Der Mehrwert ist überhaupt kein Rätsel

Marx ist Murks. Die Diskussion mit den Foristen geht in die nächste Runde - Teil2

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Vorab: Es handelt sich in den folgenden Ausführungen um die Besprechung der Lesereinwürfe zu der Artikelserie "Was spricht für den Kapitalismus?". Berücksichtigt werden Einträge, nur sofern sie bis 09.09.2020 für die Foren von Teil 1 (Der Kapitalismus schafft nützliche Güter), Teil 2 (Der Kapitalismus schafft Reichtum) oder die bisherige Replik (Marx ist Murks - Teil 1) vorlagen.

Das Forum ist zur Klärung von Begriffen und Zusammenhängen da, so ist es jedenfalls meines Erachtens gedacht. Es ist doch hilfreich, dass es solch eine technologische Möglichkeit gibt, zielgerichtet, auf gemeinsame Klärung sinnend, über große Distanz miteinander in Kontakt zu treten. Wenn man schon den Fortschritt im Kapitalismus so unbedacht abfeiert, dann sollte man auch angemessenen Gebrauch davon machen. Deshalb eine Bitte an die Foristen: Bleibt bei den von mir vorgebrachten Themen. Ich fordere euch ernsthaft auf, euch in euren Beiträgen weitestgehend auf den Text zu beziehen - anstatt gegen Strohmänner und Unterstellungen zu wettern - und eure Argumente offen und unaufgeregt vorzubringen, um sie in Ruhe und Sorgfalt zu diskutieren.

Ich habe - zumindest in diesem Kontext - kein großes Interesse, Themen zu diskutieren, die von den Inhalten meines Artikels abweichen. (Auch wenn sie immer wieder eingeworfen wird, gehe ich z.B. nicht auf Frage ein, wie die zukünftige Gesellschaft beschaffen sein MÜSSTE, sondern bin zunächst einmal nur daran interessiert, wie die Gesellschaft laut Marx tatsächlich gegenwärtig beschaffen IST. Man muss sich schon über Letzteres einig sein, um über Ersteres vernünftig diskutieren zu können.)

Etliche Leser arbeiten sich nur an den Überschriften oder am Fazit ab. Sie haben klarerweise kein einziges Wort gelesen und schreiben gegen Dinge an, die so gar nicht behauptet wurden, oder sie werfen mir vor, über dieses und jenes nicht gesprochen zu haben, obwohl in meinem Text klar und deutlich davon die Rede ist, usw. Aus meiner Bereitschaft heraus, mich überhaupt den Gegenargumenten in einer Replik zu stellen, ist noch lange kein allgemeiner Anspruch ableitbar, der irgendwie besagt, ich müsse jeden herbei assoziierten Unsinn berücksichtigen. Nun denn, lasst uns in der Diskussion einen seriösen Neustart wagen.

Einwand 2: Der Mehrwert ist überhaupt kein Rätsel

(Fortsetzung von Teil 1.

"In der beobachtbare Realität kann durch bloßes Kaufen und Verkaufen ein Mehrwert erzeugt werden. Es gibt ganze Berufsstände, die darauf basieren, Händler, Auktionatoren etc." (Forist "Nützy")

Seltsam, als Quelle des Mehrwerts auf das Handelskapital zu verweisen, wo doch genau dessen Kalküle in Teil 1 der Artikelreihe aus dort genannten Gründen explizit ausgeklammert wurden. Vom Standpunkt der Marxschen Theorie kann man diese Sphäre gar nicht vernünftig verstehen, ohne zuvor die Logik des produktiven Kapitals begriffen zu haben. Und einzig über diese Sorte des produktiven Kapitals soll in der gesamten Artikelserie die Rede sein. Ich will hier ja schließlich nur den ersten Band vorstellen.

Deswegen auch noch mal die explizite Bitte an etliche anderen Foristen, die in ihrer Diskussion ständig "den tendenziellen Fall der Profitrate" ins Spiel bringen. Das hat hier rein gar nichts zu suchen. In der Ableitung von Marx ist das ein Thema für den 3. Band, aber bis dahin ist ein weiter Weg, den man vollständig gehen sollte, ohne gewichtige Teile zu überspringen. Da muss man sich kleinschrittig hinarbeiten. Dabei gilt es, viele theoretische Stolperfallen zu umgehen. Das kann man nicht einfach so einwerfen, weil es einem irgendwie bei der eigenen Argumentation helfen soll, denn sonst ist es einfach nur eine schnöde Behauptung und hat mit einer Beweisführung nicht das Geringste zu tun. Ähnlich geht es mit vielen anderen Versatzstücken der Theorie, die dem Namen nach aufgegriffen und dann assoziativ mit beliebigem Inhalt ausgefüllt werden.

In der Frage nach dem Wert eines Dings versuchen einige Foristen, mit Beispielen und Argumenten den Standpunkt zu verteidigen, dass es sehr wohl der Nutzen ist, welcher den Wert vollständig bestimmt. Und vollständig muss es schon sein. Denn wenn man einlassend zustimmt, dass der Wert der Produkte W multikausal bestimmt ist, sich also z.B. wertmäßig zusammensetzt aus einem Anteil ins Produkt eingehender Arbeit A und einem vom Produkt gestifteten Nutzen N - kurz: W = A + N -, dann muss man sich eben auch eingestehen, dass es sich für den Anteil A weiterhin so verhält, wie Marxisten es stets zu beanstanden haben.

Man müsste dann aber auch zusätzlich, und das ist noch viel aussichtsloser, ein Gesetz herausarbeiten, welches das Verhältnis von A zu N charakterisiert, d.h. ihre Bewegungsgesetze zum Inhalt hat. Das ist für die Vertreter einer Nutzenwertlehre insofern ein Problem, als dass bei den Bewegungsgesetzen für den Anteil A, die sie für solche eine Theorie anstellen müssten, um die Marxsche Erklärung nicht umhin kämen. Man würde dann jedoch, nach dem Lernen der Argumente für den Anteil A, unmittelbar mit dem Umstand konfrontiert, dass der Wert W bereits vollständig durch A erklärt werden kann. Insofern sind Kompromisslösungen nicht angebracht. Die Nutzenwertlehre vertritt man entweder ganz oder gar nicht. Wenn sie überhaupt etwas erklären soll, dann soll sie bitte schön alles erklären. Legt im Forum eure stärksten Argumente auf den Tisch.

a) Arbeitsmehrwertlehre ist unvollständig

Es ist bekannt, dass auf dem Kunstmarkt Werke gehandelt und bei Auktionen Preise erzielt werden, welche diejenigen aller Produkte handwerklicher Erzeugnis um ganze Größenordnungen überschreitet. Wäre es also wahr, wie die Marxisten sagen, dass der Wert einer Ware sich durch die darin eingebrachte Arbeit bestimmt, dann dürften doch handwerkliche Tätigkeiten kaum schlechter entlohnt werden als künstlerische. Aus der Patsche helfen letztlich nur zwei Auswege. Die Kalkulationen auf dem Kunstmarkt zu einem abgeleiteten Sonderfall zu erklären, was ich beiläufig tat. Oder umgekehrt auf die vollkommene Gleichartigkeit beider Märkte und insofern dem festgestellten Widerspruch zu beharren:

Den Kunstmarkt zum Sonderfall zu erklären, macht es zu einfach. Wenn die Theorie von Angebot-und-Nachfrage die Preise zufriedenstellend erklärt, sowohl auf den Kunst- als auch auf sonstigen Märkten, dann ist diese Theorie offensichtlich mächtiger als die vom Mehrwert.

Forist "Nützy"

Ein paar Nachfragen:

(1) Wieso sollte eine Theorie ganz prinzipiell keine Sonderfälle enthalten dürfen, die sie separat von der Haupttheorie erklärt, bzw. unscheinbar aus letzterer nachträglich ableitet? Es kommt halt ganz drauf an, wie sie dies rechtfertigt. Und diese Rechtfertigung muss man dann auch noch inhaltlich genau kennen, um die darin vorgebrachten Fehler sorgsam herauszuarbeiten. Sonst hat man doch außer dem eigenen Vorteil überhaupt keine Entscheidungsgrundlage für eine sachgemäße Beurteilung und Zurückweisung einer vorgebrachten Theorie. Welche Fehler wären das?

(2) Woher kommt die Gewissheit, dass Marx bei seinen Erläuterungen auf das Konzept von Angebot und Nachfrage gänzlich verzichtet hat?1 Dies tat er keineswegs:

Es gib [...] Beispiele von Angebot und Nachfrage [...], denen auch ein Marxist zustimmen würde. Vieles von dem, was am Finanzmarkt geschieht, basiert auf Angebot und Nachfrage. Insbesondere Bodenspekulation ist so ein Ding, denn mein Boden hat natürlich keinen direkten Wert im Sinne des Wertgesetzes Was mein Boden wert ist, hängt von der zahlungsfähigen Nachfrage ab. Diese Nachfrage wiederum hängt vor allen Dingen davon ab, was der Bauherr meint, für Mieten aus seinem Haus später herauspressen zu können. Und diese Mieten hängen damit zusammen, wie viel in der Region wirtschaftlich läuft. Jeder kennt das doch, dass ein Haus auf dem Land billiger zu haben ist als in der Stadt. Das kommt eben daher, dass hier der Boden billiger ist.

