Budd Boetticher und die Ranown-Western

Seite 4: Animierte Stillleben

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Das Boetticher-Kapitel in Jim Kitses' Buch Horizons West (1969; erweiterte Neuauflage 2007) ist immer noch das Beste, was man über die Filme lesen kann. Kitses erwähnt einen Moment in Ride Lonesome, in dem er glaubt, "das Herz von Boettichers Welt" finden zu können. Der Held und seine Reisegruppe verlassen die Postkutschenstation. Die Kamera beobachtet sie aus dem Inneren des Gebäudes. Vordach, Stützbalken und die Veranda mit dem Pferdebalken ergeben einen Rahmen. In der linken oberen Ecke hängt ein Wasserbehälter, schwingt leicht hin und her. Dann reiten die Figuren einzeln an uns vorbei. Viermal wandert das Auge vom rechten zum linken Bildrand und folgt Pferd und Reiter, die in unserem Gesichtsfeld auftauchen, die Einstellung durchqueren, wieder verschwinden. Ein Kameraschwenk begleitet den letzten Reiter und zeigt die ganze Gruppe, die nun auf das Gebirge zuhält. "Die Spannung zwischen dem schwarzen Rand und dem hellen rhythmischen Spiel innerhalb des dunklen Rahmens", schreibt Kitses, "ist so fein austariert, dass das Bild die Qualität eines animierten Stillebens erhält, die Essenz von Boettichers Werk."

Ride Lonesome

Fein austariert ist auch die Spannung zwischen den düsteren Geschichten in einer Fels- und Wüstenlandschaft und der Freude, mit der Boetticher die Filme inszenierte. Den ruhigen, kontemplativen Ritten merkt man diese Freude genauso an wie den Actionszenen, bei denen man sich wie üblich fragt, wie er in den zwei Wochen auch dafür noch die Zeit fand? Boettichers Liebe zu schönen Bildern ist unverkennbar. Aber keine Einstellung gibt es nur deshalb, weil sie schön ist. Die gerahmten Bilder von der Postkutschenstation hätte er wahrscheinlich weggelassen, wenn er nicht noch eine Idee gehabt hätte, wie er ihr eine narrative Funktion geben konnte.

In Kennedys Drehbuch erreicht später auch Frank mit seiner Bande die Station. Frank ist der Mann, den der Held töten will, weil er seine Frau vergewaltigt und ermordet hat. Die Banditen steigen ab, dann beginnt ein ziemlich elaboriertes Spurenlesen, das eine Reihe von Einstellungen erfordert hätte. Boetticher dreht die Szene schneller, billiger und besser, braucht nur eine einzige Einstellung dafür und schafft es sogar noch, für eine gespenstische Atmosphäre zu sorgen. Die Kamera steht wieder im Inneren der Station. Im dunklen Rahmen sehen wir die anreitenden Banditen. Die Schatten sind lang geworden. Im Hintergrund wirft die untergehende Sonne ihr rotes Licht auf die Alabama Mountains. Die Männer halten an, beratschlagen kurz, reiten dann weiter. Nichts wird geschnitten. Am Ende gibt es wieder einen Kameraschwenk, der es uns erlaubt, den Männern hinterherzublicken.

Ride Lonesome

Zu sehen waren nur ihre dunklen Silhouetten. Frank und seine Bande sind Geisterreiter aus einem unheimlichen Schattenreich. Der Mord liegt so lange zurück, dass sich der Täter kaum mehr an ihn erinnern kann. Frank, der als schemenhaftes Wesen aus einer Welt zwischen Tag und Nacht, zwischen Wirklichkeit und Phantasie auftaucht, ist der Dämon in der Seele des Helden, dessen Liebe zu seiner toten Frau etwas Nekrophiles hat. Ride Lonesome ist der Spukfilm unter Boettichers Western. Der Ort des letzten Duells ist wie ein archaischer Richtplatz. Dominiert wird er vom Galgenbaum, der aussieht wie ein grotesk verformter Körper oder wie ein Kreuz. An diesem Baum hat Frank Brigades Frau gehängt. Als der Mörder tot ist, kann Brigade den Baum endlich in Brand setzen. Durch diesen Exorzismus treibt er die Geister der Vergangenheit aus. Aber den Weg in die Gegenwart wird er nicht finden. Vielleicht trifft er sich irgendwo mit Ethan Edwards (John Wayne), der am Anfang von John Fords The Searchers aus der Wüste kommt und am Ende wieder in ihr verschwindet.

