China wird Konflikt Russland versus Westen entscheiden

Seite 2: Was Putin will?

Einst war Wladimir Putin ein konventioneller russischer Politiker. Wie viele seiner Vorgänger hatte er eine komplizierte Dreiecksbeziehung mit der Demokratie (metaphorisch gesprochen: die langweilige Ehefrau) und dem Despotismus (seiner wahren Liebe). Er schwankte zwischen Konfrontation und Kooperation mit dem Westen hin und her.

Kein Nationalist, stand er an der Spitze einer multiethnischen Föderation; kein Populist, lag ihm nicht viel daran, die Massen zu bespielen; kein Imperialist, setzte er brutale, aber begrenzte Gewaltmittel ein, um Russland vor dem Auseinanderbrechen zu bewahren.

Er erkannte auch die Grenzen der russischen Macht. In den 1990er Jahren hatte sein Land einen rasanten wirtschaftlichen Niedergang erlitten, so dass er hart daran arbeitete, die Macht des russischen Staats wieder aufzubauen. Immerhin ist Russland der weltweit größte Exporteur von Erdgas, der zweitgrößte Ölproduzent und der drittgrößte Kohleexporteur.

Selbst seine Bemühungen, ein Abgleiten von Regionen aus der russischen Einflusssphäre zu verhindern, stießen zunächst auf Grenzen. Im Jahr 2008 versuchte er beispielsweise nicht, das benachbarte Georgien zu übernehmen, sondern erzwang lediglich eine Pattsituation, die zwei abtrünnige Regionen in den russischen Einflussbereich brachte.

In der Zwischenzeit verfolgte Putin Strategien, die darauf abzielten, seine vermeintlichen Widersacher zu schwächen. Er verstärkte seine Cyberangriffe im Baltikum, weitete seine maritimen Provokationen im Schwarzen Meer aus, erhob aggressive Gebietsansprüche in der Arktis und unterstützte rechte Nationalisten wie Marine Le Pen in Frankreich und Matteo Salvini in Italien, um die Einheit der Europäischen Union zu untergraben. Im Jahr 2016 versuchte er sogar, die amerikanische Politik durch schmutzige Tricks zur Unterstützung von Donald Trump weiter zu polarisieren.

Putin, der schon immer sensibel, reagierte, wenn seine Macht herausgefordert wurde, beobachtete mit zunehmender Sorge, wie sich "farbige Revolutionen" in Teilen der ehemaligen Sowjetunion ausbreiteten – von Georgien (2003) und der Ukraine (2005) bis hin zu Belarus (2006) und Moldawien (2009).

Etwa zur Zeit der Euromaidan-Proteste 2013 bis 2014 in der Ukraine begann er, innenpolitisch auf einen Nationalismus umzuschwenken, der die Interessen ethnischer Russen in den Vordergrund stellte, während er mit aller Härte gegen Andersdenkende vorging und die Angriffe auf Kritiker im Ausland verstärkte. Das zunehmende Gefühl der Paranoia führte dazu, dass er sich auf einen immer kleineren Kreis von Beratern verließ, die ihm immer seltener widersprechen oder ihm schlechte Nachrichten überbringen konnten.

Anfang der 2020er Jahre, als Putin sich Enttäuschung im Ausland gegenübersah, hörte er auf, selbst den Anschein erwecken zu wollen, gute Beziehungen zu den Vereinigten Staaten oder der Europäischen Union aufrechtzuerhalten. Mit Ausnahme von Viktor Orbán in Ungarn hatte sich die europäische extreme Rechte als absolute Enttäuschung erwiesen, und sein Schönwetterfreund Donald Trump hatte die Präsidentschaftswahlen 2020 verloren. Schlimmer noch: Die europäischen Länder schienen entschlossen, ihre Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen zu erfüllen, was früher oder später eine radikale Verringerung ihrer Abhängigkeit von russischen fossilen Brennstoffen bedeuten würde.

Im Gegensatz zu Chinas Bestreben, mit den USA und Europa auf gutem Fuß zu stehen, begann Putins Russland, sich von jahrhundertealten "Verwestlichungs"-Impulsen abzuwenden und sich auf seine slawische Geschichte und Traditionen zu besinnen. Wie Nordkoreas Kim Jong-un und Indiens Narendra Modi beschloss Putin, dass die einzige Ideologie, die letztlich zählt, der Nationalismus ist, in seinem Fall eine besonders ansteckende, antiliberale Form davon.

All das zeigt, dass Putin seine Ziele in der Ukraine ohne Rücksicht auf die langfristigen Auswirkungen auf die Beziehungen zum Westen verfolgen wird. Er ist eindeutig davon überzeugt, dass die politische Polarisierung, der wirtschaftliche Niedergang und das schwankende sicherheitspolitische Engagement in diesem umkämpften Land die westlichen Mächte schließlich dazu zwingen werden, einem selbstbewussteren Russland entgegenzukommen.

Vielleicht hat er nicht unrecht.