Forist "Gegenstandpunktleser"

Hieraus sollte klar werden: Marxisten erklären den Bodenpreis, ohne mit der Wimper zu zucken, durchaus mit Angebot und Nachfrage. Es handelt sich hier insofern um einen Sonderfall der Warenwelt, als dass der Boden gar kein Produkt von Arbeit ist, diese also nicht wertsteigernd auf ihn eingewirkt hat. Was beim Boden bezahlt wird, ist im Grunde nichts anderes als eine Nutzungslizenz, ein Rechtstitel. Natürlich kann der Boden zwar Arbeit in sich aufsaugen und ihn dadurch aufwerten, z.B. indem er vor Verkauf bearbeitet wird. Doch diese zusätzlich am oder auf dem Boden vollzogene Warenproduktion/Dienstleistung (z.B. Bodenreinigung, Hausabriss, Hausbau, Pflasterung, Landschaftspflege, Verlegung von Kommunikations- und Sanitätsinfrastruktur etc.), die oft mit dem Boden im Verbund verkauft wird, trägt nicht zum Bodenpreis bei. Sie ist als vom Boden getrennte, zweite Ware anzusehen, die ihren eigenen Wert hat. Beim Wechseln des Eigentümers werden beide Bestandteile, Boden + vorausgegangene Bearbeitung, jedoch oft im Verbund verkauft und können auf diese Weise die Illusion nähren, dass es sich um eine einzige Gesamtware handelt, deren Preis sich eben auch nur in einer einzigen Zahl äußert. Man sollte nicht den Fehler machen, sie miteinander zu verwechseln und zu vermengen. Beide Preisanteile haben ihre jeweils eigenen, voneinander getrennt zu erklärenden Bewegungsgesetze.

Der Sonderfall, den der Bodenpreis darstellt, ist jedoch inhaltlich nicht völlig losgetrennt vom Arbeitswert. "Gegenstandpunktleser" hat den Zusammenhang bereits angedeutet. Der Verkäufer des Bodens sucht unter den politisch vorgeschriebenen Nutzungsarten (Wohnen, Gewerbe, Industrie etc.) einen möglichst hohen Preis zu erzielen. Die Käufer zahlen ihn in der Regel entweder aus ihrem Lohn oder aus den Einnahmen einer Geschäftstätigkeit. Sowohl der Lohn als auch der geschäftliche Ertrag, mit deren Höhe die potentiellen Käufer um das Grundstück konkurrieren, werden ihrerseits sehr eindeutig durch den Marxschen Arbeitswert erklärt. Insofern spielt er in die Erklärung des Bodenpreises letztlich doch hinein und dann sogar maßgeblich, was sich zu Beginn - als "Sonderfall" - überhaupt gar nicht so darstellte. Auf das Beispiel Detroit, an dem sich diese Effekte sehr schön bebildern lassen, werden wir noch in Teil 5 der Artikelserie zu sprechen kommen.

Wenn "Nützy" von seinen Gegnern eine Theorie ohne Sonderfälle einfordert, d.h. eine Theorie aller Preise, die jeden Preis nach derselben Weise erklären können muss, dann kann er sich gern selbst dran versuchen und uns die Früchte seiner Überlegungen zur Prüfung vorlegen. Allein mit Angebot und Nachfrage lassen sich die Preisbewegungen auf dem Super-, Kunst-, Militär-, Finanz-, Boden- und Schwarzmarkt (z.B. Hehlerware, Kokain) nicht erklären.

Erst wenn man vor sich selbst zugibt, dass all die obigen Szenarien gewichtige Unterschiede zueinander aufweisen, z.B. unterschiedliche Typen von Akteuren unterwegs sind (z.B. Supermarkt: Lohnarbeiter; Kunstmarkt: Reiche; Militärmarkt: Staaten), kann man erkennen, dass die Auslagerung von Sonderfälle aus einer gegebenen Theorie nicht nur möglich, sondern gegebenenfalls sogar inhaltlich geboten ist. Es wäre geradezu theoretisch fahrlässig, sie nicht als erklärungsbedürftige Sonderfälle anzuerkennen, sondern per fehlerhafter Verallgemeinerung in ein gemeinsames Schema pressen zu wollen, dem sie unmöglich alle gleichermaßen gerecht werden können.

Bitte nicht missverstehen. Umgekehrt taugt es sicherlich nichts, jede einzelne Ware als Sonderfall für sich zu proklamieren. Dem widerspricht der empirische Fakt, dass einzelne Akteure sich darin über verschiedene Warengruppen hinweg - z.B. als Mischkonzern - sehr zielstrebig zum eigenen Vorteil bewegen, also ganz genau wissen, was sie tun, weil das, was sie tun, eine systemische Grundlage hat.

Sollte "Nützy" es tatsächlich schaffen, in seinem noch vorzulegenden Ansatz eine alternative Ursachen der Preisbewegung zu finden, müsste er im Anschluss, damit das Ganze nicht bloß eine Behauptung bleibt, noch einiges erklären, was Marx für seine Theorie bereits geleistet hat:

• Wie übersetzen sich die involvierten Bestimmungsgrößen - Plural, falls es mehrere sind - quantitativ in den jeweiligen Preisanteil? • Wie sind die Bewegungsgesetze des Preises als Reaktion auf die Änderung der involvierten Bestimmungsgrößen? Will sagen, wodurch erklären sich die offensichtlich existenten Preisschwankungen? • Wodurch ist das Verhältnis der verschiedenen Preisanteile zueinander geregelt? • Was ist das Bewegungsspektrum der Bestimmungsgrößen des Preises, sozusagen ihre Randfälle (sofern vorhanden) und in welchen Preisober- und Untergrenzen äußert sich dies?

"Nützy" erläutert seinen Vorwurf an anderer Stelle:

Diese Argumentation ist nicht nur unlogisch, sie widerspricht auch dem Vorgehen in den Wissenschaften wie z. B. der Physik. Wenn ich eine Theorie aufstelle, deren Anspruch es ist, allgemeingültig, universell, zu sein, dann muss sie selbstverständlich auch in Extremszenarien gültig sein und wenn sie das nicht ist, dann beweist das, dass sie nicht allgemeingültig ist.

Forist "Nützy"

Methodologisches: Was machen Wissenschaftler, wenn sie in ihren Theorien ein unliebsames Gegenbeispiel finden? Werfen sie die gesamte Theorie einfach so über Bord? Nun, das kommt ganz auf das Gegenbeispiel an. In der Regel agieren sie weniger überhastet, und versuchen zunächst zu ergründen, was die Besonderheit des Gegenbeispiels ausmacht, wie es sich zu den bisher gültigen Beispielen verhält, wie groß die Menge der Gegenbeispiele ist, ob und wie die Theorie geringfügig angepasst werden könnte, um die Gegenbeispiele doch noch sachgemäß einzugemeinden usw. Das ist die reale Praxis der Wissenschaft. Das macht man sogar in der Mathematik nicht anders, die in ihrer Theoriebildung ansonsten unter allen Disziplinen am aller strengsten das Gebot des Gegenbeispiels beachtet. Lakatos spricht in solchen Fällen, wo das Kind gleich mit dem Bade ausgeschüttet zu werden droht, ganz zurecht von "naivem Falsifikationismus".2

b) Fiktion als Einwand gegen Wissenschaft

Ich fragte in meiner letzten Replik, eher rhetorisch als ernsthaft interessiert, ob eine Packung Kartoffelchips so teuer werden kann wie eine Luxusvilla? Hier ein kleines Best Of der Antworten, die ich den Lesern nicht vorenthalten möchte:

Kann sie. Ist zwar extrem konstruiert [!!!], aber es geht: Kartoffelchips sind Nahrung; eine Villa nicht. Angenommen, es herrscht extreme Nahrungsmittelknappheit und ein Baby ist kurz vor dem Verhungern. Nahrungsnachschub ist in Sicht, aber das Baby hat zu wenig Fettreserven bis dahin. Die Kartoffelchips würden es retten und die Zeit überbrücken. Was würden die Eltern tun? Die Villa gegen eine Packung Chips tauschen?

Forist "so_ist_es"

Schön, dass er seiner Antwort, die doch immerhin als Gegenargument herhalten soll, wenn sie nicht bloß ein Widerwort um des Widerworts halber sein will, direkt das Eingeständnis voraus schickt, dass er es selbst für so ziemlich unmöglich hält ("extrem konstruiert"). Noch besser ist folgende Antwort:

Ja, aber selbstverständlich [!!!] ist das möglich! Die Netflix Serie Space Force illustriert das sehr anschaulich [!!!] in der dritten Folge der ersten Staffel. Bei Minute 22:05 geht‘s los. Es geht dort zwar nicht um Kartoffelchips zum Preis einer Luxusvilla, aber um eine Orange für 10.000 $. Reicht das?

