Aufstand des EU-Parlaments gegen Atomkraft und Gas?

Greenwashing wird der EU-Taxonomie nach Plänen der EU-Kommission vorgeworfen. Atom- und Gaskraft sollen danach als nachhaltig eingestuft werden. Das Parlament könnte dem die Zustimmung verweigern. Bild: Mike Langridge / cc-by-nc-sa

Der Umwelt- sowie der Wirtschaftsausschuss des Europaparlaments lehnen mit einer klaren Mehrheit das "Greenwashing von Atom und Gas in der grünen Taxonomie" ab. Kann der Kommissions-Plan noch gestoppt werden?

Es herrschte Hochspannung am Dienstag im Europäischen Parlament, denn in gleich zwei zentralen Ausschüssen wurde über den umstrittenen Vorschlag der EU-Kommission beraten, der Atomkraft und Gas über die Aufnahme in die sogenannte "Taxonomie" ein Nachhaltigkeitssiegel zu verpassen. Darüber sollen sie als "nachhaltige" und klimafreundliche Geldanlagen empfohlen werden.

Geht es sonst im Brüsseler Parlament eher emotionslos zu, brach sich die Spannung mit lautem Jubel und Klatschen am Mittag bahn, als die Abstimmungsergebnisse bekannt wurden. Denn 76 Abgeordnete hatten für einen Entschließungsantrag gestimmt, der sich gegen die Aufnahme von Atom und Gas in die EU-Taxonomie wendet. Da sich ein negatives Votum für den Plan der Kommission schon im Vorfeld abzeichnete, hatte die EU-Finanzmarktkommissarin Mairead McGuinness noch kurz vor der Abstimmung versucht, das Ruder doch noch herumzureißen.

Sie hatte am frühen Dienstag persönlich probiert, Europaabgeordnete doch noch von den Plänen der EU-Kommission zu überzeugen. Das ist ihr allerdings nicht gelungen, wie auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) berichtet. So ist das Ergebnis sogar überraschend klar ausgefallen, denn nur 62 Parlamentarier stimmten gegen den Antrag, dazu gab es vier Enthaltungen. Den Antrag hatte eine Gruppe aus Linken, Grünen, Sozialdemokraten und Liberalen in der vergangenen Woche eingebracht. Sogar aus der konservativen EVP-Fraktion gab es zum Teil offene Unterstützung.

Selbst wirtschaftsfreundliche, konservative Abgeordnete lehnen den Kommissionsvorschlag ab. "Am Markt gibt es schlichtweg keinen Appetit für eine Taxonomie mit Kernenergie und Gas", sagte Markus Ferber. Der CSU-Europaabgeordnete ist wirtschaftspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im Europaparlament. "Eine Taxonomie, die vom Markt nicht akzeptiert wird, ist das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben ist."

Vor der wegweisenden Abstimmung hatten auch Unterstützer wie der Grünen-Abgeordnete Michael Bloss nicht mit einem so klaren Ergebnis gerechnet. Bloss stellte sich selbst per Twitter am Montag die Frage: "Gibt es morgen eine Chance, dem Greenwashing von Atom und Gas einen ersten Dämpfer zu geben? Der Europaabgeordnete beantwortete sie so: "Ja, aber es wird eng." Deshalb twitterte Bloss nach der Abstimmung erleichtert: "BREAKING: Greenwashing von Atomkraft & Erdgas abgelehnt!"

So eng wurde es schließlich nicht und das hatte der grüne Sven Giegold auf einem Webinar mit dem Thema "Showdown EU-Taxonomie" am Montag vorhergesagt: "Ich bin gar nicht so beunruhigt, weil sich die Atomkraft nicht mehr rechnet und nur noch ein Ideologieprojekt ist", erklärte der Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. "Gegen die Erneuerbaren kommt die Atomkraft nicht mehr an." Für ihn stellt sich nur noch die Frage: "Wie viel Geld wird noch im Atombereich versenkt?"

Bloss sprach von einem "guten Tag für die europäische Demokratie, Europas Energiewende und das Finanz-Ökosiegel" Denn für ihn ist klar: "Diese Taxonomie muss zu 100 Prozent für die Erneuerbaren und Europas Energiewende da sein!" Jetzt gehe es mit Rückenwind für die finale Abstimmung zur Taxonomie weiter, twitterte er mit Blick auf die Abstimmung im Plenum Anfang Juli. "WIR HABEN DIE GREENWASHING-TAXONOMIE VERHINDERT!", vermeldete die Klimaaktivistin Luisa Neubauer ebenfalls per Twitter. Sie hatte mit Bloss und Giegold an dem Webinar am Vortag teilgenommen. Aber auch sie sieht, dass das nur der "erste Schritt" war, wie die Fridays For Future-Aktivistin angefügt hat.

Unterschiedliche Beobachter glauben nun, dass es sich bei den Abstimmungen schon um einen Stimmungstest gehandelt hat, dem "Signalwirkung" zukommt. Die Gegner der Kommissionspläne und die Befürworter einer Energiewende hoffen nun verstärkt darauf, dass die Pläne tatsächlich noch über das Parlament gestoppt werden können. Denn sie befürchten, dass sonst über die Taxonomie viele Milliarden Euro in wenig nachhaltige Gaskraftwerke fließen und in Atomkraftwerken versenkt werden.

Es wird erwartet, dass die Taxonomie eine starke Lenkungswirkung auf private Investoren hat. Das Geld fehlt dann für den Ausbau von erneuerbaren Energien, vermuten sie. Dass die Pläne der EU-Kommission zudem rechtlich strittig sind, zeigt sich unter anderen daran, dass zum Beispiel neue Atommeiler als nachhaltig bezeichnet werden dürfen, wenn eine Baugenehmigung bis 2045 und ein Plan für die Endlagerung der hochradioaktiven Abfälle ab 2050 vorliegt. Noch immer ist kein Endlager in Sicht, obwohl die Meiler seit vielen Jahrzehnten Müll produzieren. In jedem anderen Bereich braucht es dagegen einen umgehenden Entsorgungsnachweis.

Schon wegen der immer noch ungelösten Endlagerfrage – schließlich muss der Atommüll hunderttausende Jahre sicher gelagert werden – kann die Atomkraft nicht nachhaltig sein. So hatte sogar das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) und das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) dem Gutachten, das der Kommission als Grundlage für die Einstufung der Atomkraft als "nachhaltig" diente, ein vernichtendes Urteil ausgestellt und "schwerwiegende methodische Mängel" kritisiert. Es würden "Schlussfolgerungen getroffen", deren "fachliche Herleitung an zahlreichen Stellen nicht nachvollzogen werden kann".

Themenbereiche mit hoher Umweltrelevanz würden nur sehr reduziert dargestellt oder komplett ausgespart, wie die "Auswirkungen schwerer Unfälle". Über das fragwürdige Gutachten hat die EU-Kommission die Atomkraft als CO2-arme Energiequelle eingestuft, während Gas zu einem "Übergangsbrennstoff bei der Dekarbonisierung" definiert wurde. Und auch für Gaskraftwerke wurden die Auflagen weiter verwässert. Investitionen in neue Gaskraftwerke sollen bis 2030 als nachhaltig gelten, wenn sie unter anderem schmutzigere Kraftwerke ersetzen und bis 2035 mit klimafreundlicheren Gasen betrieben werden.