Zu Gast bei den "Blutaktionären"

Seite 3: Fragen und Kritik aus der Friedensbewegung

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Aber nicht nur die Lobbyisten der Kapitaleigner übten Kritik. Schon vor dem Eingang wurden die Aktionäre von einem anderen kritischen Publikum empfangen. Die Friedensbewegung war vor dem Bendler-Block auf der anderen Straßenseite aufmarschiert, um ihren Protest gegen die deutsche Rüstungsexportpolitik und insbesondere die weltweiten Waffengeschäfte der Rheinmetaller lautstarken Ausdruck zu verleihen. Die Berliner Friedenskoordination (Friko), die Berliner Kampagne "Legt den Leo an die Kette", die "Aktion Aufschrei - Stopp den Waffenhandel!", die "Ärzte gegen Atomkrieg" (PPNW) und die Naturfreundejugend waren mit 50 bis 60 Demonstranten vor Ort. Ausgerechnet die "Bild"-Zeitung zählte gar "knapp 100 Menschen". Allerdings fiel auf, dass nur wenige junge Leute unter den Protestlern waren. Christine Hoffmann (Pax Christi), Lühr Henken (Bundesausschuss Friedensratschlag), Jan van Aken (Die Linke), Hans-Christian Ströbele (Grüne) und Dorothea Kerschgens (Kritische Aktionäre) hielten kurze Ansprachen. Einer der Demoteilnehmer trug ein selbstgebautes Modell einer Drohne. Nicht alle, die die kleine Demonstrantenschar fotografierten und filmten, waren Journalisten.

Obwohl beiden Seiten nur eine Straßenbreite getrennt waren, kam es zu keinerlei Kontakt zwischen Rüstungsgegnern und Rüstungsprofiteuren. Während die Berliner Polizei eisern über die Einhaltung der Demo-Auflagen wachte und den Demonstranten jedes freche Überschreiten der Straße verbat, zogen sich die schick gekleideten Rüstungsproduzenten ängstlich ins Hotel zurück. Bei der Hauptversammlung im letzten Jahr hatte es noch keinen solchen Protest gegeben, aber seit im Mai 2012 der Leo-Deal mit den Saudis bekannt wurde, regt sich zunehmender Widerstand im ganzen Land.

Aber nicht nur draußen vor der Tür, auch im Saal war die Friedensbewegung ausgesprochen präsent. Von den insgesamt elf Wortmeldungen entfielen gleich vier Redebeiträge auf die Vertreter der Friedensbewegung, schließlich ist eine Aktionärsversammlung eine seltene Gelegenheit, einem Konzernvorstand einmal kritische Fragen zu stellen. Für die Friedensbewegung kommt es darauf an, möglichst genau informiert zu sein, schließlich haben die Waffenkonzerne übergroße Rechtsabteilungen nichtsnutziger Diplomjuristen, die einen Konzerngegner schon mal gerne mit einer saftigen Klage überziehen würden. Daher dient das Frage- und Auskunftsrecht hier auch der Selbstverteidigung. Jeder Aktionär hat Rederecht und die Redezeit ist unbefristet! Wenn die völlig unterschiedliche Gewichtung der verschiedenen Aktienpakete nicht wäre, könnte man fast meinen, Rheinmetall wäre "basisdemokratischer" als es die Grünen je waren.

Zunächst übte Dorothea Kerschgens von den Kritischen Aktionären und Aktionärinnen – wie in jedem Jahr – massive Kritik an den Rüstungsgeschäften des Konzerns. Das Themenspektrum ihrer Anmerkungen und Nachfragen reichte vom Umgang des Konzern mit seinen Zwangsarbeitern im Zweiten Weltkrieg, über die Rüstungsexporte (Radpanzer Fuchs nach Algerien und Kampfpanzer Leopard IIA7+ PSO und Transportpanzer Boxer nach Saudi-Arabien und Qatar) bis hin zur Rüstungskooperation mit einem norwegischen Unternehmen. Die Selbstdarstellung des Konzerns gleiche einer "Märchenstunde", reklamierte sie.

Der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Peter Grottian meldete sich als Vertreter von Attac und dem Aktionsbündnis Aufschrei zu Wort. Er warf dem gesamten Vorstand vor, dieser ignoriere in seinem vermeintlichen "Rechenschaftsbericht" die politischen Auseinandersetzungen um die Rüstungsexporte, die in der Gesellschaft brodeln würden. Laut Umfragen würden 70 bis 80 % der Bevölkerung Waffendeals mit Saudi-Arabien und Katar ablehnen. Selbst altgediente Sicherheitspolitiker (Hans-Dietrich Genscher, Ruprecht Polenz, etc.) beteiligten sich mittlerweile am gesellschaftlichen Diskurs. "Wir wollen eine öffentliche Debatte darüber, wie Exportrichtlinien verschärft werden können", erklärte Grottian. Aber entgegen dieser Forderung verstecke sich der Rheinmetall-Vorstand hinter dem Rock bzw. Hosenanzug von Frau Merkel und der Geheimnistuerei ihrer Waffenexporte, statt sich selbst der Verantwortung zu stellen.