Forist "tititata"

Nein, das reicht überhaupt nicht. Wenn irgendwas, dann beweist das Beispiel doch wohl eher meinen Punkt. In den Dingern muss halt ordentlich Arbeit drin stecken, damit sie etwas kosten. An dem Beispiel ist so ziemlich alles verkehrt: Ich geh nur auf einen Aspekt ein, die Preiszusammensetzung. Was dort bezahlt wird, ist nicht mehr die Orange allein, sondern die Orange im Weltall. Und das ist alles andere als identisch. Von den 10.000 $ geht bestenfalls 1 $ auf die Orange, der Rest entfällt auf den technisch anspruchsvollen Transportdienst in die Erdumlaufbahn. Der ist vor allem so teuer, weil sehr viel Arbeit, vor allem teure wissenschaftliche Arbeit, in die Produktion des Vehikels eingegangen ist. Eigentlich selbst ohne Marxkenntnisse eine Trivialität.

Die polemischen Repliken auf die obigen Einfälle haben mich jedoch nicht minder belustigt, aber aus dem gegenteiligen Grund. Sie sprechen mir aus der Seele:

In der Zeit der Belagerung von Leningrad wäre es möglich gewesen, dass man den Anbieter der Kartoffelchips zu Wurst und Schinken verarbeitet, aber nicht mal ein kleines Haus mit Keller dafür hergegeben hätte. Warum bewaffnen sich Prepper? Weil sie das viel realer einschätzen, als einer der glaubt, Marx widerlegen zu können.

Forist "EchtLinks"

Und was würde der verdurstende König nicht alles für ein bisschen Wasser hergeben?

Ich habe diese Geschichte mit dem Wasserglas in der einsamen Wüste nie verstanden. Wenn ich stärker bin als der Wasserverkäufer, so raube ich ihn aus. Bin ich schwächer, so hat er auch kein Grund, mir das Wasser zu verkaufen und raubt mich aus. Die Wüste ist kein Markt. Ich hätte jedenfalls keine ethischen Bedenken jemanden zu überwältigen, der mich mit Wasser in der Wüste erpresst.

Forist "Gegenstandpunktleser"

Ein Königreich für ein Pferd" ist eben nicht der ortsübliche Preis, wenngleich er auch manchmal gezahlt wird. Insofern ist ein abweichender Preis nie ein Einwand gegen die Arbeitswertlehre, zumal die nie den Zweck hatte, Preise zu berechnen.

Forist "jsjs"

Ein Königreich für einen Flaschenöffner. Wasser in der Wüste. Beispiele für die völlige Abwesenheit von Märkten.

Forist "Werner213"

Bei der Konstruktion von Gegenbeispielen, zumal fiktiven, sollte man sich schon auch immer sorgfältig überlegen, inwiefern sie das zu Besprechende ausreichend realistisch abbilden. Ansonsten hält man der Realität seine eigene Einbildung als Einwand entgegen. Wie oft ist es denn vorgekommen, dass ein König in die Wüste kam und dort um Wasser feilschen musste? Ein paar solche Fälle sind tatsächlich historisch dokumentiert (z.B. Kambyses II, Alexander der Große und etliche Wüstenfeldzüge der Ägypter in Richtung Libyen und Nubien), aber die sind empirisch einfach völlig anders verlaufen, als solche Beispiele es vorstellig machen.

Es handelte sich um Wüstenfeldzüge. Der König kam nicht als Eremit, sondern mit der jeweils zu seiner Zeit modernsten und schlagkräftigsten Armee dorthin. Solche militärischen Expeditionen wurden unternommen, um das jeweilige Reich größer zu machen. Das Reich oder auch nur Anteile davon standen nicht als Tauschmittel gegen Wasser zur Disposition. Was das Wasser angeht, so hatte die Armee jeweils ihre eigene sorgfältig aufgebaute Logistik, die für einen regelmäßigen Nachschub sorgte. Bei der historischen Nacherzählung berühmter Wüstenfeldzügen ist die Wasserversorgung immer ein explizites Thema, weil sie das Kernstück des Unterfangens darstellt. Sie wird mit den ortsansässigen Wüstenbewohnern, welche die geografische Verteilung der Oasen kennen, vor dem Zug in die Wüste ausgehandelt. Natürlich vorher! Welcher fahrlässige Feldherr geht denn freiwillig in die Wüste, um erst dort dann überrascht festzustellen, dass er den entscheidendsten Punkt der gesamten Logistik total übersehen hat?

Alexander hat jedenfalls eindrücklich vorgemacht, was die wahre Verlaufsformen eines solchen Szenarios sind: Wenn das Wasser knapp wird, dann kostet ihn das rein nichts, schon gar nicht Anteile seines Reichs, sondern man lässt zunächst einmal diejenigen verdursten, die am entbehrlichsten sind: die meuternden Soldaten. Er selbst hat ganz sicher keinen Durst gelitten, auch nicht bei 40° im Schatten. Sein Proviant war niemals gefährdet. Er ist schließlich der König. Und ein König muss es für das Beispiel ja schon mindestens sein, damit es seinen Beweiszweck auch nur ansatzweise erfüllen kann, sonst hätte er in seinem Reisegepäck - z.B. den Staatsschatz - dem wasserhandelnden Beduinen ja rein gar nichts anzubieten, was diesen überhaupt interessieren könnte. Der hat doch schon alles in seiner Wüste zum freien Gebrauch herumliegen. (Von der berüchtigten Gastfreundschaft der Wüstenvölker mal ganz abgesehen, die eben deshalb nicht bloß ein Klischee war, weil sich die Bewohner ob der harschen Naturumgebung mit ihren Gästen solidarisieren.)

Derart erdachte wildeste Konstruktionen liegen manchem aus ideologischen Gründen näher als auf die naheliegendste Annahme zurückzugreifen, und sei es nur als Arbeitshypothese, um sie einmal ein Stück weit zu durchdenken.

Die Frage ist doch, ob diese Lehre [von Marx] nicht systematisch so aufgebaut wurde, um zu dieser Schlussfolgerung [gemeint: seine spezifische Theorie der Ausbeutung] zu gelangen.

Forist "Nützy"

Diese Frage sollte man sich selbst einmal gewissenhaft stellen.

Das folgende Zitat hat zwar nichts mit der Besprechung von Preis und Wert zu tun, bringt aber dieselbe Methodologie zur Anwendung - Kritik durch Fiktion - und soll daher als kleines Lehrstück dienen:

Setze 20 Jungen und Mädchen auf einer Insel aus, die reichlich Früchte hat, damit diese Kinder auch ohne Erwachsene überleben können und man würde beobachten können, wie sie sich auf bestimmte Aufgaben gemäß ihren Fähigkeiten und Neigungen spezialisieren [!!!] und wie sie beim aufkommenden [!!!] Tauschhandel sofort ein Gefälle schaffen werden und sei es nur deswegen, weil der eine 5 Stunden am Tag Früchte sammelt und diese dann gegen andere Sachen tauscht, und der andere lieber lange in der Lagune badet und am Ende nur wenig zu Essen hat und dann anfängt sich zu beschweren, wie unfair die Welt doch sei.

Forist "DJ Doena"

Was ist denn das für eine Logik? Angenommen, wir würden ein Kasper-Hauser-Experiment nachstellen, aber nur angenommen, denn das wäre ja unmenschlich. Jedenfalls, angenommen, wir würden das machen, rein fiktiv, dann kann ich dir jetzt schon sagen, wie es 100%-ig ausgehen wird. Und weil das dann ja eh schon feststeht, brauchen wir es auch eigentlich gar nicht zu machen. QED.

Entgegen den Andeutungen des Foristen ist der Verlauf des Experiments jedenfalls alles andere als zwingend. Arbeitsteilung ist zwar eine notwendige, aber eben nicht hinreichende Bedingung für eine Tauschwirtschaft. Wenn getauscht werden soll, dann muss sie schon vorliegen, sonst könnte man sich die Produkte ebenso gut auch selbst machen. Aber umgekehrt muss, nur weil sie vorliegt, nicht zwingend Tauschhandel daraus werden.3

Es gibt in der Ethnologie eigentlich sehr viele Beispiele, wo letztere nicht stattgefunden hat, obwohl erstere vorlag. Und ich rede nicht etwa von urkommunistischen Dorfgemeinschaften, die ihre Isolation im Dschungel ganz weit jenseits der Zivilisation fristen, sondern von durchaus großen Reichen, die archäologischen Auswertungen zufolge einen Staat anders bewirtschaftet haben, als bloß durch den Tausch vermittelt. Das Paradebeispiel ist die multiethnische Inka-Monarchie, die eine Art Planwirtschaft (Stichwort: Mit'a-System) auf ihrem Territorium etabliert hatte. Ob sie das gut oder schlecht gemacht haben, ob es sich dabei um eine Art monarchistischen Kommunismus gehandelt habe, ist eine völlig andere Frage. Das Reich ist jedenfalls nicht an seiner Ökonomie zugrunde gegangen, sondern an überlegener Waffentechnologie und entschlossenem Eroberungs- und Zerstörungswillen aus Europa, welcher es auf die dortigen Gold- und Arbeitskraftreserven (Encomienda- und Hazienda-System) abgesehen hatte.

