Das Schweigen der Akten

Bild: Offizielle Zeichnung von John F. Kennedys angeblich weitgehend intakten Hinterkopf mit kleinem Einschussloch, die auf einem angeblich bei der zweiten Autopsie aufgenommenem Foto beruht. Lizenz: Public Domain

Kennedy-Attentat bleibt auch zwei Jahre nach versprochener Aktenfreigabe mysteriös

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Heute jährt sich zum 56. Mal der Mord an US-Präsident John F. Kennedy. Obwohl Meinungsumfragen zufolge die Mehrheit der US-Amerikaner dem Narrativ vom verrückten Alleintäter Oswald keinen Glauben schenkt, wird es von den Qualitätsmedien nahezu geschlossen gestützt. Speziell in Deutschland, wo SPIEGEL & Co. Skepsis an der Darstellung des Jahrhundertmords ins Lächerliche ziehen, fällt man damit weit hinter den Forschungsstand von etwa 1988 zurück. Auch in der deutschsprachigen Wikipedia wacht der tapfere Benutzer Phi vom Wikipedia-Stammtisch Hamburg seit über einem Jahrzehnt eifrig über das Framing des Kennedy-Attentats.

Als vor zwei Jahren gemäß dem JFK-Act die letzten Akten aus den diversen Untersuchungen freigegeben werden sollten, brach Kennedys Nachfolger Trump sein Wort und hielt Tausende Dokumente zurück. Dennoch gibt es seither einiges zu vermelden. Aufschlussreich ist vor allem, welches Material man noch über ein halbes Jahrhundert später unter Verschluss halten möchte. Bei den bislang erfolgten Freigaben waren selten überzeugende Gründe für die lange Geheimhaltung zu erkennen, manche allerdings brachten die CIA in Verlegenheit (Bürgermeister von Dallas war CIA-Agent).

Arzt

Diesen September verstarb der renommierte Chirurg Dr. Robert McClelland, unter dessen Händen der Präsident im Parkland-Krankenhaus seinen Verletzungen erlag. McClelland war überzeugt davon, dass es sich bei der frontalen Wunde um das Einschussloch handelte und die große Wunde am Hinterkopf vom Austritt der Kugel verursacht worden sein müsse. Aus dem Zapruder-Film, auf dem der Hinterkopf des Getroffenen quasi weggesprengt wird, schloss McClelland, dass der Schuss vom Grashügel gekommen sein müsse. Doch die Meinung des Mediziners, die dem Narrativ vom Einzeltäter im sechsten Stock des Schulbuchlagers widersprach, schaffte es zunächst nicht in die Presse.

Ebenso wenig mit der offiziellen Interpretation harmonierten die Aussagen von 23 Polizisten, die Schüsse vom Grashügel gehört hatten. Insgesamt berichteten zwischen 33 und 88 Ohrenzeugen über Schüsse von dort. Augenzeugen berichtete sogar von Pulverdampf am Zaun auf dem Grashügel, andere hatten ihn dort gerochen. Mehrere Zeugen, die vor dem Zaun gestanden hatten, blieben auch Jahrzehnte später bei ihrer Wahrnehmung, Schüsse seien von hinter ihnen gekommen, darunter ein mit Schusswaffen erfahrener Soldat.

General

Unter Verschluss ist auch ein Teil der Aufnahmen aus der Airforce One, mit welcher die Leiche des Präsidenten aus Dallas nach Washington DC ausgeflogen wurde. Bei den bislang freigegeben Bändern stellte sich überraschend heraus, dass diese manipuliert waren. Seriöse Gründe für solche Zensur sowie die Heimlichkeit diesbezüglich sind unerfindlich. Zu hören ist jedoch, wie ein Mitarbeiter von Airforce-General Curtis LeMay Kontakt zu seinem Chef sucht. LeMay hatte die zweite Autopsie im Militärkrankenhaus im Bethesda-Navy-Krankenhaus bei Washington DC beaufsichtigt.

