Despot von Gottes Gnaden
Seite 3: Ein-Tropfen-Regel
Wie oberflächlich das alles ist zeigt sich schon an der Biographie des ersten schwarzen Präsidenten im Weißen Haus. Gewohnheitsmäßig unterschlagen wird Obamas weiße Mutter. In den Vereinigten Staaten hängt man noch immer sehr an der alten Regel, dass ein Mensch mit einem Tropfen "schwarzen Blutes" (einem schwarzafrikanischen Vorfahren irgendwo in der Ahnenreihe) als schwarz zu gelten habe. Die "One-Drop Rule" ist Teil eines Glaubens- und Argumentationssystems, mit dem ursprünglich die Sklaverei und nach deren Abschaffung die Rassentrennung gerechtfertigt wurden.
Zementiert wird damit eine rassistisch grundierte Hierarchie, weil es eine Tendenz gibt, Kinder mit - wie im Fall von Obama - einem schwarzen Vater und einer weißen Mutter nicht zu gleichen Teilen als beiden Elterngruppen zugehörig zu betrachten, sondern sie stärker oder ausschließlich der jeweiligen Minderheit zuzurechnen. Biracials, die das für sich nicht akzeptieren wollen, müssen sich outen und von der "Ein-Tropfen-Regel" distanzieren. Ob man es will oder nicht: Die Vermischung der ethnischen Gruppen ist Teil der amerikanischen Identität und viel älter als die Vereinigten Staaten.
Das erste Gesetz, mit dem man versuchte, das Problem in Virginia mit der "One-Drop-Rule" in den Griff zu kriegen (zu Lasten der biracials), ist von 1682. Anders war es im von den Spaniern beherrschten Puerto Rico des 19. Jahrhunderts. Auch da gab es Rassismus, aber Menschen galten vor dem Gesetz als Weiße, wenn sie nachweisen konnten, dass in den vergangenen vier Generationen jeweils mindestens einer ihrer Vorfahren den gesetzlichen Status eines Weißen gehabt hatte. Barack Obamas Vorfahren mütterlicherseits sind überwiegend Engländer, und auch Deutsche, Schweizer, Iren, Schotten und Waliser sind mit dabei. Nach der puertoricanischen Regla del Sacar wäre er also nicht der erste schwarze, sondern der 44. weiße Präsident der USA.
In der Geschichte der Vereinigten Staaten gab es schon Gerichtsentscheidungen, denen zufolge ein Mensch "schwarz" war und nicht "weiß", wenn er zu einem Achtel, einem Sechzehntel oder einem Zweiunddreißigstel schwarze Vorfahren hatte. Noch 1985 befand ein Gericht in Louisiana, dass sich eine Frau in ihrem Pass nicht als Weiße identifizieren dürfe, weil sie eine schwarze Ur-Ur-Ur-Urgroßmutter hatte. Wie viel einfacher ist es da, wenn man die Tropfenregel hat. Eine kuriose Umdrehung war zu beobachten, als Michelle Obama beim Nominierungsparteitag der Demokraten darüber sprach, dass sie jeden Morgen in einem Haus aufwache, das von Sklaven erbaut worden sei.
Die First Lady wirkte mehr kämpferisch als glücklich, als sie über ihren Wohnsitz und den "Stachel der Rassentrennung" sprach. Ich bin weder schwarz noch eine Frau noch habe ich jemals im Weißen Haus übernachtet, könnte mir aber gut vorstellen, dass das für die Nachkommin von Sklaven nicht nur ein befriedigendes, sondern auch ein gruseliges Gefühl ist. Darum ging es nach dem Parteitag nur am Rande. Michelle Obama erntete Hasstiraden in den sogenannten sozialen Medien. Vorwürfe, sie sei eine dreiste Lügnerin und stachele selbst zum Rassenhass an, waren noch das Geringste.