Ein anderes Beispiel ist Harappa-Kultur im Grenzgebiet des heutigen Indiens und Pakistans, die neben den Nil-, Jangtse- und Zweistromlandkulturen eine der ersten staatenbildenden Zivilisationen der Menschheitsgeschichte war. Ich will mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, aber der aktuelle Forschungsstand scheint der zu sein, dass es im Reich, dessen relativ große Ausdehnung man anhand der in den Ruinen vorgefundenen Architektur (z.B. einheitlicher Städtebau) abschätzen kann und welches mehrere Millionen Einwohner umfasste, eine große öffentliche Infrastruktur zur gemeinsamen Nutzung aller Bürger gab (z.B. Bäder monumentaler Größe und das erste großstädtische Kanalisationssystem weltweit). Die Bewohner des Harappa-Reichs, deren Namen wir nicht kennen (best guess: "Meluha"), sind, wie archäologisch belegt, über den internationalen Handel mit Sumer und anderen Regionen Asiens (Himalaya, indischer Subkontinent, arabische Halbinsel) zu großem Reichtum gekommen. Sie haben also nach außen hin schon gehandelt, sehr ausgiebig sogar, aber vermutlich nicht nach innen hin, denn dann hätten sich, wie "DJ Doena" richtig sagt, über die Jahrhunderte Vermögensunterschiede herausbilden müssen.

Nichts am Städtebau lässt jedoch erkennen, dass es eine Klassenbildung gab. Die Häuser waren in etwa gleich zugeschnitten. Es zeigt sich keine Reichtumsakkumulation in privater Hand, die sich in privaten Prestigebauten an exponierten Stellen ausgedrückt hätte. (Aber keine voreiligen Schlüsse: Vielleicht war Protzerei auch nur einfach moralisch verpönt.) Auch keinerlei Anzeichen von Herrschaftsarchitektur, wie sie sonst fast überall auf der Welt in dieser Entwicklungsstufe typisch war (Pyramiden, Zikkurate, Kolossalstatuen, Obelisken, Tempel etc.). Die verbreitete Abwesenheit von Wehranlagen deutet auf die Abwesenheit von (Bürger-)Kriegen hin, und hat wohl letztlich den Untergang beim Einmarsch der Arier besiegelt, der durch katastrophal veränderte Umweltbedingungen (Wüstenbildung) schon Jahrhunderte vorher seinen Anfang nahm. Die Überlebenden und ihre Nachkommen haben sich über den Subkontinent verstreut und sind vermutlich als niedere Kasten in die hinduistische Gesellschaft eingemeindet worden.

c) Theorien über den (Mehr-)wert

In einer zu naiven Arbeitswertlehre, stellt sich natürlich und zurecht die Frage, warum gewöhnlich teure Waren (z.B. Gold) selbst dann für hohe Geldbeträge verkauft werden können, wenn kein Arbeitsaufwand in ihre Produktion verausgabt ist, z.B. weil das Produkt zufällig irgendwo ("am Wegesrand") gefunden ("vom Laster gefallen") oder es einem geschenkt wurde. Oder umgekehrt formuliert: Warum wird ein Produkt nicht dadurch automatisch teurer, indem man bewusst mehr sinnlose Arbeit in seine Fertigung investiert?

Der Aufwand für unter Wasser mundgeschnitzte Schachfiguren ist sehr viel größer als für normale Schachfiguren. Der Nutzen, nämlich die Möglichkeit, damit Schach zu spielen, ist gleich.

Forist "deedl"

In diesem Szenario wurde der Aufwand zur Fertigung maximiert, während Nutzen und Preis konstant geblieben sind. Der Schluss, der daraus gezogen wurde, ist naheliegend, aber falsch: Der Preis müsse vom Nutzen abhängen. Jedoch ist das genau die Illusion, vor der Marx bereits auf den ersten Seiten warnt.4 Es ist nicht der individuelle Aufwand, auf den es bei der Produktion im Hinblick auf die Wertbildung ankommt, sondern der gesellschaftlich notwendige. Man könnte auch so sagen: Woher soll denn der Käufer überhaupt wissen, wie viel Arbeit im Produkt steckt? Das sieht man dem Produkt in der Regel nicht an - es gilt sogar als Betriebsgeheimnis - und spielt im Hinblick auf den Nutzen auch keine Rolle.5 Ob die Schachfiguren nun unter Wasser mundgeschnitzt oder vom Drechsler an einer Drehbank im Massenfertigungsverfahren hergestellt, ist völlig wurscht für das Bedürfnis, damit Schach zu spielen.

Der gesellschaftlich notwendige Aufwand für die Produktion hängt maßgeblich vom Stand der Produktivkräfte (Maschinen, Know-how etc.) ab.6 Je fortgeschrittener die Produktionsmethoden, desto weniger Aufwand entfällt auf die Produktion jedes einzelnen Warenstücks, umso mehr Stück können in gleicher Zeit, d.h. bei gleichem Aufwand, hergestellt werden, umso billiger wird nach und nach jedes einzelne von ihnen. Natürlich steigt damit auch gleichzeitig die Verfügbarkeit dieser Dinge, die nun in Überzahl produziert werden können. Das nährt direkt die nächste Illusion, dass ihr Verkaufspreis allein von dieser Verfügbarkeit, sprich von Angebot und Nachfrage abhängt:

Das Beispiel mit dem Klumpen Gold ist schon mal Unsinn [...]. Maßgeblich für den Wert einer Sache ist nämlich nicht der Produktionsaufwand [...], sondern schlicht die Tatsache, wie viel Menschen bereit sind, dafür zu zahlen. Und das hängt von der Verfügbarkeit (also wie selten oder häufig das Gut ist) und davon ab, wie notwendig das Gut benötigt wird.

Forist "mi fhein"

Wenn aber die Verfügbarkeit des Produkts mit der Senkung des Produktionsaufwands notwendig parallel einhergeht (außer die Ressourcen gehen zuneige), wie kann man sich dann so sicher sein, den Aufwand vollständig und ohne nähere Begründung als Substanz des Werts ausschließen zu können, zumal er ja ursächlich für die Verfügbarkeit ist? Ist das nicht ein wenig überhastet?

Ich schrieb, dass die VWL mit Angebot und Nachfrage zwar die Gesetze der Preisbewegung bebildern kann, aber nicht erklären kann, um welche Grundhöhe (= Wert) der Preis schwankt.

Die VWL berücksichtigt das indirekt schon, denn der Anbieter der Feuerwaffe, hat immer im Kopf, was ihn die Produktion der Waffe gekostet hat. Diese Kosten zu ermitteln ist eine Domäne der BWL. Die Untergrenze des Angebotes dürfte also bei der Summe liegen, die die Produktion der Waffe kostete. So kommt vermutlich das geheimnisvolle Fundament des Angebots ins Diagramm [= die untere Schwankungsgrenze des Preises, Anm. des Autors]. Auf diese Summe wird der Produzent einen Gewinn schlagen wollen. Also Preisangebot = Kosten + Gewinn. Die Konkurrenz muss eine ähnliche Rechnung aufmachen. Ist ihre Produktion ähnlich, ergibt sich dadurch ein ähnliches Preisniveau.

Forist "SoShy"

Die Wahrheit: So rechnet tatsächlich jeder BWLer. Für die Praxis muss man auch nichts weiter wissen - das aber schon. Die einzelnen Kosten genau aufzuschlüsseln, und damit einen effizienten Umgang zu finden und in einen Konkurrenzvorteil zu wenden, ist tatsächlich insofern, aber auch nur insofern, eine eigene Wissenschaft.7 Sie scheitert jedoch daran, die Grundlagen ihres Forschungsfeldes zu reflektieren. So wie oben wird ja tatsächlich in der BWL argumentiert: Wie erklärt sie den Preis? Durch einen anderen Preis. Und den seinerseits durch einen wiederum anderen Preis usw. Das ist reichlich zirkulär und gilt deshalb nicht umsonst als schlechte Wissenschaft. Die BWL hat zwar ihren pragmatischen Umgang mit dem Preis gefunden, weiß aber dadurch immer noch nicht, was er seinem Begriff nach ist, und braucht es für ihre Praxis auch nicht zu wissen.

Der Aufwand, Löcher für ein Regal an der richtigen Stelle in die Wand zu bohren, ist genauso groß wie der Aufwand, sie an die falsche Stelle zu bohren. Der Unterschied im Nutzen der Löcher ist aber enorm. [...] Wenn ich den ganzen Tag lang einen Stein im Kreis trage, dann ist das viel harte Arbeit, aber der Nutzen ist null.

Forist "deedl"

In diesem Szenario wiederum wurde bei gleich bleibendem Aufwand ("Löcher bohren") der Nutzen variiert (richtige vs. falsche Löcher). Der vorschnelle Schluss: Es wurde Arbeit aufgewandt, die aber gar nicht in Nutzen resultiert. Da aber "deedls" Meinung nach der Nutzen den Preis beeinflusst (s.o.), könne es nicht stimmen, dass verausgabte Arbeit Einfluss auf die Wertbildung hat. Der richtige Einwand dazu lautet:

Der konkrete Aufwand [für falsche und richtige Löcher, Anm. des Autors] wird mehr oder weniger identisch sein, egal, wo du die Löcher bohrst. Verkaufen wirst du die Ware mit den falsch gebohrten eher nicht. Marx betrachtet Waren. Also Gebrauchswerte, die eine nützliche Seite haben.Und stellt im Übrigen auch fest, dass der Aufwand für nicht verkaufte Waren gesellschaftlich nicht zählt.

