Zukunft der Initiative für "sichere" Musik unsicher

Ein Patentstreit droht SDMI erneut zu blockieren - doch an die eigentlichen Ziele des Konsortiums glaubt sowieso keiner mehr

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Das Urheberrecht und das Patentrecht haben eigentlich beide das verwandte Ziel, die Förderung von Wissen und Werken durch den temporären Schutz geistigen Eigentums zu gewährleisten. Doch wie die Musikindustrie nun feststellen muss, können beide Schutzrechte sich gegenseitig auch behindern: Zwischen zwei Herstellern von digitalen Wasserzeichen, einer Technik, die das Abspielen von illegal kopierten Dateien verhindern helfen soll, ist ein Patentstreit ausgebrochen, der der Initiative des gemeinsam von der Musik-, Verbraucherelektronik- und Computerindustrie getragenen Konsortiums zur "Sicherung" von MP3-Files neue Steine in den Weg legt. Jüngst entwickelte Codierungsverfahren wie Ogg Vorbis beweisen zudem, dass die Geschwindigkeit der Musikindustrie mit den Entwicklungen im Netz noch lange nicht gleichziehen kann.

Im vergangenen Sommer hatten sich die an der Secure Digital Music Initiative (SDMI) beteiligten Player für die Wasserzeichen-Technologie der Firma Aris Technologies entschieden. Die genauen Vertragsvereinbarungen wurden bisher nicht veröffentlicht. Doch Aris heißt nach dem Merger mit der Solana Technology Development Corporation inzwischen Verance und Verance hat ein Problem: Digimarc, eine zweite US-Firma, die sich eine Scheibe vom vielleicht einmal lukrativen Markt rund um die Wasserzeichen abschneiden will, beschuldigt den von SDMI begünstigten Rivalen, die Schutztechnik größtenteils von Entwicklungen im eigenen Haus abgekupfert zu haben.

Bruce Davis, Geschäftsführer der in Oregon sitzenden Firma Digimarc, will zwar nicht behaupten, dass alles, was Verance auf den Markt gebracht habe, identisch sei mit den eigenen Produkten. Aber er glaubt, "dass unsere Technologie essentiell ist für die Implementation einer Lösung", die Verance anbietet. Überzeugt von dem Know-how-Diebstahl stellt er empört fest: "Wir können anderen Unternehmen nicht erlauben, uns unsere Technologie wegzunehmen."

Die Lösung von Verance ist einer der zentralen Bestandteile des SDMI-Konzepts. Wasserzeichen sind letztlich eine Art Stempel. Sie werden in den Datensalat von Musik-Files oder Computer-Bildern eingebaut. Mit entsprechender Scann- und Filtersoftware, die im Fall von SDMI in Abspielgeräte eingebaut ist, wird es möglich, Veränderungen an den Wasserzeichen zu erkennen, die sich beim Kopieren von derart geschützten Dateien einstellen. So soll verhindert werden, dass ein MP3-Player Raubkopien abspielt. Sollte Digimarc mit der Klage gegen Verance wegen Patentverstoß erfolgreich sein, müsste SDMI ihre bisher veröffentlichten Spezifikationen neu überdenken. Das könnte die Zeitplanung der Musikindustrie wieder einmal deutlich verzögern.

SDMI-Beteiligte auf Abwegen

Digimarcs Klage ist aber nicht das einzige Hindernis für SDMI. Im Herbst bereits nörgelte die Hardware-Industrie, dass die Schutztechniken für das vergangene Weihnachtsgeschäft noch nicht einsetzbar waren. Die vorläufige Spezifikation für tragbare MP3-Player hatte das Konsortium zwar schon im Juni 1999 aufgestellt. Seitdem kam der Implementierungsprozess allerdings ins Stocken. Vor allem Sony hatte sich im vergangenen Herbst beklagt, dass die Gerätehersteller ihre Hardware fürs Weihnachtsgeschäft noch nicht mit den SDMI-Regeln in Übereinstimmung bringen konnten. Erst im Februar lieferte das SDMI-Konsortium die Spezifikationen für die "zweite Phase" der Copyright-Schutzmechanismen nach. Mit ihrer Hilfe sollen auf SDMI ausgerichtete MP3-Player nun so nachgerüstet werden können, dass sie das Abspielen geschützter Dateien verhindern.

Die Trauer im Hause Sony hielt sich aber in Grenzen, da der Konzern auf zwei Hochzeiten tanzt: Einerseits will er die Rechte der von Sony Entertainment vertretenen Künstler schützen, andererseits MP3-Player verkaufen und dabei den Verbrauchern möglichst wenig Restriktionen aufbürden. Insgesamt ist das Spektrum der bei SDMI vertretenen Firmen sehr groß und die Interessen liegen dementsprechend weit auseinander. So verwunderte die Ankündigung Sonys dann auch nicht mehr groß, die neue, natürlich auch MP3s abspielende Walkman-Generation zunächst ohne SDMI-Copyright-Kontrolle verkaufen zu wollen. Der Forrester-Analyst Mark Hardie zeigte jedenfalls Verständnis für die Entscheidung: "Sonys Verbraucherelektronik-Abteilung sieht die Wichtigkeit dieser Geräte ganz anders als Sony Entertainment. Sie kann einfach nicht die Diskussionen einer die ganze Industrie umspannenden Gruppe abwarten."

