Ein Kolonialbeamter im Stillstand der Zeit

Bild: Filmgalerie 451

Rote Sonne: "Pacifiction" von Albert Serra entfaltet unsere kolonialen Fantasien.

Der katalanische Regisseur Albert Serra ist schon seit 15 Jahren ein Geheimtipp unter den Cinephilen. Mit seinen unverwechselbaren, mit Anspielungen auf die europäische Kulturgeschichte überreich gespickten Filmen ist er regelmäßig auf den großen Festivals der Welt zu Gast und ebenso regelmäßig auch im deutschen Kino zu sehen.

Jetzt kommt sein neuester, bisher erfolgreichster Film ins Kino: Pacifiction, der im letzten Frühjahr im Wettbewerb von Cannes Premiere hatte, spielt in einer der letzten echten Kolonien dieser Welt: Französisch-Polynesien.

Serra erzählt einen Thriller um Politik, Misstrauen und Verschwörung. Letztlich aber geht es hier vor allem um den Traum vom "ganz anderen", die Verheißung des Südens und die für Europäer verlockenden Träume vom verlorenen Paradies. Für die französischen Cahiers de Cinema war dies "der beste Film des Jahres 2022".

"Politik ist wie eine Diskothek"

Weiß ist der Anzug von De Roller. In der Seele des Mannes geht es eher düster zu. Er ist Hochkommissar der französischen Republik in Polynesien und schon insofern ein Relikt vergangener, zugleich für Europa besserer Zeiten.

Ahnungen kommender Dinge plagen diesen genialen Dilettanten, bei dem Machtmechanik und Gefühl so wenig ein Widerspruch sind wie Kolonialismus und Modernität.

Pacifiction (9 Bilder)

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In einem Schlüsselmoment von Pacifiction erklärt De Roller, der von Benoît Magimel gespielte Kolonialbeamte auf der Insel Tahiti, mit einem Anhauch von Kulturpessimismus, aber keineswegs von Niederlage, sondern triumphierend, dass "Politik wie eine Diskothek ist. Eine Soiree mit dem Teufel".

Und er fährt, mit Blick auf seine Konkurrenten fort: "Die alle hier halten sich für die Chefs. Aber sie kontrollieren gar nichts ..."

Das Böse im letzten Paradies des Westens

Von hier aus beginnt ein langer und intensiver Monolog, in dem er die Ohnmacht der Machthaber erkennt und beschreibt. Er aber erklärt, dass Politik nur eine Chimäre ist, nur Bestandteil einer Weltsicht, nach der die Menschen alles kontrollieren wollen, ohne zu erkennen, dass alles ihrer Macht entweicht, dass es andere, tiefere Kräfte gibt, die die Welt wirklich kontrollieren.

Pacifiction ist eine Chronik des Wirkens eben dieser Kräfte, eine Reflexion über politische und menschliche Ohnmacht und über die Unfähigkeit, das Böse in der Welt auszurotten.

Etwas Schreckliches und Unheimliches kommt in diesem Film allmählich an die Oberfläche des Sichtbaren, seltsame Kräfte treiben uns auf eine Art Apokalypse zu, in welcher der von vielen bereits heute vorhergesagte Verfall des Westens erst noch geschehen muss, aber sicher geschehen wird.

Das Böse ist auch in einen Raum eingedrungen, der vor Jahren von einigen noch als das letzte Paradies des Westens angesehen wurde, der als mögliche Zuflucht seiner ermüdeten Bewohner galt, als Jungbrunnen.

Macht = Präsenz zeigen

Claire Denis' Film L'Intrus erzählte vor über 15 Jahren genau von diesem Raum. Wir befinden uns im Herzen Polynesiens, aber dieses einstige Paradies ist zu einem miesen Nachtclub verkommen, in dem sich eine Reihe von sinistren Figuren betrinkt, die dazu verdammt sind, als tote Seelen noch durch die dunkelste Nacht zu wandern. Es gibt keine Touristen mehr auf dieser Insel, nur ein paar Parasiten, die auf die Dämmerung warten, um in das Herz ihrer eigenen Hölle einzudringen.

An diesem Ort am Rande der Welt verkleiden sich die Eingeborenen und halten Rituale aufrecht, die längst zu bloßen Simulakren der Tradition geworden sind, halb bewussten Täuschungen und Aneignungen der eigenen Kultur, die auch von den Touristen als eine bloße Karikatur einer längst vergangenen Zeit wahrgenommen werden.

Die Natur allein leuchtet weiter, wird aber nicht mehr in ihrer ganzen Pracht, sondern als etwas Geheimnisvolles betrachtet. De Roller ist auf die Insel gekommen, um ein paar Dinge in Ordnung zu bringen, um an Verhältnissen herumzubasteln, die die Grundlagen seines politischen Handelns bilden.

Im Laufe des Films werden wir Zeugen einiger protokollarischer Besuche des Funktionärs, dessen Arbeit vor allem aus Anwesenheit, aus Präsenz zeigen besteht, die De Roller mit großartiger Leutseligkeit gelingt.

Er sagt mit Macht, was er will, wenn es notwendig ist. Ansonsten drückt er sie einfach dadurch aus, dass er da ist. Der großartigste dieser Auftritte ist ein Surftest vor den großen Wellen, eine Fahrt auf hoher See hinein in die Schattierungen reinen Blaus.