Forist "jsjs"

Mit anderen Worten: Ein Produkt, das für niemanden ein Bedürfnis erfüllt, kann vom Standpunkt des Marktes als nicht-existent betrachtet werden. Es hat dort nichts zu suchen, weil es dort niemand haben will. Die Ware muss schon ein Gebrauchswert sein, also einen Nutzen befriedigen - letztlich egal welchen, Hauptsache sie eignet sich dafür8 -, sonst ist sie eben keine und fällt aus seiner Analyse raus. In den obigen Beispielen (falsche Löcher bohren; Steine im Kreis schleppen) ist die Minimalvoraussetzung für eine Ware also gar nicht erst erfüllt.

Schauen wir näher zu, was der Forist über den "Nutzen" zu sagen hat:

Nutzen hängt immer vom Kontext ab. [...] Eine Föhn ist nur jemandem von Nutzen, der auch eine Steckdose hat, Steckdosen sind nur nützlich, wenn es dafür Elektrogeräte gibt.

Forist "deedl"

So weit erst mal gar nicht verkehrt.9 Ein anderer Forist formuliert denselben Gedanken etwas senkrechter:

Nutzen spricht [...] ein Verhältnis an. Diese Kategorie benennt, wofür ein bestimmtes Gut aufgrund seiner Eigenschaften dem Menschen dienlich ist. Der Aufwand kommt in dieser Kategorie gar nicht vor.

Forist "Werner213"

Danach fängt "deedl" an, die Begrifflichkeiten durcheinander zu werfen:

"

Die Aufgabe des Unternehmers ist es, einen Kontext zu schaffen, in welchem der Arbeiter den größtmöglichen [!!!] Nutzen erzeugt. Ein Maurer, der die Pläne eines Architekten umsetzt, schafft größeren [!!!] Nutzen als ein Maurer, der einfach irgendwas baut.

Forist "deedl"

Ein Produkt stiftet einen Nutzen oder nicht, aber es stiftet nicht "mehr" oder "weniger" davon. Der Nutzen ist nicht quantifizierbar. Der Nutzen eines Tisches besteht z.B. darin, dass man auf einer bestimmten Höhe Dinge ablegen kann. Das ist eine Eigenschaft der Dinge. Aber man kann streng genommen nicht einfach so sagen: Der Tisch erfüllt mir 4 Nutzeneinheiten. Das ist eine Quantität.10 Oder noch abstrakter, gleich ohne die Einheiten zu nennen: Der Tisch stiftet mir einen "größeren" Nutzen als die Pommes oder die Prostituierte oder der Swimmingpool oder der Friseurbesuch, … . Das ist eine vollständig subjektive Hierarchisierung oder Ordnung der Bedürfnisse. Eine individuell geordnete Liste von Präferenzen. Das sagt man zwar umgangsprachlich so, "dies ist mir mehr wert (bzw. nützt mir mehr) als jenes", weil man es gewohnt ist, dass nun man alles Geld und/oder Zeit kostet und man sich mit seinem begrenzten Geld/Zeit-Budget entscheiden und gegeneinander halten muss, wie man es letztlich ausgeben möchte. Das ist die reale Basis dahinter. Aber begrifflich ist es unsinnig.

Man muss sich also klar machen, dass die meisten Leute, wenn sie unbedacht vom "Nutzen" reden, bis zu drei verschiedene Dinge damit meinen können, von denen es eines noch nicht einmal gibt, nämlich den quantitative Nutzen. Und diese werden dann im selben Kontext mühelos durcheinander geworfen, was jede Debatte darüber verunmöglicht.

Die VWL macht diesen Fehler zum Prinzip ihrer gesamten Theoriebildung, jedenfalls im ersten Semester der Ausbildung, wo die legitimatorischen Grundsteine gelegt werden. Dort, wo sie pragmatisch wird und sich an den Problemen der realen Welt abarbeitet, in den Vorlesungen der höheren Semester, spielen diese Grundlagen (Nutzenwerttheorie) häufig genug gar keine Rolle mehr. Bis dahin hat man sich eh den Nutzen in Geld übersetzt, weil sich ja mit Geld alles, was einen Nutzen stiftet, kaufen lässt, und ab da wird dann ohnehin nur noch mit Geld argumentiert: "Wie kann dieser oder jener Wirtschaftsakteur seinen Nutzen maximieren?" bedeutet dann so viel wie: "Wie kann er sich in der Konkurrenz am erfolgreichsten durchsetzen?" Und dafür werden dann Methoden zusammengetragen.

Der legitimatorische Gehalt einer Übersetzung von Nutzen in eine Quantität besteht zum einem darin, dass es den Nutzen zur alleinigen Grundlage des Preises von Waren erklärt und damit ablenkt von der Arbeit als der Substanz des Werts. Es lenkt insofern also auch von all dem ab, was man mit der von Marx verfeinerten Arbeitswerttheorie später so alles zeigen kann, nämlich z.B. und vor allem, dass im Kapitalismus jede Produktion für den Markt auf Basis einer Ausbeutung, d.h. einer Aneignung fremder Arbeit stattfindet.

Beispielsweise ich mag keine Schokolade und habe mir zuletzt irgendwann einmal in der Kindheit eine Tafel gekauft; sie besitzt für mich keinerlei Wert, was sich natürlich kurz vor einem Verhungern ändern könnte, doch eben nur dann, während sie für andere Menschen ein Stück Lebensqualität darstellt, was der Schokolade einen Wert zubilligt, der aber nur bei standardisierten Menschen zu objektivieren wäre. Und so gilt für jede Sache: erst aus einem individuellen, menschlichen Interesse resultiert deren Wert.

Forist "Leser2015"

Und trotzdem zahlen der Gourmet und der Banause, der Bedürftige und der Abgesicherte denselben Preis für die Tafel Schokolade, wenn sie sie ihm selben Kiosk kaufen. Mit ihren Vorlieben hat das rein gar nichts zu tun. Die kennt der Verkäufer mitunter auch gar nicht, spielen bei seiner Preissetzung also keine Rolle.

Gold erhält seinen Wert zunächst durch sein Aussehen [!!!], welches Menschen dazu veranlasst, Schmuck und andere Waren daraus herzustellen. Übrigens in verschiedenen Teilen der Welt [!!!]. Später machte man sich das zunutze und benutze Gold oder eben Silber auch als Basis für Tauschgeschäfte. Daraus entstand dann im Laufe der Kulturentwicklung [!!!] auch staatliche Währungen.

Forist "Nützy"

Viele Dinge sehen schön aus. Das macht sie aber noch nicht allesamt wertvoll. Verschiedene Edelsteine und Edelmetalle sind auch schön, dennoch haben sie nicht unbedingt denselben Wert wie Gold. Der kann deutlich drunter oder deutlich drüber liegen, egal ob sie schöner aussehen. Darüber hinaus sind viele Edelsteine für das ungeübte Auge nicht von gefärbtem Glas zu unterscheiden, man kann insofern nicht behaupten, das Aussehen regiere ihren Wert. Dennoch würde sich sofort jeder beschweren, wenn man ihm bloßes Glas statt der edlen Klunker anzudrehen versuchte. Warum? Weil jeder weiß, dass Edelsteine echte Wertträger sind. Je schwerer sie zu schürfen sind, was mit ihrer Seltenheit einhergeht, umso teurer werden sie gehandelt.

Dass die Menschen überall auf der Welt Gold verwenden, liegt daran, dass es überall auf der Welt als Rohstoff vorhanden ist. Dass sie es überall als Schmuckmaterial benutzen, liegt daran, dass es dafür ein sehr geeigneter Rohstoff ist: Es ist einerseits relativ leicht formbar im Vergleich zu anderen Metallen, und deshalb anderseits auch zu kaum etwas anderem zu gebrauchen, z.B. für die Waffen- oder Werkzeugproduktion, wofür es überdies dann doch zu teuer wäre. Auch dass das Gold in vielen Völkern, wo eine Ware benötigt wurde, um in der Funktion eines Gelds den gesellschaftlichen Tauschprozesses aufrechtzuerhalten, zum allgemeinen Wertäquivalent, d.h. der "staatlichen Währung" avancierte, liegt lediglich daran, dass dieses Material mit sein Eigenschaften sehr gut die typischen Eigenschaften von Wert widerspiegelt: Teilbarkeit, Haltbarkeit, etc. Diese Eigenschaften werden zwar auch von anderen Waren geteilt (verschiedene Metalle, Salze, Muschelhaufen), die deshalb in der Geschichte ebenfalls als Geld fungierten. Diese sind aber nicht so wertkompakt wie Silber und Gold. Schon eine kleine Menge davon reicht aus, um damit eine große Menge Wert in der Hand zu halten.

