Der Überfluss an Unnötigem und Schädlichem

Museumsdorf Altwindeck, Schreinerei. Bild: Duhon/CC BY 3.0

Problematische Arbeitsinhalte und Gebrauchswertangebote im gegenwärtigen Kapitalismus

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Kommen einander unbekannte Bürger ins Gespräch, dann taucht früher oder später die Frage "Was arbeiten Sie eigentlich?" so sicher auf wie das Amen in der Kirche. Meist ist dabei die Vergewisserung mit im Spiel, ob das Gegenüber denn auch im Erwerbsleben seinen Mann oder seine Frau stehe und - wenn ja -, wie weit sie oder er es dabei wohl gebracht habe. Die Frage könnte allerdings dem Gespräch auch eine ganz andere Wendung geben. Dann nämlich, wenn es um die Inhalte der Produkte oder Dienstleistungen ginge, für die gearbeitet wird. Wer unerschrocken und beharrlich dieser Frage nachgeht, dem werden Einblicke nicht verborgen bleiben, die weite Teile der Wirtschaft ebenso infrage stellen wie die Messung des nationalen Reichtums durch das Bruttosozialprodukt. Es steigt bekanntlich, wenn bspw. mehr Autos verunglücken und infolgedessen mehr Reparaturen bzw. Neukäufe getätigt werden.

Eine erste Variante problematischer Arbeitsinhalte betrifft Produkte, die schon immanent betrachtet schlicht überflüssig sind. Im einschlägigen Standardwerk Bittere Pillen in der Ausgabe von 2008 werden von den 4.657 bewerteten Arzneimitteln auf dem deutschen Markt 10,1% als "wenig zweckmäßig" und 8, 2 % als "abzuraten" eingestuft.1

"Wir können für die letzten 20 Jahre sagen, dass nur etwa 20 von 100 neuen Arzneimitteln tatsächlich einen Fortschritt bedeuten", sagte Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, im Mai letzten Jahres im Deutschlandfunk.

Eine zweite Variante problematischer Arbeitsinhalte betrifft die Verkürzung der Lebensdauer von Gebrauchsgütern durch eingebauten vorzeitigen Verschleiß. Darwin Dante2 zufolge "kann heute die Lebenserwartung aller Gebrauchsgüter ohne Weiteres um das 7 bis 8-fache gesteigert werden, bis eine eintretende Materialermüdung ihre Funktion zerstört." Kugellager seien so ausgelegt, "dass sie eine im voraus bestimmte Betriebsstundenzahl nicht überschritten".3

Gemessen am gleichen Ausmaß der Bedürfnisbefriedigung würden mit der Verlängerung der Lebensdauer von Gebrauchsgütern weniger Produkte benötigt und die Müllberge verringert. Es entstünden riesige Einsparpotenziale an materiellen und finanziellen Ressourcen. Die damit verbundene Nachfrageminderung liegt nicht im Interesse von Kapitalen.

Langlebige Güter: weniger herstellen, weniger arbeiten, mehr Zeit

In ihrem Streben danach, möglichst viele profitable Produktionsgelegenheiten zu finden, erhöhen Kapitale die Ersatznachfrage nach Gütern, indem sie die Produktlebenszeiten sowie Nutzungszyklen verkürzen.4 "Auch stofflich gesehen ist die moderne Konsumware ein rasch verbrauchtes 'Light'-Produkt."5 Strategien sind die Abwertung älterer Modelle durch Oberflächeninnovation sowie das Vom-Markt-Nehmen älterer Modelle bzw. der Ersatzteile für sie.