Konservative Websites von weit rechts außen versuchten, postfaktisches Zeitalter hin oder her, nicht mit Gefühlen, sondern mit Tatsachen zu kontern. Laut Auskunft der White House Historical Association ist der Sachverhalt sehr einfach. Das Gelände für die Errichtung des Weißen Hauses wurde von den Sklavenhalterstaaten Virginia und Maryland zur Verfügung gestellt. Geplant war, das Gebäude von Arbeitern bauen zu lassen, die man in Europa anwerben wollte. Das klappte nicht. Also wurden mehrheitlich Afroamerikaner herangezogen, Sklaven wie auch Nicht-Sklaven. Hinzu kamen ortsansässige weiße Arbeiter und Handwerker sowie Einwanderer aus Europa wie Schotten und Iren.
Da setzten die Konservativen an. Auf ihren Websites habe ich "objektive Informationen" gefunden wie die, dass die US-Regierung allen Arbeitern einen fairen Lohn bezahlt habe (1 Dollar 25 Cent pro Tag, nach gängigen Umrechnungstabellen wären das heute 31 Dollar), auch den Sklaven, oder wenn nicht den Sklaven selbst, so doch ihren Besitzern (ist ja irgendwie dasselbe). Michelle Obama sei eine Multimillionärin und darum wahlweise eine Heuchlerin oder der lebende Beweis dafür, dass es in Amerika auch die Schwarzen zu etwas bringen können, wenn sie sich anstrengen. Und, last but not least, sei es eine Lüge zu behaupten, dass das Weiße Haus von Sklaven errichtet wurde, weil es auch Nicht-Sklaven im Bautrupp gab. Das muss die One-Drop Rule Reloaded sein.
Mit mehr als hundert Sachen in die Spiritualität
Um wie vieles überschaubarer, geordneter und deshalb schöner war doch die gute alte Zeit, als noch jeder wusste, wo er hingehörte und die Studios in Hollywood Filme über charakterlose (aber erfolgreiche) Business Tycoons, Mussolini und andere Diktatoren produzierten. Einer von ihnen, der Präsident in Gabriel Over the White House, lässt sich vom schwarzen Butler seinen "Annapolis-Mantel" reichen und würde auch nach der göttlichen Erleuchtung nicht im Traum daran denken, einen Schwarzen in sein Kabinett zu berufen oder ihm außerhalb des Herr-Diener-Verhältnisses gesellschaftlich zu begegnen.
Nach dem Spanisch-Amerikanischen Krieg von 1898 stimmte nicht nur die Hearst-Presse sinngemäß den Schlachtruf an: "Make America greater!". Die Marineakademie wurde stark ausgebaut. In den frühen 1930ern sorgte der institutionalisierte Rassismus in Annapolis für hässliche Schlagzeilen. Es gab gewalttätige Ausschreitungen und einen Aufschrei in der afroamerikanischen Presse, als versucht wurde, das schwarze Personal in den unteren Rängen durch Filipinos zu ersetzen, weil diese als fügsamer (und billiger) galten. Mag sein, dass das ein Grund dafür war, warum der Film seinen Präsidenten auf Dienstreise nach Annapolis schickt.
Was die Konstruktion des Drehbuchs angeht ist es einer von mehreren Hinweisen auf die Existenz der Kriegsschiffe, zu deren Verschrottung der vom Saulus zum Paulus gewandelte Jud Hammond die Europäer am Ende zwingen wird. Noch aber ist Hammond der verantwortungslose Spaßpräsident, der sich natürlich selbst ans Steuer setzt und Gas gibt, um die Motorradeskorte und die Begleitautos abzuhängen und auszuprobieren, wie schnell man mit der Limousine nach Annapolis fahren kann. Dann ist Schluss mit lustig. Zwischen 98 und 110 Meilen pro Stunde platzt ein Reifen.
