Baerbock contra Borrell: Kampf um EU-Israelpolitik entbrannt
Annalena Baerbock widerspricht dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell. Der Dialog mit Israel soll weitergehen. Stattdessen bringt sie eine brisante Alternative ins Spiel.
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat sich gegen den Vorschlag des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell ausgesprochen, den regelmäßigen politischen Dialog mit Israel auszusetzen. Wie das Auswärtige Amt in Berlin mitteilte, setzt sich Baerbock dafür ein, die Gesprächskanäle mit Israel offenzuhalten.
EU-Diplomaten berichten indes vor zunehmenden Debatten unter den Mitgliedsstaaten über den Umgang mit dem militärischen Vorgehen Israels in Gaza, Libanon und andernorts im Nahen und Mittleren Osten.
In diesem Kontext steht auch Baerbocks Intervention. Der sogenannte Assoziierungsrat biete einen geeigneten Rahmen, um mit der israelischen Regierung über die Einhaltung des humanitären Völkerrechts und die humanitäre Versorgung im Gazastreifen zu sprechen, so die Entgegnung des Außenamtes auf Borrell.
"Ein Abbruch des Dialogs hilft hingegen niemandem, weder den notleidenden Menschen in Gaza noch den Geiseln, die weiter von der Hamas festgehalten werden, noch all jenen in Israel, die auf Gesprächsbereitschaft setzen", hieß es aus Berlin weiter.
Baerbock will Sanktionen gegen israelische Minister
Stattdessen brachte Baerbock mögliche Sanktionen gegen einzelne israelische Minister ins Spiel, falls diese das Völkerrecht brechen würden, "indem sie mit Blick auf Gaza oder auch das Westjordanland die Frage der Existenz der Palästinenser infrage stellen".
Im ZDF-Morgenmagazin sagte die Außenministerin: "Dann muss das auch von europäischer Ebene sanktioniert werden." Das Völkerrecht müsse die israelische Regierung leiten. Welche konkreten Sanktionen möglich wären, ließ Baerbock offen.
Borrell schlägt Aussetzung des EU-Dialogs mit Israel vor
EU-Außenbeauftragter Josep Borrell hatte im Vorfeld des EU-Außenministertreffens in der kommenden Woche laut Medienberichten die Aussetzung des politischen Dialogs mit Israel ins Spiel gebracht.
Hintergrund seien Berichte unabhängiger internationaler Organisationen über mögliche Verletzungen des humanitären Völkerrechts in Gaza durch Israel, die bisher nicht ausreichend ausgeräumt worden seien.
Baerbock mit "ernsthaften Bedenken"
In einem Brief an die EU-Außenminister äußerte Borrell nach Berichten von Nachrichtenagenturen "ernsthafte Bedenken" und schlug vor, die Menschenrechtsklausel anzuwenden, um den politischen Dialog auszusetzen.
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Dieser wird über ein Assoziationsabkommen aus dem Jahr 2000 geregelt und sieht einen regelmäßigen Austausch zur Stärkung der Beziehungen und Entwicklung der Partnerschaft vor. Eine Aussetzung würde jedoch die Zustimmung aller 27 EU-Staaten erfordern, was als unwahrscheinlich gilt.
Diskussion beim EU-Außenministertreffen erwartet
Borrells Vorschlag soll am kommenden Montag beim Treffen der EU-Außenminister diskutiert werden. Angesichts der unterschiedlichen Positionen, wie sie beispielhaft von Baerbock und Borrell vertreten werden, bleibt abzuwarten, ob es zu einer gemeinsamen Linie der EU gegenüber Israel in dieser Frage kommen wird.
Nach diplomatischen Quellen ringen die Mitgliedsstaaten darum, eine gemeinsame und wirkungsvolle Position zum eskalierenden Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern zu finden. Dabei würden deutliche Differenzen zwischen den Mitgliedsstaaten sichtbar.
Lage in Gaza dramatisch
Im Zentrum der Diskussionen steht die sich dramatisch verschlechternde humanitäre Lage im Gazastreifen. Nord-Gaza stehe am Rande einer Hungersnot, habe der Direktor des UN-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) in Gaza, Scott Anderson, bei einem Treffen in Brüssel gewarnt.
Israel verhindere die Lieferung dringend benötigter Hilfsgüter. "Tatsächlich sind seit 35 Tagen keine Güter mehr nach Nord-Gaza gelangt", zitierte ein beteiligter Diplomat Anderson.
Sorge um Israel-Gesetz gegen UNRWA
Große Besorgnis löse in Brüssel die geplante Gesetzgebung Israels aus, die UNRWA die Arbeit in den Palästinensergebieten verbieten soll, so der Diplomat. In den Dokumenten heißt es dazu, das Hilfswerk erbringe "lebenswichtige Dienstleistungen in Gaza, die nicht einfach von anderen übernommen werden können".
Die EU fordere daher ein "Einfrieren" der Gesetzesumsetzung. Andernfalls drohe ein Kollaps der Versorgung.
Disput um IGH-Gutachten
Uneins ist sich die EU, wie sie auf das jüngste Gutachten des Internationalen Gerichtshofs (IGH) reagieren soll, demzufolge die israelische Besatzung der Palästinensergebiete illegal ist.
Einige Staaten, darunter Irland, kritisieren, "die EU-Politiken seien nicht in Einklang mit den Forderungen des IGH-Gutachtens". Sie verlangen eine härtere Haltung gegenüber Israel. Andere, wie Tschechien, warnen davor und pochen auf "legitime israelische Sicherheitsinteressen".
Gegen Hamas und Siedler
Auf der Agenda stehen auch neue EU-Sanktionen sowohl gegen radikale israelische Siedler als auch gegen die Hamas und deren Unterstützer. Viele Länder fordern deren "rasche Annahme", heißt es in EU-Dokumenten.
Einig sind sich die EU-Staaten in ihrer Unterstützung für "Bemühungen um einen Waffenstillstand in Gaza". Brüssel möchte sich für "humanitären Zugang und die Öffnung der Grenzübergänge" einsetzen. Auch eine Wiedereinsetzung der EU-Beobachtermission am Grenzübergang Rafah wird demnach erwogen.
EU verliert Einfluss
Deutlich wird in den Dokumenten die wachsende Sorge, dass die EUEinfluss in der Region verliert. "Die EU büßt zunehmend an Glaubwürdigkeit und Vertrauen bei den Menschen vor Ort ein", warnt der EU-Sonderbeauftragte für den Nahost-Friedensprozess, Koopmans.
Einige Länder befürchten zudem, dass Israel die Übergangszeit bis zum Amtsantritt der neuen US-Regierung "für weitere Eskalationen nutzen" könnte.
Aussagen von EU-Diplomaten und interne Protokolle zeigen: Die EU ringt um eine gemeinsame Linie in einem zunehmend verfahrenen Konflikt. Ob ihr das gelingt und sie tatsächlich Druck auf die Akteure ausüben kann, bleibt angesichts der internen Differenzen fraglich. Klar ist aber: Die humanitäre Lage vor Ort duldet keinen Aufschub. Die Zeit drängt.