Umfassenden Überblick bietet die 2013 erschienene Studie "Geplante Obsoleszenz. Entstehungsursachen - Konkrete Beispiele - Schadensfolgen - Handlungsprogramm" von Stefan Schridde und Christian Kreiß, die im Auftrag der Bundestagsfraktion der Grünen erstellt wurde. Das Ergebnis: "Geplanter Verschleiß ist ein Massenphänomen", wie ein Artikel der Süddeutschen Zeitung zur Studie titelte:

Die Autoren belegen das an gut 20 beispielhaft ausgewählten Massenprodukten. So gibt es bei Tintenstrahldruckern interne Zähler, die nach einigen Tausend Seiten Wartungsbedarf melden, obwohl das Gerät weiterdrucken könnte. Für Schuhsohlen werden Gummisorten verwendet, die schnell abreiben und verklebt sind, sodass man die Sohle nicht tauschen kann. In Jacken gibt es Reißverschlüsse, deren Zähne spiralförmig angeordnet sind, weshalb sie frühzeitig den Dienst versagen. Und sie fanden Waschmaschinen, deren Heizstäbe verdächtig schnell rosteten: Ihre Reparatur ist meist sündhaft teuer. … Müssten die Verbraucher nicht ständig neue Produkte kaufen, weil die alten zu früh kaputtgehen, blieben ihnen im Jahr 100 Milliarden Euro übrig.

Das profitable Prinzip der eingebauten Kurzlebigkeit geht einher mit der Einsparung von Arbeit bei der Erstellung von Gütern zu Lasten der Produktqualität und mit der Verwendung von weniger wertvollen und haltbaren Materialien. Der Wirtschaftsprofessor Christian Kreiß schildert6, wie Geräte so verlötet werden, dass sie nicht zu öffnen und damit auch nicht zu reparieren sind. Schadensanfällige Komponenten wie Schalter und Griffe sind oft so integriert, dass sie im Falle des Defekts nur zusammen mit teuren Kompaktteilen ersetzt werden können.

Altkleidersammler klagen darüber, dass der Anteil an unbrauchbaren Kleidern in ihren Sammelcontainern in den letzten Jahren massiv zugenommen hat. Insbesondere bei Discountern wird Bekleidung zunehmend zu Saisonware, bei der nach drei- bis viermaligem Waschen die Nähte reißen und die Farben verbleichen. Sie sind dann höchstens noch als Putzlappen zu verwenden.

Kai Hasse

"Eine Produktionsweise mit langlebigen, nachrüstungsfähigen Gütern würde Ressourcen schonen, Energie sparen und Abfall vermeiden", wird Christian Kreiß in der Berliner Zeitung zitiert, "wir müssten weniger herstellen, weniger arbeiten und hätten mehr Zeit für Familie, Freunde und Interessen".

Pfusch

Eine dritte Variante problematischer Arbeitsinhalte betrifft die kostensenkenden Einsparungen von Arbeit und Ressourcen zulasten der Tauglichkeit des Produkts. Die Kunden haben dann nicht nur einen überhöhten Preis für eine nur gut aussehende, tatsächlich aber fehlerhaft erbrachte Leistung zu zahlen. Es entstehen zudem Folgekosten durch erst nach und nach auffällig werdende Schäden. Deren nachträgliche Beseitigung kostet mehr als die durch die Pfuschproduktion eingesparten Aufwendungen. Ein prominentes Beispiel dafür ist der "Pfusch am Bau", der bis 1999 jährlich rund 15 Milliarden DM Baumängel verursachte, wie dies der Leiter des Geschäftsbereichs Bau und Qualität beim TÜV Süddeutschland, Harald Spornraft damals bemängelte:7

Gründe für Baumängel seien immer kürzere Bauzeiten, der Preisdruck und ein Mangel an Facharbeitskräften. ... "Oft beschränken sich sog. Schnellsanierer darauf, die Fassaden optisch aufzupolieren, echte Bauschäden werden häufig nicht behoben, sondern nur zugekleistert", kritisierte Spornraft. ... Für die Instandsetzung von 10-30 Jahre alten Häusern werde bereits fast so viel Geld ausgegeben wie für Häuser, die seit mehr als 89 Jahren stehen.

