Budd Boetticher und die Ranown-Western

Seite 3: Sex-Göttinnen im Wilden Westen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Nancy Gates, die Darstellerin der von Indianern verschleppten Frau, ist jünger als Gail Russell und Maureen O'Sullivan. Kurvenreich und in enger Bluse entspricht sie auch sonst mehr den Erwartungen, die das Publikum zu Zeiten von Marilyn Monroe und Anita Ekberg mit solchen Heldinnen verband. Nancy Gates ist die Nachfolgerin von Karen Steele. Boetticher sah Karen 1957 in The Sharkfighters, verliebte sich wieder einmal spontan (er war und blieb ein Romantiker) und nahm Kontakt zu ihr auf. Das war der Beginn einer stürmischen, drei Jahre dauernden Beziehung (mit Erholungspausen), an der seine Ehe mit Emily endgültig zerbrach. Boetticher setzte durch, dass Karen in Decision at Sundown die Braut des Banditen spielen durfte, obwohl die Rolle längst vergeben war. Die Vermutung liegt nahe, dass er Berufliches und Privates auf angenehme Weise verbinden wollte. Aber das ist nicht alles.

Decision at Sundown

Randolph Scott liebt die Heldin, dann liebt er sie vielleicht, schließlich ist er gänzlich uninteressiert. Die Figuren, die er spielt, leben mehr mit ihrer toten Frau in der Vergangenheit als in der Gegenwart. Weil Boetticher und Kennedy von Film zu Film eine abstraktere, noch stärker auf das Essentielle reduzierte Geschichte erzählen, wird das immer deutlicher. Das erklärt auch die Anwesenheit von Karen Steele und Nancy Gates in der zweiten Hälfte des Zyklus. Je mehr der Held in der Vergangenheit gefangen ist, desto weniger braucht es eine Heldin, die als Partnerin in Frage käme. Statt ihn einzubinden, verstärken die beiden Frauen das Gefühl der Isolation. Außerdem gab es noch eine praktische Seite. Je weniger Boetticher im Atelier arbeitete, desto mehr war er auf eine körperlich robuste Darstellerin angewiesen, die den Strapazen beim Drehen in Lone Pine gewachsen war.

Ride Lonesome

Boetticher zeigt Karen Steele am liebsten von der Seite und lässt auch sonst keine Gelegenheit aus, ihre spektakuläre, durch die BH-Mode der 1950er noch stärker betonte Oberweite ins rechte Licht zu rücken. In Ride Lonesome spielt sie die junge Carrie, deren Mann von den Indianern getötet wurde. Boone der Bandit muss sie dauernd anstarren, kann seine Lust kaum zügeln und redet ständig davon, was für eine tolle Frau sie doch sei. Das ist so aufdringlich, und Boone ist so betont maskulin, dass der Sexismus ironisch unterlaufen wird. Boetticher führt das Sexualobjekt Karen Steele vor, gleichzeitig aber auch die Männer, die sie zu diesem Sexobjekt machen.

Ride Lonesome

Boetticher zitiert die von Hollywood propagierten Frauenklischees gern an, um sie als männliches Konstrukt zu entlarven. In Ride Lonesome reitet Karen Steele ein Stück weit hinter den Männern her. Die Frau bleibt zurück, sagt Randolph Scott zu Pernell Roberts. Im Western tun Frauen das fast immer, weil sie schwächer sind als die Männer und schlechter reiten können. Nicht bei Boetticher. Wie auf ein Stichwort galoppiert Karen Steele plötzlich an Scott und Roberts vorbei. Am Ende der Szene ist Scott der letzte in der Gruppe und muss sich sputen, um den Anschluss nicht zu verlieren. Von Frauen, die nicht mithalten können, wenn die Männer reiten, ist keine Rede mehr.

Ride Lonesome

Überhaupt machen Boettichers Frauen erstaunliche Dinge. In Decision at Sundown läuft alles auf ein Duell zwischen dem Helden und dem Bösewicht hinaus, obwohl man längst weiß, dass Randolph Scotts Rachefeldzug eine Farce ist. Ein Mann muss eben tun, was er tun muss usw. Der Prostituierten, die den Schurken liebt, wird das zu dumm. Bevor die Männer ihr Ritual austragen können, schießt sie dem Bösen in den Arm. Zur Belohnung darf sie die Stadt mit ihm verlassen. Die männlichen Einwohner schauen neidisch dabei zu und müssen dann - als Gefangene der Western-Tradition - zurück in den Saloon, um da mit anderen Männern Whisky zu trinken.