Warum der Sarg, in welchem die Leiche in Dallas eingeladen wurde, ein anderer war als der, in welchem diese im Navy-Krankenhaus ankam, ist nach wie vor rätselhaft. Der ursprüngliche Sarg wurde später von der Airforce über dem Meer abgeworfen, was eher nicht dem Protokoll einer Spurensicherung entspricht. Der grobschlächtige General LeMay, der die Atombombenabwürfe kommandiert hatte und stets offen für einen nuklearen Präventivschlag gegen die Sowjetunion plädierte, hatte die Kennedys später als zu zertretende Kakerlaken bezeichnet (Der General, der Präsident - und die Bombe).

Anders als McClelland kam der unter Befehl stehende Militärarzt, der nie zuvor obduziert hatte, zu dem Ergebnis, der Kopfschuss sei offensichtlich von hinten gekommen. Eine Rekonstruktion des Schusskanals wurde allerdings durch die Tatsache erschwert, dass auf dem Weg von Dallas nach Washington DC ein Teil des Gehirns verschwunden war. Das Original seiner Aufzeichnungen verbrannte der gewissenhafte Arzt.

Seine Diagnose wurde durch mysteriöse Fotos gestützt, die einen bemerkenswert intakten Hinterkopf des Präsidenten mit einem kleinen Einschussloch zeigten. Aus geheimnisvollen Gründen vermied es die Warren-Kommission, diese Fotos den Ärzten aus dem Parkland-Hospital zu zeigen, die von einer dramatisch größeren Wunde berichteten. Ein Mitwirkender der zweiten Autopsie vermochte auf den Bildern ebenfalls nicht die Wunde zu erkennen, die er damals untersuchte. 1997 sagte auch die Chefentwicklerin des Fotolabors unter Eid aus, dass die Fotos, die sie damals entwickelte, nicht die gleichen seien, die sich nun in den Archiven befanden; die auf den ursprünglichen Fotos erkennbare Wunde am Hinterkopf sei viel größer gewesen.

Auch zum Zapruder-Film passte diese kleine Wunde nicht so recht. Der Film war der Öffentlichkeit zunächst nicht zugemutet worden, sondern verschwand zunächst auf Jahre im Tresor des TIME-Magazins. Zufällig war dessen Verleger mit dem von Kennedy gefeuerten Ex-CIA-Chef Allen Dulles eng befreundet. Bezirksstaatsanwalt Jim Garrison zeigte den Film 1967 im Gerichtssaal. Erst 1975 leakte ein Filmtechniker, der Zugang zum Material bekam, den Zapruder-Film an das US-TV (Verschwörung gegen Verschwörungstheoretiker).

Vertuscher

Da die Ergebnisse der Warren-Kommission und der Rockefeller-Kommission vernunftbegabte Beobachter nicht überzeugten (Rockefeller-Kommission unterschlug 86 brisante Seiten) und durch den Church-Ausschuss die Mordprogramme der CIA ans Licht kamen, wurde 1978 das „House Select Committee on Assassinations (HSCA)“ gebildet, um die Attentate auf die Kennedy-Brüder und Martin Luther-King erneut zu untersuchen. Als Ansprechpartner in der CIA fungierte dort der Desinformationsspezialist George Joannides. Dem Kennedy-Attentats-Forscher Jefferson Morley gelang es, brisante Dokumente über den Schattenmann frei zu klagen (500.000 $ für einen toten Agenten).