Ride Lonesome

Der Böse ist so wichtig, weil sich das Gefühlsleben des Helden in der Vergangenheit abspielt und nur der Schurke die Fähigkeit zum Leben in der Gegenwart hat, die dem Helden fehlt. Darum ist das Duell am Schluss so traurig. Der Böse muss immer sterben, aber niemand freut sich darüber. Die Filme sind heute noch so frisch wie vor 50 Jahren, weil sie nicht in Nostalgie verfallen, sondern eine ironisch-distanzierte Haltung zur Geschichte einnehmen, die erzählt wird. Den Figuren ist bewusst, dass sie eine Rolle in einem ritualisierten Geschehen spielen. Fast immer gibt es eine Szene, in der der Bösewicht dem Helden sagt, dass er ihn töten wird, um an die Geldkiste oder an das Kopfgeld zu kommen - nicht jetzt gleich, aber später, im richtigen Moment. Dann belauern sich die Kontrahenten und achten darauf, dass ihnen der Gegner nicht in die Karten blicken kann. Boettichers Western, schreibt Andrew Sarris, "sind teilweise als allegorische Odysseen und teilweise als frei dahintreibende Pokerpartien konstruiert, wo jeder der Charaktere durch Bluffen über das hinwegtäuscht, was er in der Hand hat, bis zum finalen Showdown."

Berühmt ist das Duell in Seven Men from Now. Es ist die Mutter aller Duelle bei Sergio Leone, der im Gegensatz zu einigen anderen immer dankbar zugab, was er Boetticher verdankte. Der Ort des Showdowns ist von Felsen umgrenzt wie die Stierkampfarena von den Tribünen. Masters hat bei jeder Gelegenheit mit seinen Pistolen gespielt und das Ziehen geübt, um die Schnelligkeit nicht zu verlieren. Jetzt schreitet er die Arena ab, als sei er der Herr über die Inszenierung. Ein letztes Mal zelebriert er genüsslich die trockenen Dialogsätze von Burt Kennedy. Ein Mann, mahnt Stride, kann sich auch zu Tode reden. Masters weiß das, kann aber trotzdem nicht damit aufhören, weil es zu seinem Stil gehört.

Seven Men from Now (links), The Good, the Bad and the Ugly

Es bleibt noch Zeit, sich zu sagen, wie schade es ist, dass einer sterben muss. Eigentlich könnte man das Ritual auch abbrechen. Die sieben Männer, die Strides Frau erschossen haben, sind tot. Annie ist jetzt Witwe, weshalb Stride sie heiraten könnte. Masters könnte auf das Geld in der Kiste verzichten, oder Stride könnte es ihm überlassen. Das klingt alles logisch und ist doch unmöglich. Ein Ritual wie dieses Duell mag absurd erscheinen, aber solche Rituale sind der einzige Schutzschild gegen die noch viel größere Absurdität, die außerhalb der Arena lauert (diese Filme sind Boettichers Antwort auf den Zweiten Weltkrieg, auf das industrielle Ermorden von Millionen Menschen in den NS-Vernichtungslagern, auf die Atombombe usw.). Also stellen sich die Gegner in Position.

Seven Men from Now

Boetticher zeigt die Duellanten ganz klassisch, in der dabei üblichen Schuss-Gegenschuss-Konstruktion. Aber wir sehen nie, wie Stride die Pistole zieht. Wie am Anfang hören wir nur den Schuss. Stride war zu schnell für den (ganz irdischen) Masters, für die Kamera und für diese Welt. Masters verlässt die Bühne, wie er sie betreten hat: tänzelnd. Er führt ein kleines Sterbeballet auf (niemand konnte so gut sterben wie Lee Marvin), dann ist er tot. Stride sitzt verbraucht auf einem Felsen, weil er mit Masters auch die Lebensenergie erschossen hat. Beim nächsten Mal würden es beide, der Gute und der Bösewicht, wieder genauso machen. Der Held in seiner reinsten Form ist Jefferson Cody in Comanche Station. Seit zehn Jahren reitet er durch das Indianerland, um seine entführte Frau zu finden. Die Suche ist völlig aussichtslos. Aber Cody hat in den zehn Jahren zahlreiche andere Entführungsopfer aus Indianerhand befreit. Das ist Boettichers Version des Sisyphos-Mythos. Vermutlich waren die existentialistischen Elemente in seinen Western mit ein Grund dafür, dass die Franzosen um André Bazin so begeistert von Boetticher waren, während der Rest der Welt jahrzehntelang kaum Notiz von ihm nahm.

