Geschäftsmodelle in der Aufmerksamkeitsökonomie

Aufmerksamkeit gegen bares Geld

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Manche behaupten wie Michael Goldhaber oder Georg Franck, daß wir mit dem Internet in eine neue Form der Ökonomie eintreten, die ganz anderen Gesetzen als jede andere Ökonomie zuvor folgt. Die auf geistigem Eigentum basierende Informationsgesellschaft kreist um die neue knappe Ressource der Aufmerksamkeit. Diese ist bei allen Menschen begrenzt, aber ohne daß etwas Aufmerksamkeit gefunden hat, ist etwas praktisch nicht existent und kann folglich auch nicht vermarktet werden. Aufmerksamkeit kann überdies akkumuliert und weitergegeben werden. Das weist auf die gesellschaftlich immer wichtiger werdende Prominenz hin.

Die Website Cybergold von Nat Goldhaber (siehe auch Nicht besonders sexy) hat die Theorie der Aufmerksamkeitsökonomie unmittelbar praktisch umgesetzt. Aufmerksamkeit, so die Idee, ist so knapp und wertvoll geworden, daß man für sie erst einmal bezahlen muß, um nachher möglicherweise Geld zu verdienen. Wer sich bei Cybergold anmeldet und sich Werbung ansieht, kann folglich ein wenig Geld verdienen, das auf sein Benutzerkonto überwiesen und ab einer gewissen Summe ausgezahlt wird. Allerdings muß er zeigen, daß er sich die Werbung auch angeschaut hat, was freilich der Haken an der Sache ist, indem er etwa die AOL-Software herunterlädt, wofür er einen halben Dollar erhält.

Aber Cybergold hat nicht nur aus der Theorie der Aufmerksamkeitsökonomie ein neues Geschäftsmodell entwickelt, sondern Goldhaber, der Namensvetter des Theoretikers, weiß auch anderweitig, worauf es in ihr ankommt: auf die Sicherung des geistigen Eigentums. Folglich hat er sein Geschäftsmodell als Patent registrieren lassen, den Menschen eine mit "negativen Preisen" angesetzte Werbung über ein Computernetz anzubieten, um ihre Aufmerksamkeit zu erhalten. Das ganze nennt sich "Attention Brokerage" und bedeutet, daß man mit dem Kaufen und Verkaufen von Aufmerksamkeit handelt. Mit dem Patent Nr. 5,794,210 will Cybergold das alleinige Recht für sich beanspruchen, "Kunden Online-Anreize zu bezahlen, wozu Geld, Punkte, Frequent-Flyer Miles oder jede andere Form der Kompensation gehören."

Noch nicht umgesetzt, aber bereits patentiert hat Goldhaber weitere Ideen. Eine Erfindung ist die "orthogonale Finanzierung". Die soll es Firmen ermöglichen, ihre Werbung aus dem anderen Inhalt hervorzuheben und ihre Kunden direkt zu bewerben. Ein bestimmtes Icon würde auf Bezahlung hinweisen, wenn ein Benutzer sich die Werbung ansieht, der wiederum Angaben über seine Person (Adresse, Einkommen, Beruf etc.) in einer Datenbank hinterlegen kann, die er gegen Geld verkauft: "Die dem zugrundeliegende Vorstellung ist, daß die Information über Sie Ihnen selbst und nicht jemandem anderen gehört. Und Sie selbst können entscheiden, wann Sie diese weitergeben und ob Sie dafür global oder für dieses eine Mal bezahlt werden wollen."

Das ist doch auch wirklich eine einleuchtende Idee, die persönliche Daten nicht vornehmlich durch Gesetze zu schützen sucht, sondern durch ihre Kommerzialisierung. Schließlich gehören die persönlichen Daten ebenso wie der genetische Code doch auf intuitiv nachvollziehbare Weise demjenigen, von dem sie stammen, und nicht denjenigen, die sie nur sammeln und dann weiterkaufen. Mit Goldhabers Geschäftsidee wären die persönliche Daten keine Freeware mehr, sondern ein Handelsgut, und jeder könnte selbst entscheiden, ob er sie auf dem Markt anbieten will. Das müßte allen so sehr auf Wahrung des Copyright und des geistigen Eigentums fixierten Unternehmen, die andererseits gerne kostenlos mit allen Mitteln persönliche Daten einsammeln, den Wind aus den Segeln nehmen. Dasselbe Geschäftsmodell könnte man auch für Email-Werbung ansetzen. Wer sich in eine entsprechende Liste einträgt, erhält für die Erlaubnis, seine Mailbox zu öffnen, eine Kompensation. Natürlich könnte auch hier wieder die Klassengesellschaft durchschlagen, denn wer mehr verdient und einer interessanten Zielgruppe angehört, würde nach den Marktgesetzen für seine Aufmerksamkeit eine höhere Entschädigung verlangen.