Als die CIA nach Reagans Wahl wieder unter der Kontrolle der Republikaner stand, wurde Joannides 1981 mit der Career Intelligence Medal ausgezeichnet. Nach wie vor bleibt es ein gut gehütetes Staatsgeheimnis, mit welcher Heldentat sich Joannides denn ein so großes Verdienst erworben haben könnte. Vieles spricht für eine Belohnung dafür, dass er die Geheimnisse der CIA vor dem HSCA schützte. Joannides hatte auch selbst eine zweifelhafte Rolle im Vorfeld des Kennedy-Mords gespielt. So war er in Miami und New Orleans für ein geheimes Programm verantwortlich, das Desinformation über Castro streute. Aus dieser Quelle stammte denn auch die allererste Verschwörungstheorie zum Kennedy-Mord, nämlich die bis heute unbelegte These, Lee Harvey Oswald sei der Täter gewesen.

Was Joannides dem HSCA außerdem verschwieg, war u.a. die Tatsache, dass seine Agenten im Sommer 1963 erstaunliche Kontakte zu einem schillernden Mann pflegten: Lee Harvey Oswald. Irritierend genug war bereits die bekannte Freundschaft zwischen Oswald und dem umtriebigen CIA-Partner George de Mohrenschildt - der wiederum seit den 40er Jahren Bekanntschaft mit dem späteren CIA-Chef George Herbert Walker Bush pflegte.

Die schwachen Ergebnisse des HSCA resultieren jedoch nicht nur aus Joannides geschickter Informationspolitik, sondern auch aus dem Ableben diverser Zeugen vor ihrer Aussage durch Unfälle, Überfälle und Suizide.

Sänger

Weniger Glück als Joannides hatte CIA-Ermittler John Whitten. Whitten war ein erfahrener Spezialist für Gegenspionage, einst führte er bei der CIA den Polygraphen als Ermittlungsmethode ein. Als man ihm nach dem Attentat Akten über Oswald präsentierte, lieferte Whitten zunächst das gewünschte Ergebnis. Als ihm jedoch später erhebliche Zweifel kamen, regte er bereits im Dezember 1963 eine gründliche CIA-interne Untersuchung über Oswald an. Doch sein Vorschlag einer Revision stieß bei CIA-Vizedirektor Richard Helms und Gegenspionagechef James Jesus Angleton nicht auf Gegenliebe. Whitten wurde fortan mit unbedeutenden Aufgaben befasst und quittierte schließlich den Dienst. In Wien startete er unter dem Pseudonym "John Scelso" eine neue Karriere als Sänger.

Spion

Vielleicht hätte sich Whitten taktischer verhalten, hätte er gewusst, dass ein Dutzend hochrangiger CIA-Leute Oswald bereits Jahrevor dem Attentat auf dem Radar hatten. Dieses frühe Wissen der CIA über Oswald gehört noch immer zum gesperrten Material.

So etwa die Akte zu CIA-Mann Birch O'Neill, der in einer Abteilung arbeitete, welche die CIA von innen überwachte. O'Neill war seit 1959 für Oswald zuständig, legte jedoch nach dessen Überlaufen zur Sowjetunion keine „201er-Akte“ für Personen von Interesse an. Eine solche wäre aber der Ex-Navy-Mann Oswald, der auf Flughäfen des ultrageheimen Spionageflugzeugs U2 Dienst geschoben hatte, zweifellos gewesen.

Stattdessen legte O'Neill eine Akte an, zu welcher der Zugang nur über das Büro von James Jesus Angleton führte, dem inzwischen faktisch mächtigsten Mann im US-Geheimdienst. Experten ziehen hieraus den Schluss, dass Angleton bereits seit 1959 Oswald für Zwecke der Gegenspionage benutzt haben muss. Tatsächlich hatte sich Oswald als Leiter eines Fair-Play-for-Cuba-Kommittees aufgespielt, das seltsamerweise außer ihm keine weiteren Mitglieder hatte. Doch statt mit authentischen Castro-Fans wurde Oswald in Dallas Monate vor dem Attentat mit einem „Maurice Bishop“ gesehen. Der Zeuge dieses Treffens, der Exilkubaner Antonio Veciana, hatte zunächst abgestritten, dass es sich bei Bishop in Wirklichkeit um den CIA-Mann David Atlee Philips handelte. Nach einem Kopfschuss schwieg Veciana ein halbes Jahrhundert, bis er dann doch auspackte.