Minimalismus gegen Superwestern

Martin Scorsese, auch ein Boetticher-Fan, erzählt in der Einleitung zur DVD-Ausgabe von The Tall T davon, mit welch gebannter Aufmerksamkeit er in seiner Jugend im Kino saß, als er die Ranown-Western sah. Boetticher, sagt er, komponiert seine Einstellungen so, dass innerhalb der Bilder eine Spannung entsteht, die den Zuschauer zum genauen Hinsehen zwingt, weil durch den Minimalismus der Inszenierung der geringsten Bewegung eine große Bedeutung zukommt.

Die amerikanischen Kritiker der 1950er hatten für solche Feinheiten keinen Sinn und orientierten sich an dem, was die PR-Maschine Hollywoods zur großen Kunst erklärt hatte. Es war die Zeit der "Superwestern", die damals hymnische Besprechungen erhielten und deren forcierte Selbstveredelung heute ziemlich schal wirkt. Fred Zinnemans High Noon (1952) war der große soziologische Western, George Stevens' Shane war der große mythologische Western, und John Sturges' Gunfight at the OK Corral (1957) war der große Western-Western, in dem die traditionellen Elemente versammelt wurden, um zu zeigen, wie man es größer, teurer und besser macht. Für alle Superwestern der 50er gilt, was Pauline Kael über High Noon gesagt hat: sie haben eine hohe Meinung von ihren eigenen Qualitäten. Das muss ansteckend gewesen sein. Anders kann man sich den Enthusiasmus, mit dem diese über weite Strecken doch arg pompösen Filme damals aufgenommen wurden, schwer erklären.

Boettichers Western sind voller Respekt dem Genre gegenüber. Nie wird der Eindruck vermittelt, dass ein Künstler es sich zur Aufgabe gemacht hat, eine minderwertige Form zu erweitern und mit "Gehalt" zu füllen, weil sie sonst unter seinem Niveau wäre. Boetticher ist ganz frei von solcher Überheblichkeit. Damit stand er im krassen Widerspruch zu den Superwestern, die das Maß aller Dinge waren. Kritiker, die den Titelhelden von Shane mit Robin Hood, Zeus, Jesus Christus oder König Artus und den Rittern der Tafelrunde verglichen hatten, konnten mit Seven Men nichts anfangen. Einmal kommt die Kavallerie angeritten. Ein Offizier warnt Ben Stride und die Greers vor der Weiterreise, weil die Indianer auf dem Kriegspfad sind. Dann verschwinden die Soldaten, und weil sie im Grunde irrelevant sind, tauchen sie auch nie mehr auf. Boetticher, der radikale Individualist, hätte es nie zugelassen, dass seine Figuren von uniformierten Kavalleristen gerettet werden. Genau das wurde aber verlangt, weil es in John Fords Stagecoach so gewesen war.

Besonders ärgerlich war das Ende. Das Liebespaar war zu alt (Randolph Scott war 53, Gail Russell erst 32, doch die Alkoholkrankheit hatte Spuren hinterlassen). Die Kritiker bemängelten, dass das Happy Ending dadurch unglaubwürdig werde. Und war es überhaupt ein Happy Ending? Ben Stride reitet aus der Stadt, die nun verwitwete Mrs. Greer bleibt allein zurück. Der Dialog deutet nur an, dass sie sich wiedersehen werden. Keinem von den Kritikern war die kurze Szene aufgefallen, in der Annie für Ben Stride ein Hemd wäscht. Am Schluss trägt er dieses Hemd, das sie für ihn gewaschen hat. Das genügt. In einem Ranown-Western bedarf es weder vieler Worte noch großer Gesten. Boetticher erteilt damit auch der Infantilisierung des Publikums eine Absage. In Hollywood waren (und sind) die Anhänger der dreifachen Informationsvergabe an der Macht. Für wichtig erachtete Informationen werden sehr deutlich mitgeteilt und dann zweimal wiederholt, damit auch der dümmste Zuschauer begreift, was er begreifen soll.

