Noam Chomsky über den gefährlichsten Punkt in der Geschichte der Menschheit

Ein Graffiti über den US-Intellektuellen Noam Chomsky auf einer Backsteinwand in den USA, aufgenommen 2013. Bild: Tom Ipri / CC BY-NC 2.0

Chomsky sagt: Die atomaren Risiken wurden durch den US-Triumphalismus verstärkt. Insbesondere die Klimakrise braucht Kooperation mit China. Und was hat die neoliberale Ungleichheit mit dem Erstarken der Rechten zu tun? (Teil 1)

Wir leben in einer Welt, die mit existenziellen Bedrohungen konfrontiert ist, während extreme Ungleichheit unsere Gesellschaften auseinanderreißt und die Demokratie einen starken Rückgang erlebt. Die USA wollen ihre globale Hegemonie aufrechterhalten, obwohl internationale Zusammenarbeit dringend erforderlich ist, um die zahlreichen Herausforderungen unseres Planeten zu bewältigen.

Im Interview erklärt Noam Chomsky, einer der einflussreichsten lebenden Intellektuellen, warum wir uns am gefährlichsten Punkt der Menschheitsgeschichte befinden und sich Nationalismus, Rassismus und Extremismus heute überall auf der Welt wieder erheben. Das Interview wird von dem Politikwissenschaftler C.J. Polychroniou geführt.

Noam, Sie sagen, dass die Welt am gefährlichsten Punkt der Menschheitsgeschichte angelangt ist. Warum glauben Sie das? Sind Atomwaffen heute gefährlicher als in der Vergangenheit? Ist das Erstarken des rechten Autoritarismus in den letzten Jahren gefährlicher als der Aufstieg und die anschließende Ausbreitung des Faschismus in den 1920er- und 1930er-Jahren? Oder liegt es an der Klimakrise, von der Sie gesagt haben, dass sie die größte Bedrohung darstellt, die die Welt je erlebt hat? Erklären Sie uns bitte, warum Sie glauben, dass die Welt heute wesentlich gefährlicher ist als früher?

Noam Chomsky: Die Klimakrise ist einzigartig in der Geschichte der Menschheit und verschärft sich von Jahr zu Jahr. Wenn nicht innerhalb der nächsten Jahrzehnte wichtige Schritte unternommen werden, wird die Welt wahrscheinlich einen Punkt erreichen, an dem es kein Zurück mehr gibt, und der Niedergang zu einer unbeschreiblichen Katastrophe führt. Nichts ist sicher, aber diese Einschätzung scheint allzu plausibel zu sein.

Noam Chomsky ist Professor für Linguist, US-Kritiker und Aktivist. Er hat rund 150 Bücher geschrieben.

Die Waffensysteme werden immer gefährlicher und bedrohlicher. Seit der Bombardierung von Hiroshima schwebt über uns ein Damoklesschwert. Wenige Jahre später, vor 70 Jahren, testeten die USA und dann Russland thermonukleare Waffen und zeigten damit, dass die menschliche Intelligenz so weit entwickelt ist, dass sie alles zerstören kann.

Die entscheidenden Fragen betreffen die soziopolitischen und kulturellen Bedingungen, die den Einsatz von Atomwaffen einschränken. Diese waren in der Raketenkrise von 1962, die Arthur Schlesinger zu Recht als den gefährlichsten Moment der Weltgeschichte bezeichnete, bedrohlich nahe am Zusammenbruch, auch wenn wir diesen unsäglichen Moment in Europa und Asien bald wieder erreichen könnten.

Das MAD-System (Mutually Assured Destruction) ermöglichte eine Form der Sicherheit, die zwar verrückt ist, aber vielleicht das Beste darstellt jenseits einer sozialen und kulturellen Transformation, die leider bis heute nur ein Wunschtraum ist.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde das MAD-Sicherheitssystem durch den aggressiven Triumphalismus von Präsident Bill Clinton und das Projekt von Bush II. und Trump zur Demontage des mühsam aufgebauten Rüstungskontrollregimes untergraben. Zu diesen Themen haben Benjamin Schwarz und Christopher Layne vor dem Hintergrund des russischen Einmarsches in der Ukraine eine wichtige Studie verfasst.

Sie untersuchen, wie Clinton eine neue Ära der internationalen Beziehungen einleitete, in der die "Vereinigten Staaten zu einer revolutionären Kraft in der Weltpolitik" wurden, indem sie die "alte Diplomatie" aufgaben und ihr bevorzugtes revolutionäres Konzept der globalen Ordnung einführten.

Die "alte Diplomatie" versuchte, die globale Ordnung aufrechtzuerhalten, indem sie "die Interessen und Motive des Gegners verstand und in der Lage war, vernünftige Kompromisse zu schließen". Der neue triumphale Unilateralismus hat als "legitimes Ziel [für die USA] die Änderung oder Beseitigung jener [länderinternen] Regelungen, die nicht mit den von den USA erklärten Idealen und Werten übereinstimmen."

Das Wort "von den USA erklärten" ist entscheidend. Bei uns wird das weggelassen, anderswo nicht.

Im Hintergrund steht die Clinton-Doktrin, dass die USA bereit sein müssen, auf Gewalt zurückzugreifen, und zwar multilateral, wenn andere mitmachen, und unilateral, wenn wir müssen, um lebenswichtige Interessen und den "ungehinderten Zugang zu Schlüsselmärkten, Energieversorgung und strategischen Ressourcen" zu sichern.