Tänzerin

In vorgerücktem Alter meldete sich die Tänzerin Gail Raven, die einst in Jack Rubys Carousel Club korrupte Polizisten und Unterweltgestalten unterhielt und die Geliebte des Mafioso war. Ruby hatte Oswald auf dem Polizeirevier erschossen und dies mit seinem vorgeblichen Wunsch gerechtfertigt, Kennedys Witwe die Pein eines Prozesses gegen Oswald ersparen zu wollen. Raven, die Ruby auch im Gefängnis besuchte, hält das für eine Fälschung. Ihr zufolge hatte Ruby nie über JFK gesprochen, sondern allenfalls über Justizminister Robert Kennedy, der einen Privatkrieg gegen die Mafia führte.

Zwei andere Tänzerinnen des Clubs hatten direkt nach dem Attentat bzw. nach 25 Jahren übereinstimmend ausgesagt, dass Ruby zwei Wochen vor den Schüssen einen interessanten Gast im Club empfangen hatte: Lee Harvey Oswald ("Ein dummer, kleiner Kommunist").

Gangster

Nicht neu, aber wenig bekannt, ist die Lebensbeichte des militanten John Martino, der mit der Unterwelt aus CIA, Mafia und Exilkubanern zu tun hatte. Zunächst hatte der bekannte Castro-Feind an der Legende mitgestrickt, Oswald habe Verbindungen nach Kuba und zu Castro. Vor seinem sich abzeichnenden Tod gestand Martino allerdings, dass er Oswald am vereinbarten Treffpunkt, nämlich einem Kino, mit anderen abholen sollte, um ihn letal verschwinden zu lassen. Oswald habe nicht realisiert, welches Spiel mit ihm getrieben worden sei. Experten halten seine Einlassung für plausibel, da er keinen Vorteil hieraus suchte und sie erst posthum veröffentlichen ließ.

Mörder

Nach wie vor unter Verschluss sind umfangreiche Dokumente über den Leiter des CIA-Mordteams William King Harvey, der 1963 eine geheimnisvolle Reise von seinem Stützpunkt Rom in die Südstaaten unternahm, um etwas „Großes“ vorzubereiten (Der "amerikanische James Bond" liquidierte nicht nur ausländische Staatschefs). Der grobschlächtige Harvey war für die Mordkomplotte gegen Castro zuständig gewesen und hatte noch während der Kubakrise eigenmächtig Geheimkommandos auf die Insel gesandt, was den Konflikt leicht hätte eskalieren können.

Nachdem Harvey den Präsidenten im Weißen Haus beschimpft hatte und daraufhin nach Rom strafversetzt wurde, machte er aus seinem Hass auf JFK keinen Hehl. Harvey, der mit Mafiosi kooperierte, propagierte bei seinen Morden stets das Legen von Fehlspuren, um die Taten ideologischen Gegnern wie etwa Kommunisten in die Schuhe zu schieben.

Strippenzieher

Der Vertuschungseifer wie das Legen von Fehlspuren, erstaunliche Beweisverluste sowie die Kontrolle über die Warren-Kommission fällt auf die CIA zurück. Auch die Gegenpropaganda (50 Jahre "Verschwörungstheoretiker"), das Abhören von Bezirksstaatsanwalt Jim Garrison und die höchst seltsamen Beziehung von CIA und FBI zu Oswald lassen sich mit der offiziellen Darstellung vom Einzeltäter kaum in Einklang bringen.

Zur Person des skrupellosen CIA-Direktors Allen Dulles und seines Gönners, dem verhinderten Präsidenten Nelson Rockefeller, pflegen die Medienschaffenden nach wie vor eine kollektive Amnesie ("Das Schachbrett des Teufels").

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