Der Mehrwert ist überhaupt kein Rätsel
Seite 5: Einwand 3: Mehrwert ist gar kein Kriterium für die Produktion
- Der Mehrwert ist überhaupt kein Rätsel
- a) Arbeitsmehrwertlehre ist unvollständig
- b) Fiktion als Einwand gegen Wissenschaft
- c) Theorien über den (Mehr-)wert
- Einwand 3: Mehrwert ist gar kein Kriterium für die Produktion
- Einwand 7: Geh doch erstmal arbeiten!
- Einwand 9: Kommunismus widerspricht der Natur des Menschen
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Fortsetzung von Marx ist Murks Teil 1
Meine Behauptung in Teil 2 war, dass in der kapitalistischen Produktionsweise der Arbeitsplatz immer notwendig den Anforderungen des Verwertungsprozesses angepasst wird, ihnen also untergeordnet ist. Aus investiertem Geld muss mehr Geld werden, sonst taugt der Arbeitsprozess nicht zur Vermehrung von vorgeschossenem Kapital (Teil 2/Argument 4). Ob die Unternehmung auch wirklich klappt, ist nicht von vornherein ausgemacht (Teil 2/Argument 3). Wenn der Arbeitsplatz keinen Mehrwert - bzw. strenger gesagt: nicht genug davon (vgl. Replik 1/Einwand 3/Punkt c) - abwirft, dann werden Angestellte entlassen, oder der Arbeitsplatz wird angepasst ("Rationalisierung").
Bei dieser Anpassung kann es passieren, dass sie sehr unschön für die Arbeiter ausfällt und dabei alle möglichen Interessen, die man an einen Arbeitsplatz überhaupt nur stellen könnte (sozial und intellektuell bereichernd, körperlich und geistig schonend, gesellschaftlich relevant und verträglich, etc.), von vornherein unberücksichtigt bleiben müssen, bzw. nur dann berücksichtigt werden, wenn solche Privatzwecke der Angestellten dem Primärzweck des Kapitals nicht allzu hinderlich im Wege stehen. Es gibt Leute, denen erscheint diese systematische Grundlage, auf der die gesamte kapitalistische Produktion stattfindet, als das natürlichste von der Welt:
Selten so gelacht. In der realen Welt will der Arbeiter seine Arbeitsstunden nur möglichst gut vergütet haben. Das mit den gesellschaftlichen Nutzen [als eines der möglichen Interessen, die man an einen Arbeitsplatz herantragen könnte; Anm. des Autors] ist eine völlig andere Denkweise, die meist erst kommt, wenn die eigenen Bedürfnisse schon übererfüllt werden können.
Forist "Nützy"
Das ist ein reichlich seltsamer Befund. Er bestätigt einerseits indirekt, aber ohne weiteres Aufhebens, das Gesagte - ja die Arbeitsplätze sind halt so wie sie nun einmal sind, keine Gegenrede -, findet aber andererseits wohl auch nichts weiter dabei.
Dass es den Arbeitern nur auf den Lohn ankommt, ist der selektiven Wahrnehmung des Foristen geschuldet (Stichwort: Bullshit Jobs). Sonst würde der Jammer über die Arbeit im bürgerlichen Alltag nicht eines der maßgeblichen Gesprächsthemen sein. Fast jeder weiß ein Liedchen davon zu singen, wie ungemütlich es am Arbeitsplatz ist, weil der blöde Chef mal wieder beschlossen hat, an relevanten Ausgaben zu sparen.
Aber was heißt denn bitte schon "relevant"? Relevant für wen? Dem Arbeiter mögen manche Ausgaben in puncto Aufwertung des Arbeitsplatzes zwar vielleicht relevant erscheinen, aber sie sind eben nicht relevant für das betriebliche Gewinninteresse, und darauf kommt es maßgeblich an. Ob auch andere Interessen unter die Räder fallen, ist doch egal. Wie eng dabei kalkuliert wird, auch in erfolgreichen Großbetrieben, zeigen eindrücklich die Pleitenwelle und der enorme Subventionsaufwand im Zuge der Corona-Maßnahmen. Von starken Rücklagen, einem soliden, finanziellen Pölsterchen für Notlagen wie diese, kann keine Rede sein - weder auf der Seite der Unternehmer, noch auf der Seite der Lohnempfänger.
Vom Standpunkt des Verwertungsprozesses müssen halt weitestgehend alle Einnahmen in die permanente Aufrechterhaltung der betrieblichen Konkurrenzfähigkeit reinvestiert werden, je umkämpfter der Markt, umso mehr, sonst geht man eben unter. In manchen Branchen mag es schlimmer zugehen als in anderen, aber im Allgemeinen gesprochen, hat der durchschnittliche Arbeiter von Jobs unter solchen Bedingungen nicht viel zu erwarten, und nicht einmal die "möglichst gut vergüteten Arbeitsstunden" retten einem den Arsch. Die gegenwärtige Krise hält uns auch ganz empirisch und jenseits aller Theorie vor Augen, dass die Löhne gerade so ausreichen, um die Arbeitsfähigkeit des Arbeiters, welches das Mittel des Kapitals zu seiner Verwertung ist, bis zum nächsten Lohnempfang zu gewährleisten.