Die Bundesvereinigung der Prüfingenieure für Bautechnik (BVPi) beklagt seit Jahren "mehr Pfusch am Bau". Hauptursachen seien hoher Kostendruck, unqualifizierte Arbeitskräfte und mangelnde Kontrollen, moniert der Präsident der Vereinigung, Hans-Peter Andrä. "Die Deregulierungs- und Privatisierungskampagnen der Landesregierungen" hätten dazu geführt, dass "die Standsicherheit von Gebäuden nicht mehr hoheitlich, sondern nach kaufmännischen Gesichtspunkten beurteilt" werde.

"Neubauten strotzen nur so vor schweren Mängeln", stellt die "Welt" am 12.7. 2012 fest:

Bauherren müssen beim Neubau eines Wohnhauses einer Studie zufolge mit weit über einem Dutzend schwerwiegender Fehler am neuen Gebäude rechnen. Bei 100 untersuchten Neubauten von Ein- und Zweifamilienhäusern zwischen 2009 und 2011 seien insgesamt 1829 ‚gravierende Baumängel’ festgestellt worden, teilten der Bauherren-Schutzbund (BSB) und das Institut für Bauforschung Hannover (IFB) mit. Dies entspreche in etwa 18 Mängeln pro Bauvorhaben. Bei der Bauabnahme hätten trotz zwischenzeitlicher Kontrollen im Schnitt noch immer 14 Mängel vorgelegen - sowohl nicht behobene als auch neu entstandene, teilten BSB und IFB mit. Insgesamt seien für die Untersuchung 800 Baustellen-Kontrollen erfolgt.

Auf der erst 2004 eröffneten Bahn-Schnellstrecke Berlin-Hamburg mussten bereits 2009 rissig gewordene Betonschwellen ausgetauscht werden und die Züge monatelang zeitraubende Umwege fahren:

Jetzt sind dem Vernehmen nach auch auf der anderen Berliner Hochgeschwindigkeitstrasse, der knapp zehn Jahre alten Neubaustrecke nach Hannover, Schäden aufgetaucht. Hier wie dort waren Qualitätsprobleme bei den Betonherstellern schuld, manch einer würde auch Pfusch dazu sagen. Die Reisenden müssen es büßen.

Nicht das Auto ist das Problem, sondern sein Stellenwert

Eine vierte Variante problematischer Arbeitsinhalte betrifft die Produktion von Gütern, deren Kauf infolge herrschender gesellschaftlicher Rahmenbedingungen nahe liegt, obwohl gesamtgesellschaftlich andere, kostengünstigere Systeme zur Gewährleistung des einschlägigen Zwecke möglich wären. Ein zentrales Beispiel bildet das Auto. Die Kritik gilt der dominierenden Stellung des Straßenverkehrs bei der "Lösung" bzw. Konstitution oder Steigerung des Mobilitätsproblems ("Straßen schaffen sich ihren Verkehr selbst").

Auch eine Gesellschaft, die diesbezüglich anders verfährt, also Mobilität verringert und öffentlichen Angeboten einen dominierenden Platz zuweist, auch eine solche Gesellschaft wird Bedarf haben nach guten Kraftfahrzeugen, die als Taxi, als Rettungs- oder Feuerwehrwagen u. ä. schnell, zuverlässig und sicher ihren Dienst tun. Nicht das Auto ist das Problem, sondern der Stellenwert, der ihm quantitativ und kulturell8 zukommt.

Eine gesellschaftliche Verschwendung von Ressourcen findet auch im Flugverkehr statt. Die Steuerbefreiung von Kerosin war bei ihrer Einführung vor fünfzig Jahren als Förderung des in den Anfängen steckenden massenhaften Luftverkehrs gedacht. Heute ermöglicht diese Steuerbefreiung den Fluggesellschaften, ihre Kunden "zum Taxipreis zwischen den europäischen Metropolen zu befördern. Auf der Strecke bleiben dabei nicht nur die konkurrierenden steuerzahlenden Bahnen, sondern auch das Klima, das ganz extrem unter dem boomenden Luftverkehr zu leiden hat. Die Emissionen des Luftverkehrs sind für das Klima mehr als dreimal so gefährlich wie die Emissionen durch Industrie und Autoverkehr".9

