum Schutz der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten verdeutlichen, welch hohe Anforderungen aus dem humanitären Völkerrecht im Rahmen asymmetrischer Konflikte abgeleitet werden können. Und dadurch, dass sie die Bedeutung effektiver Strafverfolgung hervorhebt, gibt die Kommission dem allgemeinen Trend zur Ahndung von Völkerrechtsverstößen weiteren Auftrieb.

Der Staat als Gesetzloser

Mit Blick auf 2024: Staaten handeln ganz unverhohlen "wie Gesetzlose", und das vor unseren Augen. Es offenbart sich eine erschreckende Anomie (griech. Anomos): Die Grenzen zwischen Staatsgewalt und Terrorismus verschwimmen. Die herrschenden Mächte, Kirche wie Staaten, seien zu Hütern einer kraftlosen Rechtmäßigkeit verkommen, schrieb der italienische Philosoph Giorgio Agamben 2015; sie fragten jedoch nicht mehr nach den eigentlichen Grundlagen von Legitimität.

Nach Erscheinen seines Kommissionsberichts am 25. September 2009 war Goldstone einer schonungslosen Verleumdungskampagne ausgesetzt. Harvard-Professor Alan Dershowitz verglich ihn mit Josef Mengele, dem "Todesengel" von Auschwitz; der damalige israelische Botschafter in den USA, Michael Oren, hielt Goldstone vor, sein Bericht sei noch schlimmer als "Ahmadinedschad und die Holocaustleugner".

What a shame.