Dr. Eastman, Hammonds Leibarzt, teilt der Öffentlichkeit mit, dass der Präsident bei einem Autounfall einen Schlag auf den Kopf erhalten habe und im Koma liege. Die zugezogenen Experten geben Hammond nur noch wenige Stunden. Dann kündigen ein Lichtwechsel, Fanfaren und Trompeten auf der Tonspur und ein flatternder Vorhang die Ankunft des Engels an. Statt zu sterben wacht Hammond aus dem Koma auf. Das ist nun das Spirituelle, das Will Hays von den Filmemachern verlangte, um den Marsch in die Diktatur mit ein paar christlich-religiösen Girlanden auszuschmücken.
Rehabilitation Amerikas
Der neue Jud Hammond zieht sich mehrere Wochen lang zurück, um sich durch Zeitungslektüre mit der Lage im Land vertraut zu machen (der alte hatte keine Ahnung). Pendie muss so lange warten, bis sie ihn zum ersten Mal seit der Wiederbelebung sehen darf. Der Präsident sitzt in Denkerpose in einem Polstersessel. Die Einstellung ist der von Daniel Chester French geschaffenen Statue im Lincoln Memorial in Washington nachempfunden. 1939, als er den Höhepunkt seiner populistischen Phase erreicht hatte, nahm sich Frank Capra daran ein Beispiel.
In Capras Mr. Smith Goes to Washington geht James Stewart zum Lincoln Memorial, um sich seiner selbst und der amerikanischen Werte zu versichern und sodann den Kampf gegen das korrupte Politsystem aufzunehmen. In Gabriel Over the White House ist vom Lincoln-Moment an Schluss mit allen unmoralischen Verhältnissen. Der aus dem Koma erwachte Präsident weiß nicht mehr, dass Pendie seine Geliebte war, behandelt sie fortan als seine Sekretärin, verlangt Fakten und die vorurteilsfreie Wahrheit über John Bronson und die Armee der Arbeitslosen. (Allerdings steht auf dem Bücherregal noch das Photo des Skandal-Präsidenten Warren G. Harding, dem das Lincoln Memorial 1922 feierlich übergeben wurde.)
Wie schon erwähnt wurde der Marsch der Obdachlosen auf Vorschlag Roosevelts von Washington nach Baltimore umgeleitet. Nach Bronsons Ermordung fährt Präsident Hammond dorthin und begibt sich mutig in das Camp der Entrechteten, um "dem Märtyrer John Bronson Tribut zu zollen, der sein Leben hingab in dem Bemühen, das dumme und faule Volk der Vereinigten Staaten aufzurütteln und die Regierung zu zwingen, etwas zu unternehmen, bevor alle langsam verhungern". Das ist O-Ton William Randolph Hearst, der die Leute, als deren Volkstribun er sich gerierte, gern auch mal beschimpfte, weil sie so dumm und so träge waren.
Das Volk (alle weiß, keine Schwarzen mit dabei) verlangt jetzt Arbeit, keine Almosen. Der Präsident nimmt Aufstellung vor dem Sockel eines Standbilds, hebt den Zeigefinger und unterbreitet seinen Vorschlag. Er wolle, sagt er, aus der Armee der Arbeitslosen eine Armee des Aufbaus machen. Jeder Mann (außer Bronsons Tochter gibt es im Volk auch keine Frauen) solle vom Staat untergebracht, gekleidet und ernährt werden wie im Weltkrieg die Armee, den Sold eines Soldaten erhalten, wieder seinem erlernten Beruf nachgehen, Straßen und Staudämme bauen.
Sobald die Ökonomie durch das staatliche Investitionsprogramm ausreichend stimuliert sei, sagt Hammond, soll die Aufbauarmee in die Privatwirtschaft entlassen werden, die dann wieder brummt. Das Volk bejubelt Hammonds "Plan für die Rehabilitation Amerikas". Walter Wanger hielt sich danach zugute, dass der Film vieles von dem vorweggenommen habe, was dann in der ersten Amtszeit Roosevelts geschah. Hammonds "New Order" hat in der Tat einiges mit dem "New Deal" gemeinsam.
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