Wird Brüssel gegen Spekulation vorgehen?

"Kein Finanzmarkt darf Wild-West-Territorium bleiben", erklärte EU-Binnenmarkt-Kommissar Michel Barnier, aber es wird sich nicht viel ändern

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Große Worte waren am Mittwoch wieder einmal aus Brüssel zu hören, als der Binnenmarkt-Kommissar seine Vorschläge vorlegte, um in der EU den Handel mit Derivaten und die Leerverkäufe unter Kontrolle bringen. Genau zwei lange Jahre nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers will die EU-Kommission den Bereich regulieren, der einen deutlichen Anteil an der weltweiten Finanzkrise hatte. Doch den plakativ formulierten Ansprüchen folgt in der Realität nur, dass bestenfalls die größten Auswüchse der Spekulation beschränkt werden sollen.

"Einzelne Pleiten sollen nie mehr das gesamte Finanzsystem destabilisieren wie im Fall der Lehman-Pleite", sagte Michel Barnier auf der Pressekonferenz am Mittwoch. So stellte er seine Gesetzesvorschläge vor, wie künftig in der EU außerbörslich gehandelte derivative Wertpapiere reguliert werden sollen. Dazu machte er einen Vorschlag, wie die Gefahren eingedämmt werden sollen, die aus dem unkontrollierten Handel mit Credit Default Swaps (CDS) rühren. CDS sind Papiere, die gemeinhin als Kreditausfallsversicherungen bezeichnet werden, die aber auch zu Spekulationszwecken eingesetzt werden können. Im Fall von Griechenland hatte sich das deutlich gezeigt, weshalb die ungedeckten CDS in Deutschland schon verboten worden sind. Um Schlagzeilen in den Zeitungen zu machen und propagandistische Wirkung zu entfalten, griff der Binnenmarkt-Kommissar zu plakativen Aussprüchen: "Kein Finanzmarkt darf weiter ein Wild-West-Gebiet bleiben". Mit derlei Metaphern machte er zudem deutlich, wo er die eigentliche Schuld für die Krise verortet.

Doch schon an diesem Entwurf zeigt sich, schaut man ihn sich nur etwas genauer an, dass er weit am angeblich formulierten Ziel vorbei geht. Der Spekulation über Derivate, also die Wetten darauf, wie sich Wertpapiere, Rohstoffe oder Währungen entwickeln, sollen gar keine Fesseln angelegt werden. "Spekulation ist ein Teil des Wirtschaftslebens", sagte Barnier ebenfalls. Ihm geht es deshalb nur darum, "die Risiken exzessiver Spekulation zu begrenzen". Das allein ist aussagekräftig genug. Wetten sollen nur etwas durchsichtiger werden und zudem nicht mehr direkt abgewickelt werden können, sondern über neu einzurichtende Clearingstellen laufen. Das soll verhindern, dass es wie im Fall der Lehman-Pleite zu Kettenreaktionen kommt.

Weil sogar ungedeckte Leerverkäufe weiter möglich sein sollen, man also auch nach der Regulierung noch etwas verkaufen darf, was man gar nicht besitzt, soll ein Register aufgebaut werden, an das große Geschäfte mit Derivaten gemeldet werden müssen. Nach Barniers Vorschlag soll es für ungedeckte Leerverkäufe, bei denen der Verkäufer sich die entsprechenden Papiere nicht einmal geliehen hat, demnächst ausreichen, wenn ein Broker garantiert, dass er die Wertpapiere innerhalb von vier Tagen liefern kann. Wenn derlei geplante Short-Verkäufe den Wert des betreffenden Papiers um 0,2% überschreiten, soll die Transaktion spätestens einen Tag nach der Abwicklung der neuen europäischen Börsenaufsichtsbehörde ESMA gemeldet werden, die ab Januar in Paris ihre Arbeit aufnehmen soll. Wird sogar 0,5% der Marktkapitalisierung des Wertpapiers erreicht, sollen alle Marktteilnehmer informiert werden. Insgesamt lehnt sich der Vorschlag an die schwammige Finanzmarktregulierung in den USA an.

Letztlich hebelt dieser Entwurf aber das Verbot von ungedeckten Leerverkäufen und CDS in Deutschland aus, das die Finanzaufsicht BaFin im Mai verfügt hatte. Das hatte für Brüssel für großen Ärger gesorgt. Ungedeckte Leerverkäufe sollen nach dem Vorschlag von Barnier in Europa nur im Notfall und für drei Monate befristet verboten werden können, wie es nach der Lehman Pleite geschah (US-Regierung will das Finanzsystem auf Kosten der Steuerzahler retten). Das ist schon in sich inkonsequent, weil ja die gefährlichen Kettenreaktionen angeblich über diese Regulierung verhindert werden sollen. Dass der Vorschlag sich auch an die Bundesregierung wendet, ist klar. Brüssel machte deutlich, dass nach einer Übergangszeit sich auch Berlin an die neue EU-Gesetzgebung anpassen müsse. Es wäre schön, wenn Merkel hier einmal hart bleiben würde, es ist aber nicht zu erwarten.

