Agenten- und Robotergemeinschaften
Seite 2: Evolutionäre Sprachspiele
- Agenten- und Robotergemeinschaften
- Evolutionäre Sprachspiele
- Die Entstehung von Bedeutung in Unterscheidungsspielen
- Der Aufbau von Wörterbüchern durch Sprachspiele
- Die Entwicklung der Phonologie durch Imitationsspiele
- Sprachliche Ko-Evolution
- Selbstorganisation
- Ebenenbildung
- Schlußfolgerungen
- Auf einer Seite lesen
Seit Darwin hat die Evolution durch natürliche Selektion eine Schlüsselrolle bei Versuchen gespielt, den Ursprung und die Verschiedenartigkeit der Arten zu erklären. Evolution findet statt, wenn es eine Quelle für die Erzeugung von Unterschieden und eine selektive Kraft gibt, die jene Variationen sichert, die sich am besten angepaßt haben. Evolution ist jedoch nicht auf die genetische Evolution beschränkt. Dazu nötig sind nur ein Mechanismus der Informationsbewahrung (d.h. eine Repräsentation), über den Transformationen zur Erzeugung von Variation stattfinden können, und eine Feedback-Schleife zwischen dem Auftreten einer bestimmten Repräsentation und selektivem Erfolg. Im Fall der genetischen Evolution wird die Information in den Genen gespeichert. Veränderungen finden statt durch Prozesse wie Mutation und Kreuzung. Die Feedback-Schleife basiert auf dem Reproduktionserfolg des Organismus und wird durch eine besondere Reihe von Genen ausgedrückt. Dieser Erfolg hängt ebenso sehr von der Umwelt ab, in der sich der Organismus befindet, wie von den Genen.
Ich behaupte, daß Evolution auch im Hinblick auf den Ursprung der Sprache ein wichtiger Faktor ist, auch wenn ich nicht die Evolution im genetischen Sinne meine. Aus meiner Sicht gibt es eine Analogie zwischen Art und Sprache und zwischen Genen und Sprachregeln: Eine Sprache ist das Ergebnis des verteilten Verhaltens einer großen Gruppe von Agenten. Das Verhalten eines jeden Agenten beruht auf einer Menge von linguistischen Regeln. Wie diese Regeln codiert werden, ist hier nicht entscheidend. Variation in einer Sprache ergibt sich, wenn Individuen neue Regeln schaffen oder bestehende verändern, ebenso wie Variation bei einer Art aus Mutationen in individuellen Genen entsteht.
Genetische Selektion beruht auf dem Reproduktionserfolg. Sprachliche Selektion kann auf Kriterien beruhen, die von der sprachlichen und kommunikativen Wirkung einer Regel abhängen. Beispielsweise sind Selektionskriterien für ein neues Phonem oder für eine Kombination von Phonemen: leichtere Produzierbarkeit und Reproduzierbarkeit für den Sprecher (die Artikulatoren müssen die erwünschten Zielzustände möglichst mit einem Minimum an Energie erreichen können) und leichtere Verständlichkeit für den Hörer (im Signal muß genügend Information enthalten sein, um den Ton verläßlich zu identifizieren und ihn von anderen im Repertoire zu unterscheiden). Strukturen und Regeln auf anderen linguistischen Ebenen besitzen analoge Kriterien. Das ganze System entfaltet sich, wenn Variation nicht nur durch Mutation von bestehenden Regeln, sondern auch durch spontane Entstehung neuer Regeln geschaffen wird. Beispielsweise könnte ein neues gestisches Phonem durch die Verknüpfung einer zufälligen Folge von Artikulationszielen, ein neues Wort durch die zufällige Kombination von Phonemsegmenten etc. erzeugt werden.
Evolution wird oft mit der Begrifflichkeit von Spielen untersucht. Ein Spiel ist eine Interaktion zwischen zwei Agenten oder zwischen einem Agenten und einer Umwelt. Es führt zu einem bestimmten Ergebnis und Veränderungen können als Nebenwirkung des Ergebnisses eintreten. Die Veränderungen in Sprachspielen finden auf der Ebene der lingistischen Regeln statt, die von den beteiligten Agenten befolgt werden. Wenn beispielsweise eine bestimmte Verbindung zwischen einem Wort und einer Bedeutung keine Wirkung hat, dann sollte der Agent möglicherweise nachschauen, ob diese Verbindung Teil seines Lexikons sein sollte. Wenn ein Phonem vom Hörer nicht verläßlich erkannt werden kann, sollte der erzeugende Agent überlegen, ob es Bestandteil seiner Phonologie sein sollte.
Man kann viele unterschiedliche Spiele definieren. Es gibt Spiele zwischen dem Agenten und der Welt, die zur Schaffung von Bedeutung führen. Es gibt Sprachspiele zwischen Agenten, die zum Aufbau eines Lexikons führen, Imitationsspiele, aus denen ein verbundenes Repertoire an Tönen (Phonologie) entsteht, Spiele, die auf der Ebene der Syntax stattfinden und diese erweitern, oder solche, die mögliche Interaktionen (Sprechakte) erforschen und weiterentwickeln.
Der Begriff Sprachspiel wird hier für eine vollständige Interaktion verwendet, in der alle lingustischen Ebenen sowie ein Kontext und soziale Beziehungen zwischen Sprecher und Hörer enthalten sind. Dieser Gebrauch des Begriffs ist kompatibel mit Wittgensteins Theorie eines Sprachspiels , auch wenn er nicht in Betracht zog, daß Sprachspiele eine evolutionäre Dimension besitzen.