Außer dem Menschen, und selbst das ist streng genommen nur der zentrale, zivilreligiöse Grundkonsens unserer Gesellschaft, besitzt nichts auf Erden einen Wert an sich. Jeder Wertbegriff kam ja überhaupt erst durch das Bewusstsein des Menschen in die Welt, denn von was sollte er sonst abhängig [sein]?

Forist "Leser2015"

Richtig daran ist, dass der Wert den Dingen nicht an sich anhaftet. Es ist keine Natureigenschaft. Die Kategorie Wert gewinnt überhaupt nur dort an Bedeutung, wo es eine Marktwirtschaft gibt, und Preise den Zugriff auf die Welt der Produkte regeln. Falsch ist, dass der Wert, wo er reale Bedeutung hat und z.B. als zu zahlendes Quäntchen Geld den Ausschluss der Geldlosen vom Zugriff auf die Produkte der Warenwelt herstellt, bloß reine Glaubenssache ist. Erkläre das jemand mal einem Obdachlosen, dass er nur deshalb auf der Straße lebt, weil die Gesellschaft sich kollektiv einen Film fährt, d.h. bloß einer Einbildung des Bewusstseins erlegen ist. In einer etablierten Marktwirtschaft ist der Wert nicht nur nicht eingebildet, sondern auch nicht zufällig, sondern unterliegt Bewegungsgesetzen, die man leicht herausarbeiten und benennen kann.

Einwand 3: Mehrwert ist gar kein Kriterium für die Produktion

Fortsetzung von Marx ist Murks Teil 1

Meine Behauptung in Teil 2 war, dass in der kapitalistischen Produktionsweise der Arbeitsplatz immer notwendig den Anforderungen des Verwertungsprozesses angepasst wird, ihnen also untergeordnet ist. Aus investiertem Geld muss mehr Geld werden, sonst taugt der Arbeitsprozess nicht zur Vermehrung von vorgeschossenem Kapital (Teil 2/Argument 4). Ob die Unternehmung auch wirklich klappt, ist nicht von vornherein ausgemacht (Teil 2/Argument 3). Wenn der Arbeitsplatz keinen Mehrwert - bzw. strenger gesagt: nicht genug davon (vgl. Replik 1/Einwand 3/Punkt c) - abwirft, dann werden Angestellte entlassen, oder der Arbeitsplatz wird angepasst ("Rationalisierung").

Bei dieser Anpassung kann es passieren, dass sie sehr unschön für die Arbeiter ausfällt und dabei alle möglichen Interessen, die man an einen Arbeitsplatz überhaupt nur stellen könnte (sozial und intellektuell bereichernd, körperlich und geistig schonend, gesellschaftlich relevant und verträglich, etc.), von vornherein unberücksichtigt bleiben müssen, bzw. nur dann berücksichtigt werden, wenn solche Privatzwecke der Angestellten dem Primärzweck des Kapitals nicht allzu hinderlich im Wege stehen. Es gibt Leute, denen erscheint diese systematische Grundlage, auf der die gesamte kapitalistische Produktion stattfindet, als das natürlichste von der Welt:

Selten so gelacht. In der realen Welt will der Arbeiter seine Arbeitsstunden nur möglichst gut vergütet haben. Das mit den gesellschaftlichen Nutzen [als eines der möglichen Interessen, die man an einen Arbeitsplatz herantragen könnte; Anm. des Autors] ist eine völlig andere Denkweise, die meist erst kommt, wenn die eigenen Bedürfnisse schon übererfüllt werden können.

Forist "Nützy"

Das ist ein reichlich seltsamer Befund. Er bestätigt einerseits indirekt, aber ohne weiteres Aufhebens, das Gesagte - ja die Arbeitsplätze sind halt so wie sie nun einmal sind, keine Gegenrede -, findet aber andererseits wohl auch nichts weiter dabei.

Dass es den Arbeitern nur auf den Lohn ankommt, ist der selektiven Wahrnehmung des Foristen geschuldet (Stichwort: Bullshit Jobs). Sonst würde der Jammer über die Arbeit im bürgerlichen Alltag nicht eines der maßgeblichen Gesprächsthemen sein. Fast jeder weiß ein Liedchen davon zu singen, wie ungemütlich es am Arbeitsplatz ist, weil der blöde Chef mal wieder beschlossen hat, an relevanten Ausgaben zu sparen.

Aber was heißt denn bitte schon "relevant"? Relevant für wen? Dem Arbeiter mögen manche Ausgaben in puncto Aufwertung des Arbeitsplatzes zwar vielleicht relevant erscheinen, aber sie sind eben nicht relevant für das betriebliche Gewinninteresse, und darauf kommt es maßgeblich an. Ob auch andere Interessen unter die Räder fallen, ist doch egal. Wie eng dabei kalkuliert wird, auch in erfolgreichen Großbetrieben, zeigen eindrücklich die Pleitenwelle und der enorme Subventionsaufwand im Zuge der Corona-Maßnahmen. Von starken Rücklagen, einem soliden, finanziellen Pölsterchen für Notlagen wie diese, kann keine Rede sein - weder auf der Seite der Unternehmer, noch auf der Seite der Lohnempfänger.

Vom Standpunkt des Verwertungsprozesses müssen halt weitestgehend alle Einnahmen in die permanente Aufrechterhaltung der betrieblichen Konkurrenzfähigkeit reinvestiert werden, je umkämpfter der Markt, umso mehr, sonst geht man eben unter. In manchen Branchen mag es schlimmer zugehen als in anderen, aber im Allgemeinen gesprochen, hat der durchschnittliche Arbeiter von Jobs unter solchen Bedingungen nicht viel zu erwarten, und nicht einmal die "möglichst gut vergüteten Arbeitsstunden" retten einem den Arsch. Die gegenwärtige Krise hält uns auch ganz empirisch und jenseits aller Theorie vor Augen, dass die Löhne gerade so ausreichen, um die Arbeitsfähigkeit des Arbeiters, welches das Mittel des Kapitals zu seiner Verwertung ist, bis zum nächsten Lohnempfang zu gewährleisten.

Bevor jetzt der Gegeneinwand kommt, dass es auch unbezweifelbar gute Jobs im Kapitalismus gibt. Ja, die gibt es. Dann hat mal halt Glück gehabt, dass sich das Gewinninteresse mit dem Interesse des Angestellten deckt. Kann passieren. Gemeint sind in den obigen Ausführungen natürlich nicht solche prekären Berufsstände, in denen zwar auch konkret gearbeitet wird, aber nicht für den Markt produziert wird (z.B. Beamte, Professoren, Priester, Politiker etc.) und die insofern nicht völlig und bestenfalls nur am Rande von Rentabilitätskalkulationen durchdrungen sind. Budgetfragen spielen zwar auch dort eine wesentliche Rolle, aber sie sind nicht unmittelbar an die Erzeugung eines Mehrwerts bei sich gekoppelt, sehr wohl aber an die Erzeugung eines Mehrwerts bei anderen, aus dem sich besagtes Budget direkt oder indirekt speist. Solche Berufe im Forum bitte nicht als Gegenbeispiel anführen. Das ist geschenkt.

Ein Forist mit sozialdarwinistischen Anwandlungen meint, es sei ja wohl überhaupt eine anmaßende Frechheit, irgendwelche Ansprüche an den eigenen Arbeitsplatz stellen zu wollen:

Die archaische Grundregel hinter dem menschlichen Dasein lautet: Wenn du nicht arbeitest, dann stirbst du! Und sei es, dass du nur völlig nonkonformistisch-antikapitalistisch-konsumabgekoppelt deinen scheißveganen Gemüsegarten beackerst. Du musst halt etwas tun. Wer sich nicht rührt und dahinvegetiert wird, naturgegeben, selbst zum Gemüse.

Forist "BerberJesus"

Zum einen ist das kontrafaktisch. Die verblassende Existenz eines Sozialstaats11 zeigt ja sehr wohl, dass es beim gegenwärtigen Stand der Produktivkräfte ein Leichtes ist, Millionen von Mitmenschen, die nicht mehr oder noch nicht arbeiten können, mitzuversorgen. Technisch ist das also ohne weiteres machbar.

Die politische Frage wäre, nach welchen Kriterien man den Aufwand und Ertrag von Arbeit auf die Gesellschaft verteilt, ob dies zum Beispiel zwangsläufig einer Geldrechnung genügen muss oder sich nicht auch sozialere Maßstäbe finden lassen. Auch die Frage, welcher Einsatz von Arbeit gesellschaftlich überhaupt nötig ist, wird vom Foristen nicht gestellt. Das Bankenwesen, die gesamte Werbebranche und etliche andere Sektoren binden immense Arbeitskraft, die vom Standpunkt des Kapitals zwar sehr wohl nötig, für die technische Seite der Güter- und Leistungsversorgung aber absolut irrelevant sind. Die Naturgesetze gehorchen nicht den Befehlen des Geldes. Um sie zu beherrschen und anzuwenden, braucht es letzteres nicht.