Seven Men from Now

Die Kurven von Karen Steele wirken in diesem Zusammenhang wie das spöttische Angebot an die Herren von der Kritik, die mit Ausrufezeichen versehene Mitteilungen, straffe Busen und Jugendlichkeit einforderten. Während aber Seven Men wenigstens ein paar Verrisse erhielt, wurden die folgenden Filme in den USA so gut wie gar nicht mehr besprochen. Sie spielten viel Geld ein, liefen jedoch nicht in den Kinopalästen der Innenstädte, sondern an der Peripherie und in der Provinz. Von den großen Zeitungen wurden sie deshalb kaum zur Kenntnis genommen. Und wenn doch, hätten sie wohl nur einen Routinewestern ohne künstlerische Qualität gesehen. Der Rufer in der Wüste war Andrew Sarris. "Man fragt sich", schrieb er 1963 in der Zeitschrift Film Comment, "wo Regisseure wie Boetticher die Energie und die Inspiration zu solch vorzüglicher Arbeit hernehmen, wenn unsere einheimischen Kritiker so unglaublich indifferent sind, dass sie einen Boetticher-Film wahrscheinlich nicht von einem Selander oder etwas noch Schlimmeren unterscheiden könnten." (Lesley Selander kurbelte einen Billigwestern nach dem anderen herunter und ist eine Warnung an alle, die den B-Film romantisieren. Das Meiste, was da entstand, ist Mist.)

Comanche Station

Mit Comanche Station, dem minimalistischsten Film der Ranown-Western, zog Boetticher die Summe des gesamten Zyklus. So, wie der Film geschrieben und inszeniert ist, muss den Beteiligten klar gewesen sein, dass es der letzte sein würde. Randolph Scott beendete mit Comanche Station seine Karriere. Vielleicht hatte er das Gefühl, dass nichts Besseres mehr kommen konnte. Sein Abschied von der Leinwand ist gewohnt lakonisch: In der ersten Einstellung reitet er von rechts nach links durch die Gebirgslandschaft von Lone Pine. In der letzten Einstellung reitet er wieder zurück, von links nach rechts. Nur einmal, für Sam Peckinpahs Ride the High Country (1961), unterbrach er seinen Ruhestand. Scott spielt einen gealterten Westernhelden, der durch die Umstände zum Verbrecher wird. An der Seite von Joel McCrea, der ursprünglich für die Hauptrolle in Seven Men from Now vorgesehen gewesen war, tritt er zum letzten Gefecht an. Ohne den Ranown-Zyklus wäre dieser Film nicht denkbar.

Ride the High Country

Boetticher meinte einmal, er hätte 14 verschiedene Drehbücher schreiben können, die alle mit dem brennenden Baum am Schluss von Ride Lonesome beginnen. Einige dieser Geschichten führten den Western aus den 1950ern in ein neues Zeitalter. Ride the High Country gehört ebenso dazu wie Sergio Leones Dollar-Trilogie mit Clint Eastwood und die von Eastwood selbst inszenierten High Plains Drifter und The Outlaw Josey Wales. Budd Boetticher durfte keines dieser 14 Drehbücher inszenieren. Das ist traurig. Andererseits ist es müßig, darüber zu spekulieren, was er noch hätte schaffen können, wenn er diplomatischer und kompromissbereiter gewesen wäre. Wahrscheinlich konnte er nur deshalb, weil er nicht diplomatisch und nicht kompromissbereit war, vier der besten Western machen, die je gedreht wurden. Und weil er mit Burt Kennedy, Randolph Scott und Harry Joe Brown zur richtigen Zeit die richtigen Leute traf.

Epilog: Wo ist Budd Boetticher?

