Wie Russland die LNG-Sanktionen mit einer Schattenflotte und gefälschten Standorten umgeht

Russisches Polarmeer

Tanker der russischen Schattenflotte verschwinden vom Radar und tauchen woanders wieder auf. Wohin führt die heimliche Route der Gaslieferungen?

Marine Traffic und Vesselfinder zeigen den LNG Tanker Pioneer unterwegs im Norden von Norwegen. In Wirklichkeit hat die Pioneer laut Satellitenbild von Anfang August an der ersten Verflüssigungslinie von Novateks Werk Arctic LNG 2 auf der Halbinsel Gydan festgemacht. Eine Gasflamme auf dem Bild weist darauf hin, dass die Gasverflüssigung läuft. Der Frachtbetrieb soll endlich losgehen.

Mit gefakten Daten den Zielhafen anlaufen

Samir Madani, Mitbegründer von TankerTrackers.com, identifizierte Bloomberg zufolge am 5. August das Schiff, das kürzlich an der Arctic LNG 2-Exportanlage angedockt hatte, anhand des Aussehens und der Abmessungen des Decks als den LNG-Tanker Pioneer.

Jetzt meldete Bloomberg, dass ein weiterer Tanker an der LNG-Anlage gesichtet wurde. Bei dem Schiff könnte es sich dabei um die 290 Meter lange Asya Energy handeln, die zu Russlands Schattenflotte gehören soll.

Wie die Pioneer verbarg auch die Asya Energy ihren wahren Standort. Der Transponder sendete demnach ein Signal, welches das Schiff in der Barentssee zeigte. Satellitenbilder zeigten es allerdings rund 1.300 Kilometer entfernt an der LNG-Anlage. Dieses Manöver ist als Spoofing bekannt und ein klassisches Kennzeichen der Schattenflotte sei. Gefakte Standortdaten sollen das aktuelle Geschehen verschleiern.

Abnehmer in Fernost sind dabei

Schließlich möchte keiner mit LNG vom Werk Arctic LNG 2, das mit Sanktionen belegt ist, in Verbindung gebracht werden. Selbst für China scheint das ein heißes Eisen zu sein. Hatte doch im Juli ein Spezialtransportschiff mit Modulen zur Gasverflüssigung für Arctic LNG 2 wieder kehrtgemacht.

Doch das Verschleierungsmanöver hilft dem Reich der Mitte, das Gesicht zu wahren und russisches LNG unter dem Radar von Sanktionen nach Belieben zu importieren.

Ebenso ist dieses Vorgehen für Indien ein lukratives Geschäft. Was beim Öl funktioniert, klappt auch beim LNG. Erstmals hatte gCaptain am 3. August berichtet, dass der russische Flüssigerdgasproduzent Novatek die erste Fracht von seinem Arctic LNG 2-Projekt zu laden scheint.

Russische Analysten bestätigen

Auch die russischen Analysten vom russischen Beratungsunternehmen BCS Investmentwelt räumten eine Bestätigung für erwartete LNG-Lieferungen von Arctic LNG 2 im Sommer ein.

Die Satellitenbilder zeigten ein Pioneer-großes Schiff, das an Arctic LNG 2 festgemacht hat. Doch der Transponder des Schiffes sende Signale, nach denen es sich in 1.300 km Entfernung in der Barentssee befinde. "Womöglich gelang es, den Standort zu verbergen", so die Analysten.

Die erste Fracht von Gydan erwarteten sie für Ende Juli bis Anfang August. Denn mit Beginn der kurzen Sommerschifffahrtssaison auf den Halbinseln Jamal und Gydan könnten konventionelle LNG-Tanker den Abtransport erledigen.

Zum Stand von Arctic LNG 2 erklärten die Analysten, dass die Swesda-Werft im Osten des Landes bis diesen Dezember oder Januar 2025 zwei Tanker der Eisklasse Arc7 an Novatek ausliefern könne. Bis dahin soll auch die zweite Verflüssigungslinie betriebsbereit sein. Den Auslastungsgrad der beiden Linien bezifferten sie für das erste Quartal 2025 auf 25 Prozent.

Schattenflottenbetreiber sitzt in Indien

Die Pioneer gehört Bloomberg zufolge zu einer mutmaßlichen Schattenflotte von LNG-Schiffen, die Moskau zusammenstellt, um Gaslieferungen an willige Käufer zu liefern. Laut der globalen Schifffahrtsdatenbank Equasis sei sie derzeit für die Ocean Speedstar Solutions im Einsatz.

Diese Schifffahrtsgesellschaft sei im Juni gegründet worden. Sie hat im Distrikt Belapur etwa 150 Kilometer außerhalb von Mumbai ihren Sitz. Der Schiffseigner der Pioneer soll indessen die Zara Shipholding sein, die nach Angaben von Equasis dieselbe Adresse wie Ocean Speedstar hat.

Schiffe verschwinden und tauchen im russischen Eismeer wieder auf

Dass in der Datenbank der internationalen Seeschifffahrtsorganisation der Schiffsversicherer als "unbekannt" aufgeführt ist, weise ebenfalls darauf hin, dass die Pioneer zur Schattenflotte gehört. Erworben hatte sie zuvor zusammen mit weiteren LNG-Tankern die Schiffsgesellschaft Nur Global Shipping in Dubai. Die Vereinigten Arabischen Emirate sind als neues Brics-Mitglied Russland offenkundig zu Diensten.

Der Standort Indien für den Betreiber der Schattenflotte ist sicher ein Ergebnis aus guten Erfahrungen mit der Ölschattenflotte, die jetzt als Reisbrett für die LNG-Tankerflotte dient. Manipulierte Standortdaten lassen den Schiffsverkehr im russischen Eismeer in einer Art Bermuda-Dreieck verschwinden. Wo die Pioneer und weitere LNG-Tanker operieren, bleibt wie im Kalten Krieg Einsatzorte von Flottenverbänden ein Geheimnis, das nur Satellitenbilder im Blick haben.

Schleichwege führen nach Europa

Inzwischen gebe es Hinweise, dass die potenzielle LNG-Lieferung von Arctic LNG-2 am 1. August nicht die erste gewesen sei, sondern bereits die dritte Fracht. Das berichtete das russische Energieportal Neftegaz.ru am 5. August mit Bezug auf den Telegram-Kanal von Molekuly Dobra (übersetzt: Moleküle des Guten). Eine Schiffsladung davon soll aus LNG von der Yamal- und der Gydanhalbinsel bestanden haben.

Daten von Schiffsverfolgungsdiensten zeigten außerdem, dass eine Karawane von Tankern am 4. August 2024 das Kara-Tor passiert habe, die nach dem 16. August 2024 am Utrennye-Terminal des Arctic LNG-2-Projekts eintreffen soll.

Diese Tanker können dort LNG aufnehmen und auf ihrem Weg nach Westen kurz Yamal ansteuern und weiteres LNG laden, um die florierende Nachfrage in Europa zu bedienen. Gemischte Moleküle verschwinden unter dem Sanktionsradar, wie getürkte Standortdaten.