Kasachstan: "Unwahrscheinlich, dass es sich um 8.000 Terroristen handelt"

Clare Daly. Bild: GUE/NGL, CC BY-SA 2.0

Die EU-Abgeordnete Clare Daly zu den Protesten in Kasachstan, die sozialen Ursachen der Aufruhr und warum sie jetzt in das mittelasiatische Land fahren möchte

Frau Daly, was war Ihre erste Reaktion auf die Proteste in Kasachstan, die am 2. Januar begonnen haben?

Clare Daly: Als ich von den Protesten hörte, war ich überrascht. Man hörte sonst nichts über Kasachstan. Der Grund war die Erhöhung der Gaspreise, die von der Regierung bekannt gegeben wurde. Diese Preiserhöhung hatte für die Bevölkerung massive Auswirkungen.

Was wussten Sie bis dahin über Kasachstan?

Clare Daly: Ich muss sagen – und das gilt wohl für die meisten Bürger und Politiker der Europäischen Union – dass mein Wissen über Kasachstan begrenzt ist. Ich hatte gehört, dass 2011 die Arbeiterbewegung in der Stadt Schanaosen im erdölreichen Westen von Kasachstan zerschlagen wurde. Dort wurden Aktivisten ermordet.

Mir war auch bekannt, dass die kasachischen Oligarchen und ihre Familien nach London geströmt sind. Kasachstan hat viele Probleme und einen großen Reichtum an Bodenschätzen. Und ich wusste, dass der Gewinn aus diesen nationalen Reichtümern nicht gerecht verteilt ist. Die Reichtümer wurden geraubt und kommen nur einer reichen Schicht an der Spitze der Gesellschaft zugute. Viel von diesem Geld landete in London und den Vereinigten Staaten.

Der kasachische Milliardär Timur Kulibajew, der mit einer Tochter von Ex-Präsident Nasarbajew verheiratet ist und der das kasachische Autogas kontrolliert, soll in Großbritannien eine Villa von Prinz Andrew gekauft haben.

Clare Daly: Es gibt viele dieser kasachischen Oligarchen in England. Und sie haben untereinander Konflikte. Wir sprechen über Milliarden Euro. Es müsste eigentlich den Menschen in Kasachstan zugute kommen, aber es wurde gewaschen und fand seinen Weg in Unternehmen, die an der Börse von London gelistet sind.

Die kasachischen Oligarchen sind gut in die westliche kapitalistische Wirtschaft integriert. Reiche Unternehmen im Westen haben massiv von diesem Geld profitiert.

Es ist eine Aufgabe von uns allen in der Europäischen Union mehr über die Ereignisse in Kasachstan herauszufinden und nicht einfach die Narrative der Medien zu übernehmen.

Bewertung des OVKS-Einsatzes steht noch aus

Als Sie hörten, dass Russland und andere Mitglieder des Verteidigungsbündnisses "Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit" (OVKS) Truppen nach Kasachstan schickt – was war ihre spontane Reaktion?

Clare Daly: Tiefe Besorgnis. Ich bin generell dagegen, dass Truppen das Territorium eines anderen Staates betreten, insbesondere, wenn der Protest zunächst von einer massiven Bewegung der Arbeiter und durch wirtschaftspolitische Forderungen getragen wurde.

War die Entsendung russischer Truppen also gerechtfertigt, diente sie dem Frieden?

Clare Daly: Ob die Entsendung gerechtfertigt war oder nicht, ist schwer zu sagen. Es scheint, dass die Anwesenheit von Truppen einen Raum für die Wiederherstellung der Ordnung und ein Ende von Plünderungen und Gewalt gebracht hat. Aber es ist noch zu früh, zu urteilen, ob die Truppenentsendung zu einer gerechten Einigung in Kasachstan beiträgt.

In Russland ist die Linke gespalten. Ein Teil unterstützt die Entsendung russischer Truppen nach Kasachstan, damit sich die Situation dort stabilisiert. Der andere Teil ist strikt gegen eine Entsendung russischer Truppen. Man argumentiert, dass es in Kasachstan eine Arbeiterbewegung mit korrekten Forderungen gibt. Warum sollen russische Soldaten ein oligarchisches System verteidigen?

Clare Daly: Zweifellos ist die Linke in Europa und auch in Irland in dieser Frage gespalten. Einige Abgeordnete im irischen Parlament von der trotzkistischen Gruppe "People Before Profit" haben sehr schnell und kategorisch erklärt, dass es sich bei der Bewegung in Kasachstan um eine reine Arbeiterbewegung handelt, die man unterstützen muss.

Meiner Meinung nach ist diese Position, dass es in dieser Protestbewegung keinerlei ausländische Einmischung und keinen Terrorismus gegeben hat, zu engstirnig.

Dieser Teil der Linken hat Russlands Einmischung rasch kritisiert. Ich halte es für falsch, ein solches Narrativ zu übernehmen, anstatt solidarisch darüber zu streiten, wie man angemessen reagieren kann.

Ein Aufruf, den einige Linke in Irland und Europa verbreiteten und der jetzt 200 Unterzeichner hat, war sehr russland- und chinakritisch. In dem Appell wurden auch die USA und die EU kritisiert, weil sie dazu aufgerufen haben, dass sich in Kasachstan beide Seiten zurückhalten sollen.