Wann und ob SDMI ihr Projekt erfolgreich beenden wird, steht damit weiter in den Sternen. Selbst den großen Labels dauert inzwischen alles zu lange, sie setzen wie etwa die Bertelsmanns Media Group (BMG) beim Vertrieb digitaler Musik über das Internet auf Partnerschaften mit Firmen wie Intertrust oder Reciprocal. Dabei werden Musikfiles verschlüsselt in einen "digitalen Umschlag" gepackt. Von Wasserzeichen ist diese Technik nicht abhängig. "SDMI war eh nicht die schlaueste Anwendung für Wasserzeichen", urteilt Karlheinz Brandenburg, der am Erlanger Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen MP3 maßgeblich mit entwickelt hat. Schließlich lasse die Robustheit dieser Tracking-Technologie insgesamt noch zu wünschen übrig. Zu leicht seien auch Signalveränderungen beim Encodieren von Musikdateien möglich. Würde ein solcher Mechanismus geknackt, wäre das gesamte SDMI-Projekt bedroht.

Organisationen wie die Electronic Frontier Foundation (EFF) gehen gegen die Arbeit von SDMI noch mit anderen Argumenten an: Indem wir die Musikdistribution im Internet unter eine Käseglocke stellen, "schaffen wir eine Gesellschaft des Misstrauens", fürchtet Tara Lemmey von der Lobbyvereinigung. SDMI würde einen Teufelskreis in Gang bringen: "Je mehr man Dinge einsperrt, desto nachdrücklicher fordert man die Leute auf, sie zu stehlen."

SDMI will alle glücklich machen

Die an SDMI beteiligten Unternehmen und Organisationen, zu denen auch die Fraunhofer-Gesellschaft gehört, haben inzwischen selbst mehrfach die Pläne revidiert, mit denen sie im Dezember 1998 an den Start gingen (Kampf um die Ohrmuscheln). Damals war noch von der Definition eines neuen technischen Standards im klassischen Sinne die Rede. Das offizielle Ziel lautet nun "nur" noch, "ein freiwilliges, offenes Rahmenwerk für das Abspielen, Speichern und die Distribution digitaler Musik in geschützter Form zu entwickeln." Obwohl SDMI weiterhin der Ansicht ist, dass Urheberrechte respektiert werden sollten, will man auch die Verwendung ungesicherter Distributionsmöglichkeiten nicht verhindern. Ein alle selig machendes Format oder Design könne man nicht von SDMI erwarten, macht auch Leonardo Chiariglione, Chef des Konsortiums, seit neuestem unmissverständlich klar.

Für viele Beteiligten sei die Kehrtwende enttäuschend gewesen, so Brandenburg. SDMI habe gezeigt, "wie schwer sich die Leute einigen können". Größtenteils würden die Treffen des Konsortiums nur noch genutzt, um hinter den Kulissen Geschäftspartnerschaften und Verträge abzuschließen. Als "reinen Fehlschlag" will der Komprimierungsexperte, der inzwischen eine Professur an der Technischen Universität Ilmenau in Thüringen angenommen hat und dort eine Zweigstelle des IIS aufbaut, SDMI aber nicht bezeichnen: Sowohl bei den Vertretern der Musikindustrie wie auch in den Reihen der Gerätehersteller sei das Verständnis für die Belange der jeweils anderen Seite gewachsen.

Konkurrenz für MP3: die Bandbreite reicht von AAC bis Ogg Vorbis

Ob die Ergebnisse des Konsortiums aber jemals durchzusetzen seien, sieht Brandenburg auf einem anderen Papier stehen. Wie Programme à la Gnutella oder FreeNet zeigten, sei ein absoluter Kopierschutz eine Illusion und dem Verbraucher auch kaum zu vermitteln. Für das 1997 standardisierte und MP3 technisch überlegene Komprimierungsverfahren AAC (Advanced Audio Coding) hat sich das IIS daher einen taktisch klugen Schachzug überlegt, um den Angriffen der Phonoverbände und der großen Plattenlabel zu entgehen: AAC selbst enthält keine Vorrichtungen zum Urheberschutz - die Fraunhofer-Gesellschaft lizenziert das Verfahren aber nur an Firmen, die es zusammen mit Copyright-Vorkehrungen vermarkten. Die rigiden Lizenzbedingungen und das Fehlen freier Encoder oder Player verhindern gleichzeitig auch, dass sich AAC genauso "unkontrolliert" im Netz ausbreitet wie MP3 und etablieren den Standard bisher nur als MP3-Alternative für den professionellen Markt.

Doch auch im Low-End-Bereich hat sich inzwischen mit Ogg Vorbis ein neues Codierungsverfahren für alle aufgetan, die offene Quelltexte lieben und MP3 missachten, weil die Fraunhofer-Gesellschaft für jeden offiziell verkauften Encoder 25 Dollar kassiert. Die sich unter dem nicht ganz leicht aussprechbaren Namen Xiphophorus am MIT zusammengescharten Programmierer aus der Open-Source-Szene haben das einem japanischen Forschungsprojekt entstammende TwinVQ Codiersystem wieder entdeckt und präsentieren sich nun nach dessen gründlicher Überarbeitung als neuer Schrecken der Musikindustrie.

"Willst du wirklich, dass eine Unternehmensallianz kontrolliert, wann du welche Musik hörst?", fragen sie den potentiellen .ogg-Ripper und erinnern ihn daran, dass die Lobby der Plattenlabel an Playern arbeite, die nur noch offiziell "sanktionierte" Töne spielen sollen. Dem wollen die Hacker begegnen, indem sie ein garantiert patent- und lizenzfreies Verfahren ins Netz stellen, dessen Nutzer sich wohl kaum um die Copyright-Bedenken der Industrie scheren dürften.