Das zweite Gehirn des Kanzlers: Wer ist der neue Finanzminister Kukies?
Jörg Kukies ist der neue Finanzminister. Der Ex-Goldman-Sachs-Banker gilt als enger Vertrauter von Olaf Scholz. Doch seine Vergangenheit wirft Fragen auf.
Am 7. November 2024 ist der ehemalige Staatssekretär Jörg Kukies als neuer Finanzminister vereidigt worden, nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Christian Lindner (FDP) aus seinem Amt entlassen hatte. Kukies, das "zweite Gehirn des Kanzlers" (Spiegel), hat eine beeindruckende Karriere in der Finanzwelt hinter sich.
Diese steile Karriere und seine Verbindungen zur Finanzindustrie zeichnen den SPD-Mann allerdings nicht nur als beschlagenen Fachmann aus, sondern werfen bisweilen auch einen Schatten auf die Personalie. Vor allem in Bezug auf Transparenz und Unabhängigkeit.
Der Goldman-Mann
Jörg Kukies’ berufliche Laufbahn ist eng mit Goldman Sachs verbunden, einer der – zwar nicht größten, aber – einflussreichsten Investmentbanken der Welt.
Von Kritikern gerne als "Government Sachs" bespöttelt, ist die Bank bekannt dafür, ehemalige Mitarbeiter in einflussreiche politische Positionen (und wieder zurück) zu bringen, darunter etwa der zwischenzeitliche italienische Premier und ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) Mario Draghi oder der ehemalige EU-Kommissionschef José Manuel Barroso, der später in einer (zweifelhaften) Beraterfunktion für die Bank tätig war.
Aber auch im ehemaligen Kabinett des neu gewählten US-Präsidenten Donald Trump fanden sich mit Wirtschaftsberater Gary Cohn oder Finanzminister Steven Mnuchin prominente Persönlichkeiten mit einer Goldman-Vergangenheit.
Jörg Kukies war von 2001 bis 2018 in verschiedenen Funktionen für die Bank tätig, zuletzt als Co-Vorsitzender in Deutschland und Österreich sowie als Leiter der Frankfurter Niederlassung von Goldman Sachs International. Die darauffolgende Ernennung von Kukies zum Staatssekretär im Bundesfinanzministerium 2018 stieß dementsprechend auf Kritik, insbesondere seitens der parlamentarischen Linken.
So warf der heutige BSW- und damalige Linken-Abgeordnete Fabio De Masi Olaf Scholz vor, "Donald Trump zu imitieren "und (…) die Brandstifter zur Feuerwehr" zu machen.
De Masi sollte sich später mit seinem großen Engagement zur Aufklärung des Cum-Ex-Steuerbetrugs und des Wirecard-Skandals einen Namen machen. Die mutmaßliche Verwicklung des Bundeskanzlers in diese Vorfälle ist bekannt, aber nur wenige wissen, dass auch Jörg Kukies zum Teil eindeutig, zum Teil mutmaßlich eine große Rolle darin spielte.
Der "Intransparenzminister"
Für seine Zeit als Staatssekretär im Bundeskanzleramt hat das politische Watchblog Abgeordnetenwatch Kukies kürzlich den Spitznamen des "Intransparenzministers" verliehen. Der Grund: Zwischen September und Dezember 2021 hatte Kukies rund 100 Kontakte zu Lobbyisten, darunter Vertreter von Airbus Defense, BlackRock und auch – seinem ehemaligen Arbeitgeber Goldman Sachs.
Schriftliche Aufzeichnungen darüber existieren allerdings keine, wie Abgeordnetenwatch damals wie heute beklagt. Auch das ist ein Muster, das sich in Kukies Wirken immer mal wieder findet.
Das wohl heikelste Kapitel in Kukies’ Karriere ist seine Rolle im Wirecard-Skandal. Noch zwei Tage vor der Bekanntgabe der Insolvenz des Unternehmens am 25. Juni 2020 soll Kukies per Telefonat mit dem Chef der staatlichen KfW-Bankentochter Ipex, Klaus Michalak, einen Notkredit für Wirecard angeregt haben, obwohl das Unternehmen am Tag zuvor bereits selbst eingeräumt hatte, dass ein Bankguthaben in Höhe von 1,9 Milliarden Euro "mit überwiegender Wahrscheinlichkeit" nicht existiere. Besagter Vorgang wurde allerdings auch dem Untersuchungsausschuss lange Zeit verschwiegen, wie der Spiegel damals herausstellte:
Vieles an diesem Telefonat ist politisch äußerst heikel für Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) und dessen Staatssekretär Kukies: Zunächst einmal hat das Ministerium diesen Vorgang auch nach Monaten, in dem der Untersuchungsausschuss in dem Skandal um den kollabierten Finanzdienstleister Wirecard ermittelt, dem Parlament und der Öffentlichkeit verschwiegen. (...)
Normalerweise würde die Öffentlichkeit also wohl nie von diesem Telefonat erfahren. Und das dürfte wohl auch im Sinne des Finanzministeriums gewesen sein.
Ein weiterer Fleck auf der Weste von Jörg Kukies ist das sogenannte Cum-Ex-Frühstück im April 2019, an dem der Staatssekretär gemeinsam mit dem ehemaligen Haushalts-Sprecher und später wegen Begünstigung strafrechtlich verfolgten Genossen Johannes Kahrs sowie dem umstrittenen MM-Warburg-Banker Christian Olearius teilgenommen hatte.
