Will Putin den Krieg beenden? Wir sollten ihn testen
Seite 2: Reuters, AP und Co.
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Der Abgeordnete Don Beyer von den Demokraten behauptete, dass die Verzögerung der Militärhilfe durch die Republikaner-Partei "Putins Aggression und die russischen Kriegsoffensiven anheizt".
Die gleichen Argumente – bei dem behauptet wird, das verkürzte Zitat zeige, dass Putins Gerede über Verhandlungen nur ein Vorwand sei und der einzige Weg zu einem friedlichen Ende des Krieges darin bestehe, eine militärische Lösung zu finden – wurden und werden auch heute noch von einer Vielzahl prominenter, einflussreicher und oft zu den Hardlinern zählenden Stimmen verbreitet, die sich weitgehend auf Trofimovs und Seddons falsche Darstellung der Äußerungen stützen.
Außerhalb der sozialen Medien war die Situation nicht viel besser. Putins Äußerungen zu den Verhandlungen wurden in den westlichen Medienberichten über sein Interview bei Reuters, Associated Press, PBS und Voice of America vollständig ausgelassen.
Nur CNBC strahlte die Kommentare mit dem vollständigen Zitat aus. CNN berichtete ebenfalls, dass "Putin sagte, Russland sei bereit zu verhandeln", zitierte aber nur seine Bemerkung über die "Realitäten vor Ort".
Manipulative Montagen
Andere wiederum verwenden das gekürzte Zitat für eine irreführende Rahmung, wie diese Schlagzeile des Washington Examiner oder dieser Bericht des Telegraph zeigen. Letzterer beließ es nicht bei einer bloßen Schlagzeile. Man erklärte den Lesern im Artikel, Putin habe "die Aufnahme von Friedensgesprächen mit der Ukraine ausgeschlossen", um dann ein montiertes Zitat aus dem Interview zu präsentieren, in dem seine Bemerkung, Moskau sei offen für Gespräche und an einer diplomatischen Lösung der Konflikte interessiert, absichtlich übergangen wurde.
Warum ist das so wichtig? Kriegs-Hardliner würden behaupten, dass allein der Mut, hier etwas richtigzustellen, ein Zeichen für verdächtige Sympathien für Putin ist.
Aber Verhandlungsbereitschaft hat nichts mit moralischen Tugenden zu tun: Die gewaltsam repressive saudische Regierung, die vor Kurzem eine Hinrichtungsorgie durchführte, verhandelte schließlich auch über die Beendigung ihres grausamen Krieges gegen den Jemen, obwohl sie das Land mit Schrecken überzogen hatte.
In jüngster Zeit hat sich die Hamas während des israelischen Angriffs auf den Gazastreifen verhandlungsbereit gezeigt. Diese Gespräche trugen im November mit einem Waffenstillstand und einem Geiselaustausch Früchte, was sie jedoch weder von den Gräueltaten des 7. Oktober entlastet noch ihre Mitglieder zu Musterbürgern macht.
Verhandelt wird immer zwischen Parteien, die sich kaum vertrauen
Wie in jenen Fällen auch muss man hier ebenfalls nicht Vertrauen in den autoritären und gewieften Politiker Putin haben, um Gespräche zu führen. Friedensverhandlungen werden naturgemäß zwischen Parteien geführt, die nicht über ausreichende Reserven an Vertrauen und gutem Willen verfügen.
Ein Bestandteil von Gesprächen besteht darin, einen Mechanismus mit annehmbaren Sicherheitsgarantien für jede Partei zu entwickeln, der es nicht notwendig macht, sich auf bloßes Vertrauen zu verlassen. Der sicherste Weg, um zu überprüfen, ob es jemandem mit solchen Verhandlungen ernst ist, besteht darin, sie tatsächlich auszuprobieren.
Die Tatsache, dass Putin darauf besteht, für Verhandlungen offen zu sein, wenn auch mit größeren territorialen Zugeständnissen seitens der ukrainischen Seite, sollte für jeden, dem die Ukraine wirklich am Herzen liegt, eine ermutigende Nachricht sein.
Die Denkfabrik Rand Corporation argumentierte im Januar letzten Jahres, dass der wirtschaftliche und soziale Schaden eines längeren Krieges die möglichen Vorteile einer militärischen Rückeroberung der verlorenen Gebiete überwiegt.
Signale aus Moskau endlich austesten
Tatsächlich sind die Auswirkungen der Unternehmung, den Krieg zu verlängern, um einen moralisch befriedigenden militärischen Sieg für das Land zu finden, verheerend gewesen: Zehntausende Tote und Verwundete, eine weitreichende Zerstörung der Infrastruktur, eine demografische Krise und eine massive Verschuldung, die das Land gegenüber gierigen Gläubigern verwundbar machen wird.
Viele Tausende von Ukrainern entziehen sich verzweifelt der Einberufung, um nicht im Krieg zu sterben, und eine Mehrheit von 48 Prozent der ukrainischen Männer gibt zu, dass sie nicht bereit sind zu kämpfen.
Diese Äußerungen Putins sind nur das jüngste Signal, dass Moskau bereit ist, Gespräche aufzunehmen. In ähnlicher Weise erklärte Putin im Februar gegenüber Tucker Carlson mehrmals, dass Russland "bereit" sei, zu verhandeln.
Noch wichtiger ist, dass drei getrennte Berichte in der New York Times, Bloomberg und Reuters aufgedeckt haben, dass Moskau hinter den Kulissen bereits im September letzten Jahres Washington Friedensgespräche angeboten hat, auf die die Biden-Regierung bisher nicht eingegangen ist.
Wir können nicht sicher sein, ob Putins Äußerungen ernst gemeint sind, bis sie in Verhandlungen erprobt werden. Aber das gibt Journalisten und Kommentatoren nicht das Recht, der Öffentlichkeit vorzugaukeln, dass es sie nicht gibt, nur um die Möglichkeit einer friedlichen Beendigung eines Krieges zu untergraben, in dem immer mehr Ukrainer nicht kämpfen wollen.
Der Artikel erscheint in Kooperation mit dem US-Magazin Responsible Statecraft und findet sich dort im englischen Original. Übersetzung: David Goeßmann.