Bevor jetzt der Gegeneinwand kommt, dass es auch unbezweifelbar gute Jobs im Kapitalismus gibt. Ja, die gibt es. Dann hat mal halt Glück gehabt, dass sich das Gewinninteresse mit dem Interesse des Angestellten deckt. Kann passieren. Gemeint sind in den obigen Ausführungen natürlich nicht solche prekären Berufsstände, in denen zwar auch konkret gearbeitet wird, aber nicht für den Markt produziert wird (z.B. Beamte, Professoren, Priester, Politiker etc.) und die insofern nicht völlig und bestenfalls nur am Rande von Rentabilitätskalkulationen durchdrungen sind. Budgetfragen spielen zwar auch dort eine wesentliche Rolle, aber sie sind nicht unmittelbar an die Erzeugung eines Mehrwerts bei sich gekoppelt, sehr wohl aber an die Erzeugung eines Mehrwerts bei anderen, aus dem sich besagtes Budget direkt oder indirekt speist. Solche Berufe im Forum bitte nicht als Gegenbeispiel anführen. Das ist geschenkt.
Ein Forist mit sozialdarwinistischen Anwandlungen meint, es sei ja wohl überhaupt eine anmaßende Frechheit, irgendwelche Ansprüche an den eigenen Arbeitsplatz stellen zu wollen:
Die archaische Grundregel hinter dem menschlichen Dasein lautet: Wenn du nicht arbeitest, dann stirbst du! Und sei es, dass du nur völlig nonkonformistisch-antikapitalistisch-konsumabgekoppelt deinen scheißveganen Gemüsegarten beackerst. Du musst halt etwas tun. Wer sich nicht rührt und dahinvegetiert wird, naturgegeben, selbst zum Gemüse.
Forist "BerberJesus"
Zum einen ist das kontrafaktisch. Die verblassende Existenz eines Sozialstaats11 zeigt ja sehr wohl, dass es beim gegenwärtigen Stand der Produktivkräfte ein Leichtes ist, Millionen von Mitmenschen, die nicht mehr oder noch nicht arbeiten können, mitzuversorgen. Technisch ist das also ohne weiteres machbar.
Die politische Frage wäre, nach welchen Kriterien man den Aufwand und Ertrag von Arbeit auf die Gesellschaft verteilt, ob dies zum Beispiel zwangsläufig einer Geldrechnung genügen muss oder sich nicht auch sozialere Maßstäbe finden lassen. Auch die Frage, welcher Einsatz von Arbeit gesellschaftlich überhaupt nötig ist, wird vom Foristen nicht gestellt. Das Bankenwesen, die gesamte Werbebranche und etliche andere Sektoren binden immense Arbeitskraft, die vom Standpunkt des Kapitals zwar sehr wohl nötig, für die technische Seite der Güter- und Leistungsversorgung aber absolut irrelevant sind. Die Naturgesetze gehorchen nicht den Befehlen des Geldes. Um sie zu beherrschen und anzuwenden, braucht es letzteres nicht.
Die gleichmäßige Verteilung der aus überflüssigen Sektoren freizusetzenden Arbeitskräfte auf die anderen, gesellschaftlich relevante Sektoren würde jedenfalls diejenigen entlasten, die fortwährend über ein Zuviel an Arbeit und mangelnde Freizeit klagen. Darüber hinaus gibt es Millionen von Menschen, die zwar nur allzu gern arbeiten wollen und können, aber gar nicht dürfen, weil sich kein lohnendes Interesse an der Verwertung ihrer Arbeitskraft findet. Wenn man auch diesen eingemotteten Arbeitskräften, die sich frustriert darüber beklagen, sich ausgegrenzt und deshalb als unnütz zu empfinden, Zutritt zum gesellschaftlichen Produktionsprozess gewähren würde, könnten insgesamt alle Menschen viel besser davon leben, als wenn jeder der "archaischen Grundregel des menschlichen Daseins" folgt und allein für sich kämpft. Es ist jedenfalls eine bodenlose Frechheit, zu unterstellen oder anzudeuten, dass Menschen, die den Zweck der Arbeit im Kapitalismus hinterfragen, vom Foristen als solche vorstellig gemacht, die sich vor Arbeit drücken wollen würden, im übertragenen Sinne also Schmarotzer sind.
Zum anderen wird Arbeit im Kapitalismus als Mittel für das Überleben vorstellig gemacht. Sie ist jedenfalls kein Mittel für die Arbeiter, um sich zu bereichern, sonst würden sich auch nicht so viele darüber beschweren, dass am Ende des Geldes zu viel des Monats übrig ist. Dass das so eingerichtet ist, ist überhaupt die Geschäftsbedingung des gesamten Niedriglohnsektors. Der Lohn reproduziert also im Gegenteil fortwährend die Notlage, um den Arbeiter als verfügbare Arbeitskraft und somit als Mittel der Bereicherung durch andere zu erhalten. Dazu mehr ab Teil 3 der Serie.
Wer für fünf Minuten mal Abstand nimmt von seiner anti-kommunistischen Hetze, wird sich das auch selbst schnell eingestehen:
Dass man die Quellen des Einkommens, mit der man Güter kaufen kann, nicht kontrolliert, ist ein Fakt.
Forist "Nützy"