Der Finanzakrobatik werden nur ein paar kleine Steinchen in den Weg gelegt

Im Entwurf ist schon immanent angelegt, dass die Regulierung die angeblich angestrebten Ziele nicht erreichen wird. Erstaunlich einsilbig bleibt man in Brüssel deshalb auch in dem Abschnitt, in dem es darum geht, welche Sanktionen drohen, wenn man sich an die ohnehin laschen Regeln nicht hält. Schwammig und unkonkret wird davon gesprochen, dass Banken und Unternehmen mit Strafen zu rechnen hätten, die "wirkungsvoll, angemessen und abschreckend" sein sollen. Doch wie das aussehen soll, vor allem im Ernstfall, ist unklar. Schließlich werden bisher die Schandtaten mit Milliardenspritzen aus den Staatshaushalten belohnt. Da sich die "Too big to fail"- Problematik eher in den letzten zwei Jahren noch verschärft hat, gibt es keinen Anlass zu glauben, dass sich daran etwas ändern könnte. Man stelle sich einmal eine solche Strafe für die "systemische" Hypo Real Estate (HRE) vor, bei der die Staatsgarantie gerade um 40 Milliarden Euro auf 142 Milliarden aufgestockt wurde, wenn diese gegen solche Regeln verstößt.

Der Entwurf liegt ganz auf der Linie der soften, späten und unzureichenden internationalen Finanzmarktregulierung, wie sie am Wochenende in Basel beschlossen wurde (Basel III: Soft, spät und unzureichend). Erstaunlich ist auch, dass die EU die Hedgefonds und Private-Equity-Gesellschaften weiter ausgeklammert. Ohnehin darf erwartet werden, dass dieser Vorschlag in der Beschlussfassung weiter verwässert wird, denn er bedarf noch der Zustimmung der 27 Mitgliedsstaaten und des Europaparlamentes. Man erinnere sich nur an den traurigen Weg, den die Finanztransaktionssteuer nimmt. Vor dem angeblichen Beschluss der EU-Finanzminister zur Einführung hatte Brüssel hier schon wieder ein Veto eingelegt. Entsprechend konnte sich die Ecofin in der vergangenen Woche nicht auf die Einführung einigen. Vor allem Großbritannien und Schweden stemmen sich gegen die Abgabe, der alle Mitgliedsstaaten zustimmen müssten.

Die entsprechenden Lobbys haben hier erfolgreich geackert und man darf das auch bei der Finanzmarktregulierung erwarten, die von Obama in den USA schon erfolgreich verwässert wurde (Zwischenbilanz Finanzmarktregulierung). Man muss sich nur einmal die Summen vor Augen halten, die hier verschoben werden. Ausgegangen wird von 615 bis 700 Billionen Dollar an Derivaten und noch einmal 14-15 Billionen für CDS. Deshalb versucht Barnier gar nicht, an die Wurzeln des Übels zu gehen. Die Süddeutsche Zeitung kommentiert, dass sogar der jetzige Entwurf "bestenfalls das Prädikat halbherzig" verdient. "Wetten auf fallende oder steigende Preise für Rohstoffe, Aktien oder Staatsanleihen sollen lediglich nicht mehr so riskant abgeschlossen werden dürfen wie heute, Finanzprodukte nicht mehr ganz so spekulativ gehandelt werden wie bisher."

Die Financial Times geht ohnehin davon aus, dass die "Finanzindustrie mit ihrer Kreativität und Profitgier die neue Behörde ESMA an der Nase herumführt - und ihr wichtige Kontrakte vorenthält. Ein Katz- und Maus-Spiel dürfte folgen", sagt die Zeitung voraus. Es ist kaum vorstellbar, dass unter den Vorgaben auch nur eine wirkungsvolle Kontrolle zu finden ist. Hinterfragt wird zudem die Haftungsfrage, denn unklar ist, wer das Ausfallrisiko am Ende trägt, "ob die Clearinghäuser füreinander im Notfall einstehen".

Der bisherigen Finanzakrobatik werden nur kleine Steinchen in den Weg gelegt. So sollte sich niemand über künftige Abstürze wundern. Der Wirtschaftsphilosoph Karl-Heinz Brodbeck macht in seiner Kritik klar, dass bisher aus der Krise "definitiv gar nichts gelernt" wurde. Er beschreibt, dass die "Politik sich von der Finanzindustrie weltweit gängeln lässt". Er kritisiert, dass an der Maxime, wonach die Märkte alles effizienter machen, nicht gekratzt wurde. Seine "große Hoffnung", dass sich über die Krise etwas ändere, sei enttäuscht worden. Es werde einfach weiter gemacht. Man glaubt, "durch ein paar Spielregeln jetzt wie Basel III, dass man die Einlagen bei den Banken ein bisschen erhöht" und ein paar Sicherheitspolster einbaut, die Probleme in den Griff zu bekommen. Die problematische "grundsätzliche Konstruktion" sei aber nicht aufgegeben worden.