Agenten- und Robotergemeinschaften
- Agenten- und Robotergemeinschaften
- Evolutionäre Sprachspiele
- Die Entstehung von Bedeutung in Unterscheidungsspielen
- Der Aufbau von Wörterbüchern durch Sprachspiele
- Die Entwicklung der Phonologie durch Imitationsspiele
- Sprachliche Ko-Evolution
- Selbstorganisation
- Ebenenbildung
- Schlußfolgerungen
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Der Ursprung der Sprache
Mechanismen, die man aus dem Forschungsbereich des Künstlichen Lebens kennt, können auch dafür eingesetzt werden, in Agenten- oder Robotergemeinschaften durch Sprachspiele eine Evolution der Sprache in Gang zu setzen. Luc Steels berichtet von seinem neuen Ansatz und den von ihm durchgeführten Experimenten, die auch zu neuen Hypothesen über den Ursprung der Sprache führen.
Luc Steels ist Direktor des Artificial Intelligence Laboratory und Professor für Computerwissenschaften und KI an der Vrije Universiteit Brussel.
Siehe auch Luc Steels Die Zukunft der Intelligenz
Einführung
Um ein Modell eines bestimmten Phänomens zu überprüfen, ist es eine gute Vorgehensweise, Simulationen oder künstliche Systeme zu bauen, die dieselben oder ähnliche Phänomene zeigen wie diejenigen, die man zu modellieren versucht. Dieser Ansatz kann auch auf die Frage nach dem Ursprung von Sprache und Bedeutung angewendet werden. Experimente mit Robotern und Software-Agenten lassen sich ausführen, um zu überprüfen, ob angenommene Mechanismen tatsächlich zur Herausbildung der Sprache und zur Schaffung neuer Bedeutung führen.
Unter einer Sprache verstehe ich ein adaptives System der Repräsentation, das von verteilten Agenten zur Kommunikation (und zu anderen möglichen Dingen) benutzt wird. Als Kommunikationssystem ermöglicht Sprache die Übermittlung von bedeutungsvollen Zeichen durch ein materielles Medium wie Ton zwischen einem Agenten und einem anderen. Die Agenten sind in dem Sinn verteilt, daß es keine zentrale steuernde Instanz gibt, die eine Sprache definiert und durchsetzt. Jeder Agent kann nur durch Interaktion Wissen von anderen erhalten. Eine Sprache ist adaptiv, wenn sie sich erweitert oder verändert, um mit neuen Bedeutungen umzugehen, die ausgesprochen wurden. Überdies sollten neue Agenten die Möglichkeit erhalten, in die Gruppe einzutreten, und Agenten sollten sie verlassen können.
Bedeutung wird hier gleichgesetzt mit einer für den Agenten wichtigen Unterscheidung. Manches, was Bedeutung hat, basiert wie Farben auf der Wahrnehmung, anderes wie hierarchische Beziehungen auf dem Sozialen, wieder anderes wie Intentionen oder Beschreibungen auf dem Verhalten. Bedeutung kann in jeder Domäne und Aufgabenstellung entstehen und muß nicht notwendigerweise einen sprachlichen Ausdruck finden. Das den Menschen zugängliche Bedeutungsspektrum erweitert sich, wenn neue Umgebungen betreten werden und neue Interaktionen stattfinden. Das sollte so auch bei künstlichen Agenten sein, die ebenso in offenen, dynamisch sich verändernden Umgebungen arbeiten.
Meine zentrale Hypothese lautet, daß Sprache ein emergentes Phänomen ist. Sprache ist dies auf zwei Weisen. Erstens ist sie ein Massenphänomen, das sich aus der Interaktion der verschiedenen Agenten realisiert. Kein Individuum hat einen vollständigen Überblick über die Sprache und niemand kann sie kontrollieren. In dieser Hinsicht ist Sprache einem Vogelschwarm vergleichbar, der eine Kohärenz erwirbt und aufrechterhält, die auf den individuellen, von jedem Vogel ausgeführten Regeln basiert. Zweitens ist Sprache emergent in dem Sinn, daß sie sich spontan formt, sobald die entsprechenden physiologischen, psychologischen und sozialen Bedingungen gegeben sind. Die entscheidende Frage aber ist, wie dieses Puzzle gelöst wird.
Die Ursprünge der Komplexität werden gegenwärtig in vielen Wissenschaftsbereichen von der Chemie bis hin zur Biologie untersucht. Die allgemeine Erforschung komplexer Systeme, die ernsthaft in den 60er Jahren mit der Untersuchung von dissipativen Systemen , der Synergetik und der Chaostheorie begannen, versucht allgemeine Mechanismen zu entdecken, aus denen Komplexität entsteht. Diese Mechanismen erstrecken sich auch auf Evolution, Ko-Evolution, Selbstorganisation und Levelbildung.
Ich gehe hier nicht auf den Ursprung der Kooperation oder der Kommunikation selbst ein, obgleich dies offensichtlich eine Voraussetzung der Sprache ist. Das wurde von anderen Forschern untersucht, die eine ähnliche biologische Perspektive einnehmen. Beispielsweise hat Richard Dawkins behauptet, daß zwei Organismen dann kooperieren werden, wenn sie eine hinreichende Menge gleicher Gene besitzen, weil nur die Weitergabe dieser Gene zählt, nicht aber das Überleben des individuellen Organismus. Axelrod , Lindgren und weitere haben gezeigt, daß Kooperation selbst dann entsteht, wenn jeder Agent völlig egoistisch handelt. MacLennan und Werner/Dyer konnten experimentell demonstrieren, daß Kommunikation als Nebeneffekt der Kooperation entsteht, wenn sie für diese nützlich ist. Die hier diskutierten emergenten Kommunikationssysteme bilden jedoch keine Sprache im gewöhnlichen Verständnis. Die Anzahl der Agenten ist klein und festgelegt. Dasselbe gilt für das Repertoire an Symbolen. Keine der übrigen Eigenschaften einer natürlichen Sprache wie multiple Ebenen, Synonymität, Ambiguität, Syntax etc. wurden beobachtet. Das wesentliche Ziel der hier beschriebenen Forschungsarbeit ist die Untersuchung der Ursprünge von Kommunikationssystemen, die all diese Eigenschaften besitzen.
Zu Beginn muß aber noch eine Verzichtserklärung geleistet werden. Diese Untersuchung stellt keinerlei empirische Behauptung auf, daß die angenommenen Mechanismen eine Erklärung für den wirklichen Ursprung der Sprache bei den Menschen darstellen. Hier schlage ich nur eine theoretische Möglichkeit vor. Wenn diese zu der Bildung von Sprache und Bedeutung bei autonomen und verteilten künstlichen Agenten führt, dann ist sie zumindest kohärent und plausibel. Falls Generierungsmechanismen für Bedeutung es Agenten ermöglichen, autonom Bedeutung in der Wahrnehmung, beim Handeln und Interagieren zu schaffen und zu begründen, dann ist es nicht mehr von vorneherein anzunehmen, daß Bedeutung universell und angeboren sein muß. Und falls die vorgeschlagenen Bildungsmechanismen für die Sprache die künstlichen Agenten in die Lage versetzen, ihre eigene Sprache zu schaffen, dann ist nicht mehr selbstevident, daß linguistisches Wissen zum Großteil universell und angeboren sein muß oder daß Sprache nur durch Genmutationen und Selektion erklärt werden kann.