"Der Rechenschaftsbericht redet viel vom Umfeld, aber er meint nur das Geschäftsumfeld"; kritisierte Grottian. Was der Geschäftsbericht vorführe, sei bloß ein "Rheinmetall-Schlaraffenland". Die Waffengeschäfte seien grundgesetzwidrig und ein Hohn auf die eigenen "corporate compliance"-Richtlinien. Es stelle sich die Frage, wie der Vorstand zukünftig mit der wachsenden Widerstandsbewegung und weiteren Protestaktionen umgehen wolle. Außerdem bleibe abzuwarten, ob die nächste Bundesregierung die Rüstungsexportbedingungen verschärfen werde und welche Auswirkungen dies dann auf Rheinmetall hätte. Man solle "den Konzern verbieten"!

Um den Hieb auf die "corporate compliance"-Richtlinien richtig verstehen zu können, muss man sich einmal die entsprechende Selbstdarstellung des Rüstungskonzerns anschauen und genießen. Darin heißt es:

Rheinmetall steht aus Überzeugung für eine nachhaltige Unternehmensführung und bekennt sich in Übereinstimmung mit seinen Werten und Leitlinien zu einem von Verantwortung, Integrität, Respekt und Fairness geprägten untadeligen Verhalten. Das Unternehmen ist ein ehrlicher, loyaler und zuverlässiger Partner seiner Stakeholder. Seine Vorstände, Geschäftsführer, Führungskräfte und Beschäftigten sind verpflichtet, sich in Geschäftsbeziehungen einwandfrei zu verhalten, das Ansehen von Rheinmetall zu wahren, die materiellen und immateriellen Vermögenswerte zu schützen und alles zu vermeiden, was Imageschäden bzw. operative oder finanzielle Nachteile für einzelne Gesellschaften oder den Konzern nach sich ziehen kann. Das Handeln nach Recht und Gesetz sowie die Einhaltung von Richtlinien und Regeln sind selbstverständlich.

Stefan Siebenrock von der Gesellschaft für bedrohte Völker kritisierte mehrere Waffenexporte und fragte nach deren Auswirkungen: Ob die nach Algerien gelieferten Transportpanzer Fuchs auch gegen Marokko im Sahraui-Konflikt eingesetzt werden könnten, ob das Rheinmetall-Ausbildungszentrum in Russland nicht zu einer Steigerung der Menschenrechtsverletzungen durch die russischen Streitkräfte im Nordkaukasus führen würde, und welche Panzer nach Indonesien geliefert werden sollen und ob diese auch im Konflikt in West-Papua zum Einsatz kommen können.

In einem etwas zu lang geratenen Redebeitrag stellte Micha Ebeling von der Friedensbewegung aus Hannover gleich vierzig Fragen zu den technischen und militärischen Aspekten verschiedener Rüstungsprojekte, insbesondere dem Gefechtsübungszentrum in Letzlingen (Sachsen-Anhalt) mit seinen 200 Mitarbeitern, der Kooperation mit der Israel Aircraft Industries (IAI) bei der Produktion der Heron-Drohne, der Produktion von Waffensystemen zur Crowd-and-Riot-Control, der früheren SMArt-Artilleriemunition, die jetzt nicht länger produziert wird, und den Parteispenden des Konzern etc..

Unter den Aktionären eines Rüstungskonzerns sind die Rüstungsgegner erwartungsgemäß eine kämpferische Minderheit. Aber auch unter den "normalen" Aktionären gibt es durchaus Einzelpersonen, die die Rüstungsgeschäfte des "eigenen" Konzerns mit Skepsis verfolgen. Dies wurde deutlich, als die Wirtschaftswissenschaftlerin Dr. Barbara Grimberg von der Ruhr-Uni aus Bochum ans Rednerpult trat. Sie begehrte nicht nur zu ökonomischen Aspekten Auskunft, sondern kritisierte auch das geplante Panzergeschäft mit Saudi-Arabien.

Nur ein Herr Gerd Blumenthal (phon.), der sich als Vertreter in- und ausländischer Finanzinstitutionen vorstellte, äußerte seinen Unmut über die Rüstungsgegner. Dies sei hier schließlich "eine Aktionärsversammlung und nicht eine politische Veranstaltung" meinte der Herr Vertreter, außerdem hätten die Rüstungsgegner noch nie "eine verantwortliche Position in der Wirtschaft bekleidet". Ansonsten folgte das Auditorium der Kritik aus den Reihen der Friedensbewegung mit Interesse, zumindest mit Gleichmut, schließlich sind Aktionäre disziplinierte Bürger, die wissen, wie man sich zu benehmen hat.

Immerhin heben sich die Rüstungsgegner aus der anonymen Masse der (Klein-)Kapitalisten hervor und sorgen für etwas mehr Transparenz. So war denn auch das fleißige Backoffice bemüht, die eingegangenen Fragen zu beantworten.