Die begleitende Militärdoktrin hat zur Schaffung eines weitaus fortschrittlicheren Atomwaffensystems geführt, das man nur als "eine präventive Gegenschlag-Kapazität gegen Russland und China" (Rand Corporation) verstehen kann – also de facto eine Erstschlag-Kapazität, die durch Bushs Aufkündigung des Vertrags, der die Stationierung von Raketenabwehrsystemen in der Nähe der Grenzen eines Gegners untersagte, noch verstärkt wurde. Die Systeme werden als defensiv dargestellt, aber sie werden von allen als Erstschlagwaffen angesehen.

Diese Schritte haben das alte System der gegenseitigen Abschreckung erheblich geschwächt und die Gefahren erhöht.

Man mag darüber streiten, inwieweit diese Entwicklungen neu sind. Schwarz und Layne legen jedoch überzeugend dar, dass dieser triumphale Unilateralismus und die offene Verachtung für den besiegten Feind maßgeblich dazu beigetragen haben, dass Europa mit der russischen Invasion in die Ukraine in einen größeren Krieg hineingezogen wurde, der am Ende die Welt vernichten würde.

Nicht weniger bedrohlich sind die Entwicklungen in Asien. Mit starker parteiübergreifender und medialer Unterstützung attackiert Washington China sowohl an der militärischen als auch wirtschaftlichen Front.

Da die USA Europa dank Russlands Einmarsch in die Ukraine sicher an sich gebunden haben, konnten sie die Nato auf den indopazifischen Raum ausdehnen und so Europa in ihre Planung einbinden, Chinas Entwicklung zu verhindern – ein Programm, das nicht nur als legitim angesehen wird, sondern allgemein Lob erfährt.

Eine der sogenannten "Tauben" in der Regierung, Handelsministerin Gina Raimondo, brachte den Konsens klar zum Ausdruck:

Wenn wir Chinas Innovationstempo wirklich bremsen wollen, müssen wir mit Europa zusammenarbeiten.

Besonders wichtig ist es, China von der Entwicklung nachhaltiger Energien abzuhalten, bei denen es weit in Führung liegt und nach Ansicht von Analysten bei Goldman Sachs bis 2060 die Energieautarkie erreichen dürfte. China droht sogar, neue Durchbrüche bei Batterien zu erzielen, die die Welt vor einer Klimakatastrophe bewahren könnten.

Das ist eindeutig eine Bedrohung, die eingedämmt werden muss, ebenso wie das Beharren Chinas auf der Ein-China-Politik für Taiwan, die die USA vor 50 Jahren beschlossen und seitdem den Frieden sicherte, die Washington aber jetzt aufkündigt.

Es gibt noch vieles mehr, das das Bild einer zunehmenden Konfrontation untermauert.

Es fällt schwer, in unserer zunehmend seltsamer werdenden Kultur die richtigen Worte zu finden, aber es ist fast eine Binsenweisheit, dass wir alle verloren sind, wenn die USA und China keine Wege finden, sich anzunähern, wie es Großmächte mit gegensätzlichen Interessen in der Vergangenheit oft getan haben.

Historische Analogien haben natürlich ihre Grenzen, aber es gibt zwei einschlägige Analogien, die in diesem Zusammenhang immer wieder angeführt werden: das 1815 gegründete Wiener System nach dem Kongress in Wien und der Versailler Vertrag von 1919. Ersterer ist ein Paradebeispiel für die "alte Diplomatie". Der besiegte Aggressor (Frankreich) wurde als gleichberechtigter Partner in das neue System der internationalen Ordnung aufgenommen.

Das führte zu einem Jahrhundert des relativen Friedens. Der Vertrag von Versailles ist ein Paradebeispiel für das "revolutionäre" Konzept der Weltordnung, das dann vom US-Triumphalismus der 90er-Jahre und der Periode danach institutionalisiert wurde. Das besiegte Deutschland wurde nicht in die internationale Nachkriegsordnung integriert, sondern hart bestraft und gedemütigt. Wir wissen, wohin das geführt hat.

Gegenwärtig stehen sich zwei Konzepte der Weltordnung gegenüber: das System der Vereinten Nationen auf der einen und das "regelbasierte" System auf der anderen Seite, das eng mit Multipolarität und Unipolarität korreliert, wobei letzteres die Dominanz der USA bedeutet.

Die USA und ihre Verbündeten (oder "Vasallen" bzw. "subimperiale Staaten", wie sie manchmal genannt werden) lehnen das UN-System ab und fordern die Einhaltung des regelbasierten Systems, während der Rest der Welt im Allgemeinen das UN-System und die Multipolarität unterstützt.

Das UN-System basiert auf der UN-Charta, der Grundlage des modernen Völkerrechts und dem "obersten Gesetz des Landes" in den USA gemäß der US-Verfassung, dem gewählte Regierungsvertreter zu gehorchen verpflichtet sind. Dieses System hat einen schwerwiegenden Fehler: Es ist nicht vereinbar mit der Außenpolitik der USA.

Das Hauptprinzip der UN verbietet "die Androhung oder Anwendung von Gewalt" in internationalen Angelegenheiten, außer unter sehr speziellen Umständen, die nichts mit den Interventionsinteressen der USA zu tun haben. Es wäre schwer, einen US-Präsidenten der Nachkriegszeit zu finden, der nicht gegen die US-Verfassung verstoßen hat – ein Thema, das, wie die öffentlichen Debatten zeigen, kaum von Interesse ist.

Welches ist das bevorzugte regelbasierte System? Die Antwort hängt davon ab, wer die Regeln festlegt und bestimmt, wann sie befolgt werden sollen. Die Antwort liegt auf der Hand: die Hegemonialmacht, die nach dem Zweiten Weltkrieg das Zepter der globalen Vorherrschaft von Großbritannien übernommen und ihren Geltungsbereich stark erweitert hat.

Ein zentraler Grundstein des von den USA dominierten regelbasierten Systems ist die Welthandelsorganisation (WTO). Es stellt sich also die Frage, wie die USA sich daran halten.