Die gleichmäßige Verteilung der aus überflüssigen Sektoren freizusetzenden Arbeitskräfte auf die anderen, gesellschaftlich relevante Sektoren würde jedenfalls diejenigen entlasten, die fortwährend über ein Zuviel an Arbeit und mangelnde Freizeit klagen. Darüber hinaus gibt es Millionen von Menschen, die zwar nur allzu gern arbeiten wollen und können, aber gar nicht dürfen, weil sich kein lohnendes Interesse an der Verwertung ihrer Arbeitskraft findet. Wenn man auch diesen eingemotteten Arbeitskräften, die sich frustriert darüber beklagen, sich ausgegrenzt und deshalb als unnütz zu empfinden, Zutritt zum gesellschaftlichen Produktionsprozess gewähren würde, könnten insgesamt alle Menschen viel besser davon leben, als wenn jeder der "archaischen Grundregel des menschlichen Daseins" folgt und allein für sich kämpft. Es ist jedenfalls eine bodenlose Frechheit, zu unterstellen oder anzudeuten, dass Menschen, die den Zweck der Arbeit im Kapitalismus hinterfragen, vom Foristen als solche vorstellig gemacht, die sich vor Arbeit drücken wollen würden, im übertragenen Sinne also Schmarotzer sind.

Zum anderen wird Arbeit im Kapitalismus als Mittel für das Überleben vorstellig gemacht. Sie ist jedenfalls kein Mittel für die Arbeiter, um sich zu bereichern, sonst würden sich auch nicht so viele darüber beschweren, dass am Ende des Geldes zu viel des Monats übrig ist. Dass das so eingerichtet ist, ist überhaupt die Geschäftsbedingung des gesamten Niedriglohnsektors. Der Lohn reproduziert also im Gegenteil fortwährend die Notlage, um den Arbeiter als verfügbare Arbeitskraft und somit als Mittel der Bereicherung durch andere zu erhalten. Dazu mehr ab Teil 3 der Serie.

Wer für fünf Minuten mal Abstand nimmt von seiner anti-kommunistischen Hetze, wird sich das auch selbst schnell eingestehen:

Dass man die Quellen des Einkommens, mit der man Güter kaufen kann, nicht kontrolliert, ist ein Fakt.

Forist "Nützy"

Einwand 7: Geh doch erstmal arbeiten!

Fortsetzung Marx ist Murks Teil 1:

Nicht labern, klotzen!

Aber es steht den Genossen frei, im Rahmen [!!!] des aktuellen Systems kommunistisch motivierte Betriebe zu gründen und ihre These zu beweisen, dass kommunistische Betriebe besser sind. [...] Ca. 10% der Menschen wählen "Die Linke". Also warum fangen diese 10% nicht an, jetzt einfach kommunistische Genossenschaften [!!!] zu gründen und stecken ihre Arbeitskraft in dieses Projekt. Mit 8.000.000 Menschen kann man eine Menge aufbauen. Beweist, dass es funktioniert! Niemand [!!!] wird Euch daran hindern - aber Ihr steht natürlich in Konkurrenz [!!!] zu kapitalistischen Firmen. Auf das Ergebnis bin ich gespannt.

Forist "Karl Sten"

Was ist denn das für ein Vorschlag? Da stimmt ja vorne und hinten nichts, weder logisch noch historisch. Man solle also eine kommunistische Planwirtschaft "im Rahmen des aktuellen Systems" installieren, die sich auch noch in "Konkurrenz zu kapitalistischen Firmen" bewähren soll - einfach so: "Niemand wird Euch dran hindern". Als ob!

Dass es zu jeder revolutionären Erhebung eine brutalstmögliche Konterrevolution gab, dass es in Folge manch erfolgreicher Revolutionen einen atomwaffengeschwängerten kalten Krieg (UdSSR, China) gab mit wirklich blutigsten Verlaufsformen an der Peripherie (Vietnam, Afghanistan, Laos, Korea, Angola, Algerien etc.), der heute noch seine Fortsetzung findet gegen Staaten, die sich auch nur ansatzweise sozialistisch orientieren wollen (Kuba, Venezuela, Nicaragua, Bolivien etc.). Diese Staaten werden mindestens mit einem Embargo und Sanktionen belegt - sei es nun offen ausgesprochen oder verdeckt Steine in den Weg legend -, welche zu einer prekären Versorgungslage führen, die man dann wiederum dem dortigen Regime anlasten kann: "Schaut her! Sozialistische Mangelwirtschaft!" Man provoziert dort mutwillig Bürgerkriege und macht wirklich alles dafür, damit der vom Foristen geforderte Beweis eben nicht erbracht werden kann.

Das alles, so ziemlich die gesamte Geschichte der kriegerischen Gewalt des 19., 20. und 21. tut er mit einem Wisch einfach - mir nichts, dir nichts - beiseite, als hätte es das alles nie geben. Doch, solche Versuche gab es bereits zuhauf, ja selbst in Deutschland, aber die wurden mit härtester Brutalität niedergemacht, noch bevor sie sich entfalten und zeigen konnten, was möglich ist (Stichworte: Weberaufstand 1844, Novemberrevolution 1918, Münchener und Bremer Räterepubliken, Spartakusaufstände in Berlin, Rote Ruhrarmee, etc.). Diejenigen, die sich eine Zeit lang halten konnten, waren durchgehend einem Waffendruck ausgesetzt, der ein Gros ihrer Ressourcen bündelte. Wie soll man denn unter solchen Voraussetzungen überhaupt etwas praktisch beweisen können? Von wegen, niemand wird euch dran hindern.

Mir zeigt das nur eins: Menschen, die solche Einlassungen von sich geben, wollen in Wirklichkeit rein gar nichts von der vorgebrachten Kritik wissen. Es sind insofern auch keine Einlassungen. Als ob man solchen Typ Einwand mit einem gelungen Beispiel von irgendwas überzeugen könnte. Dem könnte man Tausend solche Beispiele vorlegen und er würde sie nicht gelten lassen. Fakten sprechen eben niemals für sich selbst, sondern müssen immer erst interpretiert und theoretisch eingeordnet werden. Und dann kommt ja auch noch die Propaganda der Gegenseite hinzu, die eine korrekte Einordnung erschwert, wenn nicht gar verunmöglicht.

Und angenommen, er hat recht, man probiert es aus und der Kommunismus funktioniert nicht. Warum soll das automatisch ein Argument für den Kapitalismus sein? Gilt die Kritik dann plötzlich nicht mehr? Ist es dann egal, dass dieser Wirtschaftsweise jährlich Milliarden zum Opfer fallen, nur weil er sich in seiner ausgemalten Horrorphantasie einer kommunistischen Planwirtschaft in seiner Auswahl an bunten Hemden eingeschränkt und so seine Individualität beraubt sieht.

Der einzig richtige Schluss aus dem Scheitern einer Planwirtschaft wäre, ihre Fehler zu ergründen und dann eben eine andere auszuprobieren. So einfach. Die politischen Sachwalter des Kapitalismus nehmen doch andauernd Anpassungen an ihrem Standort vor, weil er ihnen ansonsten auseinanderzufallen droht. Warum Kommunisten nicht dasselbe Recht auch Nachbesserungen gestattet sein? Warum sollen sie aus dem Stand etwas hinbekommen, was bürgerliche Staaten nicht einmal versuchen wollen? Viele Bürger Osteuropas bereuen bitterlich, diesen richtigen Schluss seinerzeit nicht gezogen zu haben. Dem inzwischen etablierten Weltmarkt waren die osteuropäischen Volkswirtschaften nicht gewachsen, weil sie nach anderen Kriterien - als einzig nur der Rentabilität verpflichtet - eingerichtet wurden. Hätten die Ostdeutschen 1990 doch besser eine kommunistische Revolution vollzogen, statt eine bürgerlich-nationalistische. Jetzt haben sie das Nachsehen.

Der Beweis, so schlägt "Karl Sten" vor, soll mithilfe von Genossenschaften erfolgen. Gilt für Genossenschaften etwa nicht der Vorbehalt des Mehrwerts und die Unterordnung des Arbeits- unter den Verwertungsprozess? Können die sich etwa ganz andere Kalkulationen leisten, wo sie doch für denselben Markt "in Konkurrenz zu kapitalistischen Firmen" produzieren sollen? Egal ob diese Genossenschaften auf dem Markt ihre Stellung halten oder sang- und klanglos untergehen, damit lässt sich doch überhaupt nichts beweisen, außer eben, dass die Konkurrenz des Kapitalismus erbarmungslos ist und es jeden treffen kann, egal welche politischen Absichten er verfolgt.

Übrigens, der geforderte Beweis ist doch schon längst auch praktisch erbracht, und zwar in noch viel größerem Umfang als gefordert, sogar statistisch dokumentiert, man muss ihn nur zur Kenntnis nehmen wollen: 14 Millionen Menschen betätigten sich allein in Deutschland 2016 ehrenamtlich, weit mehr als die Linkspartei an Wahlstimmen auf sich zieht. Im Jahr 2019 haben rund 20 Millionen Menschen rund 5 Milliarden Euro gespendet, davon mehr als 3,5 Milliarden allein für humanitäre Hilfe. Das ist pro Kopf gerechnet nicht viel, aber die Leute haben auch nicht viel zu geben. Und da ist das ganze Kleingeld an die vielen Obdachlosen meines Wissen noch gar nicht miteingerechnet.

