Zweimal Wählen hält besser: Kommt ein Machtwechsel in der Hauptstadt?

Die Regierende Bürgermeisterin von Berlin Franziska Giffey (SPD), hier noch vor der Wahl im letzten Jahr als Bundesfamilienministerin. Bild: Annkathrin Weis / CC BY 2.0

Themen des Tages: Was die Medien bei der Empörung über Katar-WM ausblenden. Was afghanische Soldaten in der Ukraine verloren haben. Wie CDU und AfD eine Wahlwiederholung in Berlin für sich nutzen könnten.

Liebe Leserinnen und Leser,

der Nachrichtentag war gestern vollgestopft mit Top-News: G20-Erklärung, Trumps Ankündigung, 2024 als Präsidentschaftskandidat für die Republikaner anzutreten, der Raketeneinschlag in Polen inklusive der Erklärung, dass es kein gezielter Angriff von russischer Seite gewesen ist, sondern wohl Folge eines ukrainischen Querschlägers, und, ach ja, die Entscheidung des Berliner Landesverfassungsgerichts, dass die Wahlen zum dortigen Abgeordnetenhaus wiederholt werden müssen.

Zum letzten Punkt weiter unten mehr.

Es gab gestern aber auch eine Reihe von Themen, die uns auf Telepolis beschäftigt haben, die nicht im Scheinwerferlicht des Nachrichtenbetriebs standen, aber trotzdem Beachtung verdient haben:

1. Warum kämpfen afghanische Söldner an der Seite von russischen Truppen in der Ukraine?

2. Warum regen wir uns nicht über Menschenrechtsbrüche auf, wenn es um Waffenlieferungen geht?

3. Befindet sich deutscher Klimaschutz auf Crashkurs mit dem Planeten?

Doch der Reihe nach.

Afghanen an der Seite Russlands in der Ukraine

Afghanische Soldaten, die noch vor gar nicht langer Zeit an der Seite der USA in Afghanistan kämpften, werden nun von Russland rekrutiert, um gegen ukrainische Soldaten zu kämpfen, die wie die Afghanen von den USA ausgebildet und unterstützt worden sind. Eine Ironie US-amerikanischer Geopolitik, die nicht ganz neu ist. Siehe Osama bin Laden und al-Qaida.

Der Grund: Afghanische Soldaten haben kein Anrecht darauf, in die USA auszureisen. Da die Taliban auf die ehemaligen US-Partner nach dem Abzug der US- und Nato-Truppen Jagd machen, greifen die Gejagten nach jedem Strohhalm. Einer ist, sich von Russland für den Ukraine-Krieg rekrutieren zu lassen.

Kelley Beaucar Vlahos, Senior Advisor am Quincy Institute in den USA, wirft der Regierung in Washington D.C. deshalb auf Telepolis Versagen vor:

Wir sprechen über Großmachtpolitik, aber hier geht es um Großmachtmissbrauch. Jetzt werden ehemalige Partner auf dem Schlachtfeld Ukrainer töten, also genau die Menschen, denen wir eigentlich helfen sollten, oder umgekehrt. Auch wenn Biden die US-Truppen bisher vom Boden ferngehalten hat, mischen die Vereinigten Staaten dort kräftig mit.

Geteilte Empörung über Menschenrechtsbrüche

Menschenrechte werden in der öffentlichen Wahrnehmung nicht immer als gleich wichtig, als gleich schlimm dargestellt. Telepolis-Autor Bernhard Trautvetter hinterfragt vor diesem Hintergrund die Empörung, die vor der WM in Katar in deutschen Medien vorangetrieben wird. Er entdeckt eine Reihe von Doppelstandards.

Wenn Waffen nach Saudi-Arabien bzw. an die Kriegsallianz, die seit vielen Jahren im Jemen für extremes Leid und Zerstörung verantwortlich ist, auch von Deutschland geliefert werden, dann herrscht meist Schweigen im Walde. Bei homophoben Äußerungen von Funktionären aus Katar im Zusammenhang mit der Fußballweltmeisterschaft der Männer wird hingegen ein Entrüstungssturm losgetreten.

Zudem: Nicht nur auf den Baustellen von Stadien in Katar wird gelitten und gestorben, sondern auch in vielen Fabriken in Entwicklungsländern, die für westliche Konzerne und ihre Profiterwartungen in einem endlosen Strom Kleidung und Elektronik für die reichen Länder produzieren. Solche ausbeuterischen Verhältnisse sind aber meist nur Randnotiz im Blätterwald.

Und wo ist die Empörungswelle, wenn es um Katar als militärischer Partner US-amerikanischer Angriffskriege und umworbener Gaslieferant für Deutschland geht? Trautvetters Schlussfolgerung:

Dies alles auszublenden und lediglich die WM zu skandalisieren, ist ein willkommenes Mittel zur Verblendung der Weltöffentlichkeit.

Ja, auch unsere Regierung ist auf Klima-Crashkurs

Ich gebe zu, wenn man die Nachrichten verfolgt, ist es schwierig bis unmöglich einzuschätzen, was Deutschland denn genau tun müsste, um weltweit das Schlimmste in der Klimakrise zu verhindern. Die Medien helfen nicht gerade dabei, das Gewirr an Zahlen, Prozenten und Klimazielen zu ordnen und die Emissions-Verantwortung Deutschlands daraus abzuleiten.

Das hängt auch damit zusammen, dass auf Klimakonferenzen einschließlich der COP27 in Ägypten bisher nicht festgelegt worden ist, wie viele Treibhausgase jedem Land noch zustehen (und woran sich dann jedes Land strikt halten müsste), wenn man die vereinbarte Obergrenze von höchstens zwei Grad plus in diesem Jahrhundert noch einhalten will. Die Aufteilung der verbleibenden Emissionen sollte dabei natürlich fair geschehen, also die historische Verantwortung, die Bevölkerungsgröße und die Kapazitäten jedes Landes berücksichtigen.

Die Emissionsverteilung ist auch kein Hexenwerk. So hat sich Telepolis-Autor Wolfgang Pomrehn eine neue Studie der Organisation Global Carbon Project angeschaut. Danach verbleibt nur noch ein sehr kleines globales Restbudget an Emissionen, um das Schlimmste noch zu verhindern, also Kipppunkte im Erdsystem nicht zu überschreiten, die die Erde stetig erhitzen und den Meeresspiegel weiter ansteigen lassen würden, ohne menschliches Zutun.

Relativ fair aufgeteilt, rechnet Pomrehn vor, müsste Deutschland danach deutlich früher als geplant dekarbonisieren, nicht erst 2045 klimaneutral sein, sondern bereits vor 2030 auf null Treibhausgase gelangen. Er zieht daraus folgenden Schluss:

Man könnte also auch sagen, das Parlament hat zwar die Pariser Klimaübereinkunft ratifiziert, aber mit dem Klimagesetz klargemacht, dass es nicht gedenkt, sich an den Vertrag zu halten. Derweil nimmt es die Regierung auch mit dem Gesetz nicht so genau, und alle sind sich einig, dass man weiter auf Kosten anderer leben will. Ganz regelbasiert und menschenrechtsorientiert.