Wie die Tagesschau berichtete, war Olearius zu dieser Zeit bereits durch den Cum-Ex-Steuerbetrug stark belastet. Trotz widersprüchlicher Angaben über die Umstände des Treffens blieb der Vorwurf einer politischen Einflussnahme bestehen.
Auch deshalb, weil Olearius behauptet hatte, Kukies habe von der Teilnahme des Bankers gewusst. Das Finanzministerium hatte allerdings Gegenteiliges behauptet und beteuert, dass Kukies bei dem Gespräch seine zuvor auch öffentlich geäußerte Absage an ein Entgegenkommen erneuert habe.
Erst kürzlich geriet Kukies in den Fokus einer weiteren Episode um mutmaßliche Lobby-Absprachen hinter verschlossenen Türen.
Wie das Portal Investigate Europe – unter Beteiligung unter anderem des ARD-Journalisten Markus Grill – berichtete, legen interne Dokumente nahe, dass Kukies in Verhandlungen mit dem US-Pharmakonzern Eli Lilly involviert gewesen sein soll, die zu einem Gesetz führten, das dem Unternehmen erlauben würde, die Preise für neue Arzneimittel geheim zu halten und so indirekt die Medikamentenpreise in Europa in die Höhe zu treiben. Auch das Gesundheitsministerium unter der Leitung des Genossen Karl Lauterbach hatte bei diesem Vorfall eine dubiose Rolle erfüllt.
Die globale Perspektive
Neben seiner Arbeit in der Finanzwelt ist Kukies auch für sein politisches Engagement bekannt, das weit über nationale Grenzen hinaus reicht.
Kukies’ globale Perspektive wurde früh durch das renommierte McCloy-Stipendium geprägt, das er in den 1990er Jahren erhielt. Das Stipendium ist benannt nach dem Diplomaten und Banker John Jay McCloy, der als US-Hochkommissar für Deutschland von 1949 bis 1952 eine entscheidende Rolle bei der Westintegration der Bundesrepublik spielte.
Daneben war McCloy – etwa als J.P.-Morgan Banker und Vorstandsmitglied des "imperialen Beraterstabs" Council on Foreign Relations – eine zentrale Figur des US-amerikanischen Establishments und seiner überzeugten "Mulitlateralisten". (Siehe Telepolis-Bericht hier). Das McCloy-Stipendium zielt konsequenterweise darauf ab, "Führungskräfte für anspruchsvolle öffentliche Aufgaben in Deutschland und bei internationalen Organisationen auszubilden und die transatlantischen Beziehungen zu stärken".
Aus seinem Studium an der Kennedy School der Harvard University von 1995 bis 1997 seien ihm besonders die "geostrategischen Diskussionen mit führenden politischen Entscheidungsträgern" und "das Networking mit einem internationalen Studentenkreis" in Erinnerung geblieben, wie es auf der Alumni-Website des McCloy-Stipendiums (engl. "fellowship") heißt.
Kukies’ globalpolitisches Engagement zeigt sich auch in seiner starken Fürsprache und Mitarbeit bei Projekten zur Integration von Migranten und Flüchtlingen. Kukies "integriert Zahlen und Menschen", heißt es in seinem Porträt auf der Alumni-Website.
Auch zeichnet sich der neue Finanzminister durch seine enge Zusammenarbeit mit transatlantischen Organisationen wie dem Thinktank Atlantic Council on Germany (ACG) aus.
So ist Kukies im Rahmen des vom ACG ausgerichteten "John McCloy fellowship on Global Trends" mehrfach als Sprecher zu Themen der globalen wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen aufgetreten, etwa 2019 und zuletzt 2023. Für den vom Namenspatron John McCloy stark geprägten Council on Foreign Relations hielt Kukies am 7. April 2022 eine Rede zu "Global Health Governance".
Einen Monat später, Anfang Juni 2022, war Kukies Teilnehmer der einflussreichen und geheimniskrämerischen Bilderberg-Konferenz, die führende Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft versammelt. Die Tagesordnung der Konferenz umfasste unter anderem die Themen "Kontinuität von Regierung und Wirtschaft" im Falle eines Notstandes (Vgl. dazu die Regelungen zur "Continuity of Government" nach dem 11. September) sowie die "Störung ["disruption"] des globalen Finanzsystems".
Christian Lindner hatte sein Festhalten an der Schuldenbremse als Kernstreitpunkt des Ampel-Zerwürfnisses herausgestellt. Staatsanleihen und deren Emission gelten einerseits als attraktive Anlagen und Stabilisatoren des Finanzmarkts.
Befürworter der Schuldenbremse (sowie im Übrigen auch der Bundesrechnungshof) befürchten dagegen, dass ein Staat sich durch die Rendite-Ansprüche jenes Marktes und daraus resultierende höhere Zinslasten, die den Haushaltsspielraum einschränken, an kommenden Generationen versündigen könnte – ein im Grundgesetz zementierter Anspruch, der für das Bundesverfassungsgericht in der Frage der Klimagerechtigkeit bislang außer Diskussion stand.