"Das Tragische am Bandera-Kult ist, dass Ukrainer oft nicht wissen, wen sie eigentlich verehren"
Seite 2: "Polen, Juden und Russen waren die Hauptfeinde"
- "Das Tragische am Bandera-Kult ist, dass Ukrainer oft nicht wissen, wen sie eigentlich verehren"
- "Polen, Juden und Russen waren die Hauptfeinde"
- "Widerstand gegen Nazi-Deutschland fand nur bedingt statt"
- "Ende der 1980er Jahre wurde Bandera-Kult in die Ukraine zurückgebracht"
- "Die Ukraine sollte Zweisprachigkeit akzeptieren"
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Sie schrieben kürzlich, in der OUN seien seit 1934 Pläne ausgearbeitet worden, die Polen und Juden aus der Ukraine zu vertreiben und zu ermorden. Wurden die Pläne von der OUN aktiv verfolgt?
Grzegorz Rossoliński-Liebe: Ja, die ersten Pläne wurden 1934 von Mykola Kolodzinskyj verfasst. Er hat das unter anderem in einem Ausbildungslager in Italien gemacht, wo er mit der Ustascha geschult wurde. Seine Idee war, Juden und Polen teilweise zu ermorden, teilweise aus der Ukraine zu vertreiben. Heute ist das vielleicht verwunderlich, aber damals wurden solche Pläne in faschistischen Organisationen geschmiedet und diskutiert.
Polen, Juden und Russen waren die Hauptfeinde der OUN. Auch demokratische und kommunistische Ukrainer waren eine wichtige Feindgruppe. Allen OUN-Mitgliedern war seit Mitte der 1930er Jahre klar, dass die Führung von ihnen erwartet, bei einer passenden Begebenheit – wie zum Beispiel einem Krieg – die Ukraine ethnisch zu säubern. Als Methoden wurden Vertreibung und Massenmord verstanden und viele Nationalisten waren bereit, entsprechend zu handeln. Das Hinterfragen dieser Idee war verboten, was wir aus Memoiren einiger Mitglieder der Bewegung wissen. Bandera selbst, der seit Mitte 1934 im Gefängnis saß, radikalisierte andere ukrainische Häftlinge, die im Zweiten Weltkrieg Massenmorde begingen.
Die OUN arbeitete nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion aktiv mit der Wehrmacht zusammen. Später kämpfte sie aber auch gegen die Deutschen, heißt es immer wieder. Was war der Grund für die veränderte Haltung? Und hielt diese Feindschaft bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges?
Grzegorz Rossoliński-Liebe: Wenige Tage, nachdem die deutsche Wehrmacht im September 1939 Polen überfiel, brachen Bandera und andere führende OUN-Mitglieder aus polnischen Gefängnissen aus. Bandera ging zuerst nach Lemberg, kehrte aber schnell nach Krakau zurück, weil die Sowjetunion die Westukraine besetzte.
In Krakau begann er, mit der Wehrmacht und der Abwehr zusammenzuarbeiten. In Folge dieser Kollaboration wurden die Bataillone Nachtigall und Roland aufgestellt, die aus ukrainischen Nationalisten bestanden.
Die OUN spaltete sich 1940 in die OUN-Bandera und OUN-Melnyk. Es wurde ein Konflikt zwischen der älteren und jüngeren Fraktion in der OUN ausgetragen. Bandera als Führer der OUN-B sollte der Führer eines ukrainischen Staates werden, der wie Ustaschas Kroatien in Hitlers "Neuen Europa" funktionieren sollte.
Obwohl der Staat am 30. Juni 1941 in Lemberg proklamiert wurde, scheiterte dieses politische Projekt, weil Hitler gegenüber der Ukraine, Litauen und Weißrussland andere Pläne als gegenüber Kroatien oder der Slowakei hatte. Weil Bandera zuerst die Staatlichkeit nicht aufgeben wollte, wurde er verhaftet und als politischer Sonderhäftling des Reichssicherheitsamts in Berlin und KZ- Sachsenhausen bis Herbst 1944 gehalten.
Wie veränderte die Inhaftierung Banderas die Zusammenarbeit der OUN mit den Deutschen?
Grzegorz Rossoliński-Liebe: Als der ukrainische Staat proklamiert wurde, organisierten OUN-Mitlieder Pogrome in der Westukraine gemeinsam mit Wehrmacht und Einsatzgruppen, was unter anderem Kai Struve eingehend untersuchte.
Banderas Verhaftung wirkte sich auf die Kollaboration mit Nazi-Deutschland aus. Auf der politischen Ebene fand seitdem keine Kollaboration mehr statt, aber die Zusammenarbeit im Holocaust funktionierte einwandfrei. OUN-Mitlieder schlossen sich der ukrainischen Polizei im Distrikt Galizien und Wohlynien an. Sie und ebenso viele "gewöhnliche" Ukrainer halfen den deutschen Besatzern 800.000 Juden in der Westukraine zu ermorden. Der OUN kam das entgegen, weil es ein Teil ihres Plans war, die Ukraine in ein ethnisch-homogenes Land zu verwandeln.
Als Anfang 1943 bereits etwa 90 Prozent der westgalizischen Juden ermordet waren, verließen etwa 5.000 Ukrainer die Polizei im Reichskommissariat Ukraine und schlossen sich der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA) an, die durch die OUN gründet worden war. Die UPA begann Anfang 1943 zuerst in Wolhynien und 1944 in Galizien massenweise Polen zu ermorden und sie zum Verlassen der Ukraine zu zwingen. Auf diese Weise wurde die Westukraine Ende 1944 zu einem überwiegend ethnisch-homogenen Gebiet. Die meisten Juden waren ermordet und Polen entweder ermordet oder vertrieben.
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