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Seite 8: Ebenenbildung

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Viele Sprachwissenschaftler haben behauptet, daß ein Repräsentationssystem nur dann eine Sprache sei, wenn sie auch eine komplexe Syntax besitzt. In den bislang vorgestellten Experimenten gab es noch keine Syntax, obgleich das Lexikon, die Phonologie und das Bedeutungsrepertoire kontinuierlich wächst und sich anpaßt. Es existieren also alle Elemente einer Protosprache .

Obwohl die Syntax ganz offensichtlich wichtig ist, sind diese anderen Aspekte der Sprache ebenso bedeutend und kann keine Theorie über die Ursprünge der Sprache ohne Erklärung, wie sie sich entwickelt hat, vollständig sein. Trotzdem die Ursprünge der Syntax einen wesentlichen Bestandteil des Problems darstellen und man sich ihnen zuwenden muß, stelle ich die Hypothese auf, daß die Bildung von Ebenen den Schlüssel für die Lösung darstellt.

Die Bildung von Ebenen ist in Biosystemen weit verbreitet. Sie geschieht, wenn es eine Reihe von unabhängigen Einheiten gibt, die aufgrund der Ko-Existenz ein symbiotische Verhältnis entwickeln, wodurch die Einheiten möglicherweise nicht mehr selbständig bleiben. Die Bildung von Ebenen wurde beispielsweise zur Erklärung der Bildung von Zellen und der Ursprünge von Chromosomen herangezogen, die individuelle Gene in Gruppen anordnen.

Im Fall der Zelle gab es ursprünglich frei umhertreibende Organismen und Strukturen, die beispielsweise deswegen voneinander abhängig wurden, weil ein Organismus etwas für einen anderen herstellt oder tödliche Substanzen zerstört. Die Beziehung zwischen diesen Organismen und Strukturen wurde schrittweise so stark, daß sie ihre Unabhängigkeit teilweise aufgaben, um zu einem bestimmten Bestandteil des Ganzen zu werden. Mitochondrien sind zum Beispiel Organismen mit ihrer eigenen genetischen Information, die früher unabhängig waren, aber jetzt so mit der Zelle verbunden sind, daß sie die genetische Information im Zellkern zur Teilung benötigen. So ist eine Einheit auf einer neuen Ebene entstanden, die selbst wiederum einen Bestandteil von größeren Einheiten bilden kann.

Experimente, die diese Prinzipen auf die Bildung von syntaktischen Einheiten anwenden, werden derzeit entwickelt. Die folgenden Schritte lassen sich voraussehen:

1. Den Ausgangspunkt bilden einzelne Worte, wie sie aus den zuvor besprochenen Prozessen der Bedeutungserzeugung und Lexikalisierung entstehen. Diese Worte erhalten bevorzugte Funktionen und gehören daher zu (emergenten) grammatikalischen Kategorien. Einige Worte, wie beispielsweise Tisch im Satz die weißen Tische wählen sich die Hauptzielgruppe aus, andere desselben Satzes wie weiß trennen eine Untergruppe aus dieser ab, wieder andere wie -s geben an, daß es sich um mehrere Objekte handelt, etc. Anfangs ist die Funktion eines Wortes undifferenziert, aber Wörter spezialisieren sich auf der Grundlage des aktuellen Gebrauchs und der Gruppendynamik. Weiß wird vielleicht nur dann verwendet, um eine Untergruppe aus einer bereits definierten Gruppe abzuleiten.

2. Worte mit verschiedenen Funktionen treten natürlicherweise immer wieder in denselben Konstellationen auf. Der Hinweis, daß ein Bezug auf verschiedene Objekte einer Gruppe besteht, erfordert zuerst einmal eine solche Gruppe identifiziert wird.

3. Diese Konstellationen werden dann zu einer Konventionen, d.h. daß einige Funktionen verpflichtend werden und folglich Worte einer bestimmten Kategorie vorhanden sein müssen.

4. Die Funktionen werden dann grammatikalisch durch eine Wortordnung und/oder eine Morphologie codiert. Dadurch wird es möglich, grammatische Funktionen von Worten abzuleiten, selbst wenn sie in unterschiedlichen Zusammenhängen verwendet werden oder wenn die Funktion eines Wortes noch nicht bekannt ist.

Sind diese fundamentalen Prinzipien erst einmal vorhanden, kann die syntaktische Ebene verschiedene zusätzliche Evolutionsprozesse aus eigenem Antrieb durchlaufen. In einigen sehr interessanten Experimenten haben Hasimoto und Ikegami bereits zeigen können, daß es eine Evolution hin zu größerer grammatikalischer Komplexität (von einer gewöhnlichen hin zu einer kontextsensitiven Grammatik) gibt, die auf Sprachspielen beruht, die nach Produzierbarkeit und grammatikalischer Analysierbarkeit selektieren.

Im Hinblick auf die Syntax muß noch viel Arbeit geleistet werden, doch die gleichen Mechanismen werden, die man zur Bildung eines Lexikons, zur Schaffung von Bedeutung und zur Emergenz von Phonologien verwendet, scheinen auch darauf anwendbar zu sein. Das Prinzip der Bildung von Ebenen muß noch besser verstanden werden, aber das gilt auch für biologische Prozesse der Ordnungsbildung.