Darüber hinaus gibt es in so ziemlich jeder größeren Stadt Organisationen für Nachbarschaftshilfe und Großprojekte Solidarischer Landwirtschaft. Bei Telegram und WhatsApp gibt es eine Vielzahl von Gruppen mit je Hunderten bis Tausenden von Mitgliedern, in denen kostenlos Güterströme organisiert werden. D.h. dort wird funktionale Gebrauchtware an Bedürftige verschenkt, anstatt auf dem Flohmarkt daraus noch den letzten Cent rausschlagen zu wollen. Dasselbe gibt es auch für immaterielle Güter. Das Projekt Wikipedia hat inzwischen die kostenlose Weitergabe von Wissen international organisiert. All diese Beispiele sind Notwehrmaßnahmen gegen die Wirkungen des Kapitals, und es gibt sicherlich noch viele mehr. Sie zeugen aufs Eindrücklichste, dass nicht jeder Mensch so gestrickt ist, dass er nur auf seinen eigenen Vorteil spechtet und auch bereit ist, Leuten zu helfen, die er nicht einmal kennt. Aber solche Beispiele sind Perlen vor die Säue und würden einen Apologeten des Kapitalismus auch niemals überzeugen.

Einwand 9: Kommunismus widerspricht der Natur des Menschen

So wie der Kommunismus immer in seiner Perfektion beschrieben wird, braucht er dazu auch den perfekten Menschen, um zu funktionieren. Solange es den nicht gibt, funktioniert auch der Kommunismus nicht.

Forist "DJ Doena"

Das hat natürlich mal wieder rein gar nichts mit dem Artikel zu tun, ist aber ein Dauerschlager unter den Einwänden. Ein Forist hält tapfer dagegen:

So kann man alles rechtfertigen. Kriege, Diebstahl, Ausbeutung von Menschen usw. Kein erdachtes System braucht einen neuen Menschen. [...] Und wer weiß. Womöglich wollen Menschen nicht andauernd in sozialer und ökonomischer Konkurrenz zueinander stehen. Kannst du das so genau sagen, dass es vollkommen natürlich ist, dass man sich gegenseitig bescheißt, ausbeutet, beklaut und gegenseitig Neid empfindet? Und das Ganze auch noch organisiert? [...] Als Gemeinschaft wollen Menschen womöglich das nicht so handhaben, weil Menschen eher ein stressfreies Leben bevorzugen. Vielleicht ist es gerade so, dass Kapitalismus genau solche negative Verhaltensweisen fördert.

Forist "nihil_jie"

Eigentlich ist es egal, welches Menschenbild man hat. Es liegt nicht am Menschenbild, dass der Kapitalismus seine Brutalitäten entfaltet, sondern ist der Eigendynamik dieser Produktionsweise geschuldet, die notwendig zur Akkumulation auf der einen und Armut auf der anderen Seite führt. Umgekehrt ist es aber ein Trivialität, dass in einer Konkurrenz derjenige tendenziell besser fährt, der über die besseren Konkurrenzmittel verfügt, wozu eben auch ein durchsetzungsfähiger Charakter gehören mag. Ein Typ mit solchen Attributen ist von außen betrachtet aber sowieso immer ein Charakterschwein, muss er ja auch sein, ganz klar. Beweis: Er hat sich ja gegen andere durchgesetzt. Anständig kann es "bei dem" nicht zu gegangen sein. Hast du seine Ellenbogen gesehen? Der geht ja glatt über Leichen. Apropos, neuer Mensch und über Leichen gehen, hier der schönste Einwand aus dieser Richtung:

Emanzipation führt zuerst zur Befreiung von der Scholle, dem Stand, der Klasse, der Nation, der Kultur, dem Geschlecht, der Befreiung vom Menschsein. D.h. dieser Kleinbürger Marx führt auch in eine Spielart des Transhumanismus [!!!], einer Art des dystopischen Globalfaschismus. Oder geht gar über in den Suizid, da die Vermittlung [?] scheitert.

Forist "semmering"

Anscheinend braucht der Kommunismus nicht nur den "neuen Menschen", er braucht sogar den neuen Nicht-Menschen. Mit anderen Worten: Der Kommunismus ist unser aller Untergang. Er will die Menschen von ihrem Menschsein befreien. Alle werden gemessert.

Das Problem am Menschsein ist die natürliche Ungleichverteilung von Gesundheit, Attraktivität, Talent; zur Ökonomie finde ich keinen Zugang, aber Mensch und Kapitalismus gehören irgendwie [!?!] zusammen.

Forist "Leser2015"

Einwand 10: Kapitalisten in der Produktionssphäre gehen kein Risiko ein!

So ein Quatsch. [...] Wer Zwischengüter oder Werkzeuge für die Industrie fertigt, der fertigt nicht auf Halde, denn produzierte und nicht verkaufte Güter binden Kapital. Etwas anders sieht das bei vielen Konsumprodukten aus, die dem Verbraucher zum schnellen Verkauf angeboten werden, wie z.B. Kleidung, Spielzeug etc."

Forist "Mathematiker"

Maschinen, also die "Werkzeuge für die Industrie", mögen zwar auf Auftrag produziert werden - übrigens genau so wie alle Dienstleistungen -, aber sie fertigen sich nicht von selbst. Um Maschinen überhaupt fertigen zu können, braucht es zunächst andere Maschinen. Und die müssen eingekauft oder selbst produziert werden. Man muss als Maschinenbauer schon sehr weit in Vorleistung gehen, bevor man überhaupt den ersten Auftrag an Land ziehen kann - ebenfalls wie bei allen Dienstleistern. Und ob man den findet, ist doch gerade das Risiko.

Wenn der Markt für bestimmte Maschinen gesättigt ist oder die Konkurrenz ihre Maschinen billiger produziert, bleiben die Aufträge beim Maschinenbauer einfach aus. Dann hat man als Maschinenbauer riesige, unbenutzte Werkhallen zu verwalten, die laufend Kosten produzieren und vollgestopft sind mit hochtechnologischem - Müll. Nicht die produzierten Waren liegen auf Halde, da hat der Forist "Mathematiker" schon recht, sondern die Produktionsmittel, mit denen sie gefertigt werden. Sie werden plötzlich unbrauchbar. Und zwar nicht etwa deshalb, weil sich mit ihnen nichts anstellen lässt. Funktionieren tun sie nach wie vor. Nein, sie sind nur deshalb Müll, weil sie sich an dem Zweck des Kapitals blamieren, Gewinn zu erwirtschaften.

Marx bezeichnet diese speziell kapitalistische Sorte von Unbrauchbarwerdung von Produktionsmitteln als "moralischen Verschleiß". Er ist "moralisch", eben weil er keinen realen Verschleiß darstellt. Was tut man damit? Man darf jedenfalls nur wenig hoffen, dass ein Branchenkonkurrent - und ein anderer braucht sie nicht - die moralisch unbrauchbar gewordenen Produktionsmittel plötzlich zu ihrem Wert abkauft. Was soll er denn mit solchem Zeug? Es hat sich doch gerade bewiesen, dass man damit nicht lohnend produzieren kann.

Überdies kann der Käufer der Maschinen, der Bestellkunde, der ihre Abnahme vertraglich garantiert hat, seinerseits ja auch mit einem Vertragsbruch und der zugehörigen Strafe kalkulieren, wenn sich seine Geschäfte doch anders entwickeln, als er ursprünglich gehofft und geplant hatte, z.B. weil er selbst insolvent gegangen ist, da er selbst seine Ware (Kleidung, Spielzeug, etc.) nicht erfolgreich absetzen konnte. Dann hat der Maschinenbauer plötzlich das Nachsehen. Den Letzten beißen die Hunde. Es ist jedenfalls keineswegs so, dass auch international extrem erfolgreiche Maschinenbauer nicht Pleite gehen können, weil sie nur auf Auftrag produzieren (z.B. Baumaschinenhersteller IBH Holding).

Von wegen, der Kapitalist geht kein Risiko ein. Ein anderer Forist argumentiert ganz gegenteilig und sieht überall nur Risiken:

Dass sich ein Gründerdasein objektivierbar lohnt, bezweifle ich so lange, bis ich Statistiken sehe, die etwa das Einkommen von tausend Gründern [...] verglichen, denn man darf nicht vergessen, dass man in den Medien immer nur die Gewinner sieht.

Forist "Leser2015"

Ein Gründerdasein "lohnt sich objektivierbar" nur dann - und dann aber ganz sicher -, wenn der Gründer sein Produkt zum vorgesehenen Preis verkauft bekommt.

Anti-Marxisten müssen sich schon entscheiden, wie sie mit dem Begriff des "Risikos" umgehen wollen. Einerseits müssen sie es bestreiten, um sich nicht eingestehen zu müssen, dass die kapitalistische Produktionsweise lauter gesellschaftlich unnützer Arbeit in Auftrag gibt, die für Verschwendung von Ressourcen und vergebens verausgabte Arbeitskraft sorgt. Andererseits wollen sie dran festhalten, um zu rechtfertigen, dass der Mehrwert allein dem Kapitalisten gehört, weil er ja angeblich das Risiko trägt. Ein Dilemma, was sie mit sich selbst ausmachen müssen.