Abschiebungen ins autoritäre Nato-Partnerland

Auch HDP-Mitglied Abdulkadir Oguz erhielt einen negativen Asylbescheid. Foto: ANF

Im Windschatten der Russland-Ukraine-Krise wollen deutsche Behörden politisch aktive Kurdinnen und Kurden an die Türkei loswerden

Durch den eskalierenden Russland-Ukraine-Konflikt sind andere bewaffnete Konflikte weitgehend aus dem Blickwinkel der Weltöffentlichkeit verschwunden. Davon profitiert unter anderem der Nato-Partnerstaat Türkei, der in westlichen Demokratien immer mal wieder in der Kritik steht, auch wenn für seine militärische Grenzüberschreitungen grundsätzlich andere Maßstäbe gelten als für solche durch Russland.

So gab es auch wegen die türkischen Bombardements der Selbstverwaltungsgebiete in Nordsyrien und im Nordirak Anfang Februar keine westlichen Sanktionsdrohungen. Begründet wurden diese türkischen Militäroperationen wie üblich mit dem Kampf gegen die auch in Deutschland illegalisierte Arbeiterpartei Kurdistans (PKK).

Während sich die Menschen der betroffenen Gebiete von der internationalen Gemeinschaft alleingelassen fühlen, wollen deutsche Behörden politisch aktive Kurdinnen und Kurden loswerden: Abschiebungen in die Türkei werden trotz der harten Repression dort wie selten zuvor forciert.

Muhammed Tunc: Morddrohungen türkischer Nationalisten

Selbst wenn sie in Deutschland geboren wurden – wie der 33-jährige Muhammed Tunc aus Ulm, der am Mittwoch vergangener Woche in Stuttgart bereits unfreiwillig im Flugzeug saß. Nachdem er dort auf seine Situation aufmerksam gemacht hatte, weigerte sich aber nach seiner Schilderung das Personal, ihn an Bord zu behalten.

Ein weiterer Abschiebeversuch scheiterte laut einem Bericht von Radio Dreyeckland am Tag darauf. "Die Abschiebung konnte aufgrund des renitenten Verhaltens des Betreffenden nicht durchgeführt werden", erklärte demnach das Regierungspräsidium Karlsruhe. Die Abschiebung sei aber weiterhin vorgesehen.

Hintergrund der nach wie vor geplanten Abschiebung sind Gerichtsurteile gegen Kurden, die in eine Auseinandersetzung mit türkischen Nationalisten beziehungsweise Mitgliedern der verbotenen rockerähnlichen Gruppierung "Osmanen Germania" geraten waren. Durch eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung können auch in Deutschland geborene ausländische Staatsbürger ihre Aufenthaltsberechtigung verlieren.

Weil aber die "Osmanen Germania" in Verbindung mit der türkischen Regierungspartei AKP und dem Umfeld des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan stehen, geht Tunc davon aus, dass seit diesem Prozess sein Name auch den türkischen Behörden bekannt ist und er dort als Feind behandelt werden würde.

Hinzu kommen handfeste Drohungen aus türkischen Nationalistenkreisen im Online-Netzwerk Instagram: "Ich warte auf Muhammed Tunc, der heute mit dem Flug TK1702 abgeschoben werden soll", hieß es dort zuletzt. Der Verfasser, dessen Nickname "kod_adm_yesil" und das dazugehörige Profilbild auf den Jitem-Attentäter Mahmut Yildirim mit dem Decknamen "Grün" anspielen, tritt nicht zum ersten Mal in dieser Form auf.

Seine Morddrohungen, die in der Provinz Kayseri abgesetzt werden, erreichten in Deutschland auch schon mehrere Linke-Politiker – die Bundestagsabgeordnete Gökay Akbulut, die Ko-Vorsitzende der Hamburger Bürgerschaft, Cansu Özdemir, den Essener Politiker Civan Akbulut und den Münchner Kommunikationswissenschaftler Kerem Schamberger – sowie die feministische Autorin Gülfer Akkaya.

Abdulkadir Oguz: Gefoltert, aber das muss ja nicht wieder passieren

Weitere Kurdinnen und Kurden, denen in Deutschland die Abschiebung droht, hatten erfolglos Asylanträge gestellt, die trotz nachweislicher politischer Verfolgung abgelehnt wurden.

Kerem Schamberger kommentierte vor wenigen Tagen für die kurdische Nachrichtenagentur ANF den Fall von Abdulkadir Oguz, der Mitglied der Demokratischen Partei der Völker (HDP) und in der Türkei zu 25 Jahren und drei Monaten Haft verurteilt ist. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BaMF) erkennt demnach zwar in seinem Ablehnungsbescheid an, dass Oguz bei seinen früheren Festnahmen von der türkischen Polizei gefoltert wurde, hält aber nicht für wahrscheinlich, "dass der Antragssteller erneut von Folter betroffen sein wird".

Esra Yakar: Schwer verletzt und abgeurteilt

Die junge Medizinerin Esra Yakar wäre 2014 in Deutschland wahrscheinlich als Heldin gefeiert worden, denn damals blickte die Weltöffentlichkeit für kurze Zeit mit großem Respekt auf den Kampf der syrisch-kurdischen Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG und YPJ gegen die Dschihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS).

Esra Yakar, die damals in Diyarbakir Medizin studierte, hatte sich nach Angaben ihres Rechtsanwalts im Zuge der Schlacht um Kobanê freiwillig gemeldet, um im Grenzgebiet als Sanitäterin Hilfe zu leisten. Dort war sie selbst von mehreren Granatsplittern getroffen worden und hatte ihr rechtes Auge verloren.

Trotz ihrer schweren Verletzung war sie in der Türkei wegen "Mitgliedschaft in einer terroristischen bewaffneten Organisation" inhaftiert und angeklagt worden. Laut Anklage war sie selbst Mitglied der Frauenverteidigungskräfte YPJ und somit einer PKK-Teilorganisation gewesen. Verurteilt wurde sie zu sechs Jahren und drei Monaten Haft "in einem Prozess, der den Grundsätzen eines fairen Verfahrens nach der Europäischen Menschenrechtskonvention widerspricht", betont ihr Anwalt Roland Meister, der sie im Asylverfahren vertritt, nachdem ihr 2018 die Flucht nach Deutschland gelungen ist.

Ihren Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit der Begründung ab, dass aus dem türkischen Urteil hervorgehe, sie sei Mitglied einer bewaffneten terroristischen Vereinigung gewesen. Die Einschätzung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, dass in der Türkei nicht von fairen Verfahren auszugehen sei, wird damit ignoriert. Eine "Verfolgungshandlung" will das BaMF nicht erkennen. Über ihren Asyl-Folgeantrag will das Verwaltungsgericht Stuttgart am 25. März verhandeln.

Einen Folgeantrag hat auch der Anwalt von Heybet Sener gestellt, der am 4. Februar ebenfalls schon zur Abschiebung auf den Flughafen München gebracht worden war. In seinem Fall hatte sich der zuständige Arzt geweigert, den erforderlichen Covid-19-Test unter Zwang durchzuführen, während mehrere Dutzend Menschen an Ort und Stelle gegen die Abschiebung protestiert hatte.

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