Decision at Sundown

Auch der Held hat einige ungewohnte Seiten. Wie er eigentlich zu sein hat, zeigt Hondo, eine Batjac-Produktion von 1953. John Wayne wird von den Apachen gefangengenommen und gefoltert. Jetzt werde sich zeigen, sagt der Häuptling, ob er ein furchtloser Puma ist oder ob er heult wie ein Coyote. Natürlich ist John Wayne ein Puma, beißt die Zähne zusammen und gibt keinen Laut von sich. Wenn man Randolph Scott fragt, ob er Angst vor Indianern und Banditen hat, gibt er es offen zu. Einmal wird eine Wunde mit einem Desinfektionsmittel behandelt. Das tut höllisch weh, und man sieht es auch. Der Spruch vom Indianer, der keinen Schmerz kennt, trifft auf Randolph Scott nicht zu. Und am besten ist in den Ranown-Western sowieso der Schurke.

Hondo

The fancy things of life

Die Bösen sind umso wirkungsvoller, weil der Held so undemonstrativ ist. Randolph Scott trägt mal ein Hemd in Wüstenbraun, mal ist es grau wie die Granitfelsen. Lee Marvin, der Schurke in Seven Men from Now, hat einen sprechenden Namen. Er heißt Masters. Er will der Beste sein und das auch zeigen. "Das ist das Problem mit solchen Leuten wie Ihnen und mir, Sheriff", sagt er einmal zu Randolph Scott. "Wir nehmen uns nie eine Auszeit für die ausgefalleneren Dinge des Lebens" (the fancy things of life). Aber da ist Scott längst kein Sheriff mehr, und der Böse hat immer Zeit für die künstlerische Einlage, die Farbe ins Leben bringt. Deshalb sehen wir ihm so gerne zu.

Zum ersten Drehtag erschien Marvin mit einem grünen Halstuch. Das war seine Idee und ein Signal. Als flamboyanter Bösewicht ist Masters ein Mann der ebenso eindrucksvollen wie spielerischen Gesten. Das sieht man schon daran, dass er die Pistolen verkehrt herum im Halfter trägt. Er will nicht nur der schnellste Schütze im Wilden Westen sein, sondern auch der stilvollste (und ist damit der Vater von Quentin Tarantinos Killern in Reservoir Dogs und Pulp Fiction). Den Stilisten Budd Boetticher, der lieber nach vorne als zurück blickte, hat er damit auf seiner Seite. Von Film zu Film wird klarer, wie sehr der Held der Vergangenheit verhaftet bleibt, während der Böse der Gegenwart und dem Leben zugewandt ist.

Seven Men from Now

In Seven Men gibt es eine brillant geschriebene und inszenierte Szene in der Postkutschenstation. Masters spielt mit seiner Pistole und sagt "Peng". Annie sieht ihn mitleidig an wie einen kleinen Jungen. Dann ändert sich urplötzlich die Stimmung. Masters erzählt einen Teil der Vorgeschichte. Zusammen mit Annie erfahren wir, dass die Frau des Helden erschossen wurde - mit einer Pistole wie der, mit der Masters jetzt auf Annie zielt. Die bis dahin spielerische Geste ist nun bedrohlich, verbindet Vergangenheit und Gegenwart und zeigt, wie gefährlich Masters ist. Er zielt auch - scheinbar spielerisch - auf seinen Kumpanen Clete. Später wird er ihn erschießen, um sich dann eine Zigarette an der seines toten Partners anzuzünden. Das ist fies und gemein, und es hat Stil.

Seven Men from Now

Sogar der Held, der draußen vor der Station Wache hält, bleibt nicht ungeschoren. Während des Gesprächs steht eine Kaffeekanne auf dem Tisch, eines von Boettichers Lieblingsrequisiten. Diese Kanne haben wir schon am Anfang gesehen, als Ben Stride zwei Männer erschoss. Jetzt bringt ihm Annie eine Tasse Kaffee nach draußen. Es könnte dieselbe Tasse sein, die Randolph Scott am Anfang in der Hand hielt, bevor er die Pistole zog. Bisher mussten wir glauben, dass Ben Stride ein Sheriff ist. Aber kurz zuvor hat Masters wie nebenbei erzählt, dass er als Sheriff abgewählt wurde. Die beiden Männer hat er aus Rache erschossen, nicht im Auftrag des Gesetzes. Was unterscheidet ihn dann noch von den Banditen?

Seven Men from Now

Die Handlung der Ranown-Western erstreckt sich immer über ein paar Tage. Die Reisefilme folgen mit formaler Strenge einem Muster. Der Held und seine Gruppe legen zu Pferd ein Stück durch die Wildnis zurück, schlagen ihr Lager auf, genießen die ruhige Abendstimmung, der Morgen bringt Gefahr, dann wird wieder geritten, diesmal durch eine andere Landschaft. Tag und Nacht, Licht und Schatten, Momente des Gefühls oder des Humors und solche der Gewalt, Wüste und Flusslandschaft, Leben und Tod wechseln sich ab. Der hypnotisch wirkende Rhythmus von Boettichers Inszenierung entwickelt einen Sog, dem man sich schwer entziehen kann. Dann kommt eine dieser ganz unspektakulär in Szene gesetzten Unterhaltungen, schon ist man mitten drin in einem komplexen Beziehungsgeflecht, und nichts ist mehr so wie es einmal schien.