Aber Goldhaber hat noch eine andere Idee, für die er ein Patent hat und die er in den nächsten Monaten umsetzen will. Anbieter von Online-Inhalten stellen erst einmal ihre Produkte kostenlos ins Web. Sie erhalten jedoch für jeden neuen Benutzer einen geringen Geldbetrag, der diesen Inhalt aufruft und selbst wiederum Geld dafür bekommt, eine begleitende Werbung anzusehen. Cybergold soll dabei als Vermittlungsinstanz zwischen den Autoren und Konsumenten auftreten, die einen Anteil der Aufmerksamkeitsentschädigung für den Konsumenten an den Autor abführt. Dadurch werde, so Goldhaber, zwar die Richtung des Geldflusses verändert, aber nicht die Grundlage, daß Publizieren durch Werbung ermöglicht wird.

Dieses Modell könnten natürlich auch Politiker im Wahlkampf übernehmen. Es ist zwar verboten, Stimmen zu kaufen, aber es wäre wohl zulässig, die Menschen dafür zu bezahlen, wenn sie die politischen Programme und Selbstdarstellungen lesen: "Anstatt den Menschen einen Drink in einer Kneipe anzubieten, wenn sie zu einer Wahlveranstaltung kommen", so Goldhaber, "bietet man ihnen ein wenig Geld, womit sie selbst in die Kneipe und etwas trinken gehen können." Das Internet könnte also auch auf diese Weise die Politik zum Vorteil der reichen Parteien oder der Millionäre verändern. Vielleicht könnten sich Politiker und Unternehmen ja auch zusammentun. Die Unternehmen zahlen und dürfen dabei auf der Website eines aussichtsreichen Kandidaten werben.

Jamie Love, Direktor des Consumer Project on Technology, will allerdings solche Patente anfechten, da sie nicht neu genug seien: "Das U.S. Patent and Trademark Office rechtfertigt solche Patente für Geschäftspraktiken durch die seltsame Behauptung, daß die Verwendung eines Computers, einer Software, der Telekommunikation oder anderer Mittel eine Geschäftspraktik in einen patentierbaren Gebrauch einer Maschine oder einer Software verwandelt." Kritik wird allgemein über die angeblich leichtfertige Vergabe von Patenten beim Patent and Trademark Office laut, wie die New York Times unter der Überschrift "Patent Absurdity" schreibt: "Einige Beispiele für absurde Patente kamen in der letzten Zeit in die Nachrichten. Relativ neu sind die 'methods of doing business', die man auch 'Softpatente' nennt, weil sie nicht wirklich eine materielle Erfindung einschließen. Solche Patente, zu denen auch Software gehörte, wurden bis vor kurzem vom U.S. Patent and Trademark Office abgewiesen, bis Gerichte ihre Ablehnung rückgängig machten." (Dazu siehe auch Madness In PTO's E-Commerce Method?)

Ein Patent wurde etwa für die Idee anerkannt, ein illustriertes Buch zu verwenden, um Hausmeistern zu lehren, wie sie ein Gebäude säubern. Auch die Website MP3 wurde unlängst von Sightsound angegangen, jeweils 1 Prozent des Umsatzes abzuführen, weil man das Patent besitze, das "unter anderem den Verkauf von Video- oder Audioaufzeichnungen in einer herunterladbaren Version über das Internet" reguliere. Das sei, so die New York Times, als würde man die Kombination aus einem Stift, einem Blatt Papier und einer Briefmarke als Methode patentieren lassen, einen Brief zu schreiben. Und Michael Robertson, Präsident von MP3 kommentiert: "Ich frage mich nur, ob die Patentbehörde jetzt ganz ihren Verstand verloren hat."

In solchen Strategien überschlägt sich die durch und durch kommerzialisierte "Wissensgesellschaft", in der bald alles und jedes als geistiges Eigentum anerkannt und damit zur Ware gemacht werden soll. Würde dieser Prozeß weiter sich durchsetzen, dann wären die viel gepriesenen Gesetze zum Schutz des geistigen Eigentums keineswegs mehr eine Motivation, Neues zu schaffen, sie würden vielmehr alles lähmen und in gerichtlichen Prozeßfluten ertränken.