Speziell die innerdeutschen Flüge lassen sich fast ausnahmslos durch schnelle Bahnverbindungen ersetzen. Der Ausbau von schnellen Bahnstrecken vermag den Luftverkehr zwischen diesen Orten zu reduzieren oder zu ersetzen - siehe die Erfahrungen mit der Verlagerung des Verkehrs nach dem Ausbau von Hochgeschwindigkeitsstrecken zwischen Berlin und Hamburg, Köln und Frankfurt, Brüssel und Paris oder Brüssel und London. Eine Bürgerinitiative gegen den Ausbau eines Flughafens weist, die Irrationalität des Flugverkehrs plastisch verdeutlichend, darauf hin, dass "mit dem Treibstoff eines einzigen innerdeutschen 500 km-Kurzstreckenfluges die gleiche Anzahl Passagiere in modernen VW-Autos von Hamburg bis nach Zentralafrika fahren könnte".

Zu viele Energien, die in Ausschmückungen des Mikrokosmos gesteckt werden

Eine fünfte Variante problematischer Arbeitsinhalte resultiert aus den problematischen Effekten des Besitzindividualismus. Die Bürger versuchen, den gesellschaftlich verursachten Verunstaltungen ihrer Lebenswelt gegenzusteuern. Und tun dies in der einzigen Form, die ihnen unter gegebenen Verhältnissen nahe liegt: Als individuelle Verbraucher sind sie damit (über)beschäftigt, ihren jeweils eigenen Mikrokosmos - soweit möglich - herzustellen, auszugestalten und zu erhalten.

Er umfasst "die Wohnung mit 'allem Komfort' (d.h. ein von äußeren Dienstleistungen unabhängiges, abgeschlossenes Universum), in der man sich (dank Fernsehen) die Welt als Schauspiel gönnt, die man am Lenkrad eines Privatwagens verlässt, um die 'Natur ohne Menschen' zu genießen. Man ist wütend über den Staat, der nicht genug Autobahnen baut, um diese Flucht zu erleichtern; aber man ist nicht wütend über die Profitwirtschaft, die diese Flucht sozusagen erzwingt".10

Pierre Bourdieu11 analysiert das Eigenheim als "Ort kollektiven Egoismus", als "Symbol für die Existenz und die - von Scheidungs- und ähnlichen Fällen nicht berührte - Fortdauer der Familie über die Generationen hinweg" und als Produkt seiner Anpreisung durch Bauspar- und Baukreditsysteme ('Eigenheim statt Miete'). Eine Folge der Liebe zum Eigenheim ist das Ausufern der Städte ins Umland und die Vergrößerung des Verkehrsaufkommens durch Erhöhung der Pendlerzahl. Das Resultat: "Siedlungsbrei mit parzellierten, unförmigen Agglomerationen, der durch die Zersiedelung ökologisch direkt als Flächen- und Landschaftsverbrauch wirkte";12 Verödung und Friedhofsruhe der Innenstädte nach Ladenschluss, "Intimitätskult einer Gesellschaft in vorstädtischen Refugien".13

"Die Reihenhausvororte sind Negationen der Stadt, sie bieten jeder Familie den Schein einer nicht-kollektiven, fast ländlichen Lösung des Wohnungsproblems."14 Die ökologischen Folgen sind beträchtlich: Die jeweils individuell besitzbaren Waren stellen eine ungeheure Verschwendung von Energie und Rohstoffen so­wie ein Übermaß an Abfall im Vergleich zu kollektiv nutzbaren Gütern dar. Das im Privatbesitz befindliche Auto ist am Tag vielleicht eine Stunde im Gebrauch, fungiert also eher als Steh- denn als Fahrzeug. Private Ange­bo­te wer­den verkaufbar, wo gesellschaftliche Pro­blembearbeitung strukturell versperrt bleibt. Mit der Produktion von Autos lassen sich mehr Profite erzielen als mit dem Betrieb der Bahn.