1968 veröffentlichte Andrew Sarris The American Cinema. Das von der französischen "auteur-Theorie" beeinflusste Buch war ein Meilenstein auf dem Weg zu einer Neubewertung des amerikanischen Films. Budd Boetticher bekam einen Platz in der Kategorie "Expressive Esoterica". Darüber konnte er sich nicht beklagen. Er befindet sich in der Gesellschaft von Könnern wie André de Toth, Stanley Donen, Don Siegel, Robert Siodmak, Jacques Tourneur, Edgar G. Ulmer und Roland West. Der Eintrag beginnt mit einer Frage: "Weiß irgendjemand, wo Budd Boetticher ist?" Inzwischen lässt sich die Frage beantworten.

Nach Comanche Station drehte Boetticher The Rise and Fall of Legs Diamond, eine vergessene Perle des amerikanischen Gangsterfilms. Weil er das Drehbuch für unbrauchbar hielt, schrieb er rasch ein neues. Als er und sein Lieblingskameramann Lucien Ballard einige stilistische Entscheidungen trafen, die so nicht im Regelbuch standen, überwarf er sich mit dem erschrockenen Produzenten. Ärger gab es auch mit Karen Steele, die er als Gangsterbraut besetzt hatte und die nach Abschluss der Dreharbeiten nicht mehr seine große Liebe war.

The Rise and Fall of Legs Diamond

Nach der Trennung von Karen stellte ihm Lucien Ballard Debra Paget vor. Debra hatte in mehreren Western die Indianerin gespielt, und eine indische Tempeltänzerin für Fritz Lang (Der Tiger von Eschnapur). Budd war hingerissen und verlor wie üblich nicht viel Zeit. Im März 1960 wurde geheiratet. Angewidert von der "grassierenden Unprofessionalität", die er bei Legs Diamond angetroffen hatte, kehrte er Hollywood den Rücken. Zusammen mit Debra bestieg er seinen neuen, weiß lackierten (und auf Pump gekauften) Rolls Royce und fuhr nach Mexiko. Dort wollte er einen halbdokumentarischen Film über seinen Freund Carlos Arruza drehen, einen der größten Stierkämpfer aller Zeiten - mit Arruza als ihm selbst und mit Debra als seiner Frau.

Was dann passierte, erzählt Boetticher lakonisch, witzig und gewohnt unsentimental in seinem Buch When in Disgrace, das er 1960 begann und 1988 beendete. Hier die Kurzfassung: In den folgenden acht Jahren verlor er Debra (sehr bald) und den Rolls (etwas später). Er wurde vorübergehend in eine Irrenanstalt und später ins Gefängnis gesteckt, beglückte die Skandalpresse durch seine Affäre mit der Schauspielerin Elsa Cardenas, kämpfte gegen betrügerische Produzenten und Alkoholprobleme, erkrankte schwer und konnte nur dank seines eisernen Willens verhindern, dass ihm eine Lunge amputiert wurde. Als er alle Versuche, ihm den Film wegzunehmen, abgewehrt hatte und nur noch einige wenige Einstellungen zu drehen waren, starb Carlos Arruza bei einem Autounfall.

Beim Lesen von When in Disgrace sollte man an Rock Hudson denken, der in Horizons West sagt, dass eine Niederlage keine Schande ist, wenn man für etwas gekämpft hat, an das man glaubt: "There's no disgrace." Budds acht Jahre währender Kampf endete ehrenvoll. 1968 kehrte er nach Hollywood zurück. Dort war man bereit, Arruza (nun ein reiner Dokumentarfilm) in die Kinos zu bringen - allerdings nur in einer geänderten Fassung, die kommerzieller als die seine war. Budd hatte zuviel in den Film investiert (nicht nur sein ganzes Geld), um Kompromisse zu machen. Er lehnte ab. Der Film ist selten zu sehen. Aber er ist genauso, wie Boetticher ihn haben wollte.

Arruza

1969 drehte er mit seinem Freund Audie Murphy nach einem eigenen Buch den Western A Time for Dying, der 1971 gestartet wurde, einige gute Kritiken erhielt und nach Murphys Tod (auch Produzent) wegen ungeklärter Eigentumsverhältnisse von der Bildfläche verschwand. Boettichers Comeback sollte Two Mules for Sister Sara werden. Nach einigen Produzentenmanövern inszenierte nicht Boetticher, sondern Don Siegel (mit Clint Eastwood in der Hauptrolle). Boetticher blieb nur eine Nennung als Autor der Originalgeschichte. Sein Drehbuch hatte man bis zur Unkenntlichkeit entstellt. A Time for Dying ist sein letzter Spielfilm.

In den acht Jahren seiner Abwesenheit hatte sich viel verändert. Für die Exponenten des Neuen Hollywood war er ein alter Mann, den Buchhaltern und Anwälten galt er nach dem Mexiko-Abenteuer als Sicherheitsrisiko. Dafür lernte er mit Mary Chelde nun wirklich die große Liebe seines Lebens kennen (vorher absolvierte er noch eine Kurzehe mit Margo Jenson). Durch das Desaster mit der Mariachi-Band (siehe Teil 1) war er nicht aufzuhalten. Er und Mary heirateten im Juni 1972. Weil er in Hollywood nicht mehr Fuß fassen konnte, beschloss er, sich mit dem zu beschäftigen, was er neben dem Filmemachen am besten konnte. Er gründete eine eigene Pferdezucht. Ironischerweise zog der Mann, der sich in seinen Filmen immer als absolut kitschresistent erwiesen hatte, nun in einen Ort bei San Diego, der seinen Namen Helen Hunt Jacksons Roman Ramona verdankt, einer gefühlsduseligen Indianer-Schmonzette.

My Kingdom For ...

Mary hatte Angst vor Pferden. Budd zuliebe lernte sie reiten. Das gelang ihr so gut, dass die beiden schließlich in Ramona Demonstrationsveranstaltungen zum rejoneo durchführen konnten, der von Carlos Arruza bevorzugten Art des Stierkampfs zu Pferde (mit echten Pferden, aber mit einer Bullenattrappe). Wer das einmal sehen durfte, wird es nicht vergessen. Über diese Veranstaltungen stellte er auch einen Videofilm her, My Kingdom For ... (1988). Das war seine letzte Produktion. Als Budd nach zwei Hüftoperationen nicht mehr selber reiten konnte, nahm er auf einer Art Holzthron Platz und kommentierte per Lautsprecher, was nun Jüngere vorführten. In Robert Townes Tequila Sunrise ist er (zusammen mit Mary) kurz als der Richter und Feinschmecker zu sehen, der Michelle Pfeiffers Koch eine Arbeitserlaubnis besorgt.

Tequila Sunrise

Budd Boetticher starb am 29. November 2001. Er war 85 Jahre alt und hatte seit über 30 Jahren keinen Film mehr inszenieren können, obwohl er unermüdlich an neuen Projekten arbeitete. Es gilt der Satz, den Anthony Quinn im Kommentar zu Arruza sagt und den Budd in seinen letzten Lebensjahren oft zitierte: "Kein Mensch ist tot, bevor der letzte Mensch, der sich an ihn erinnert, tot ist."

Die Ranown-Western auf DVD: Als André Bazin Seven Men from Now als Meisterwerk rühmte, war der Film schon fast wieder aus den Kinos verschwunden. Jahrzehntelang waren nur einige wenige Kopien in miserabler Qualität und mit verblichenen Farben im Umlauf. Mit dem Tod des Produzenten John Wayne wurde die Lage noch schwieriger. Als Waynes Sohn Michael damit begann, das Batjac-Erbe wieder zugänglich zu machen, widmete er sich zunächst den Filmen, in denen sein Vater die Hauptrolle spielte. Im Jahr 2000 präsentierte Michael Wayne eine mit Hilfe des UCLA Film and Television Archive restaurierte Fassung von Seven Men; dann konnte der beste der Batjac-Filme endlich "wiederentdeckt" werden. 2005 erschien Seven Men auf DVD. Mit einiger Verspätung bewog das die Firma Sony, 2008 auch die übrigen fünf Filme auf den Markt zu bringen (seit der Übernahme der Columbia gehören die Rechte dem Sony-Imperium); sie sind alle in der DVD-Box The Films of Budd Boetticher enthalten. In die deutsche DVD-Diaspora haben es bisher nur die beiden ersten Filme der Reihe geschafft, Seven Men (Der Siebente ist dran) und The Tall T (Um Kopf und Kragen).