Despot von Gottes Gnaden
Seite 6: Das Timbre eines Filmstars
Im Gegensatz zu Hoover wusste Roosevelt, dass sein eigentliches Publikum nicht direkt vor ihm saß, sondern im Kino oder zuhause am Radio. Aus seiner Präsidentschaft stammt die alte Weisheit, dass gegen die Massenmedien niemand ins Weiße Haus einziehen (oder dort bleiben) kann. Erst Donald Trump hat sie außer Kraft gesetzt, und doch auch wieder nicht, weil er und seine Berater viel besser als Hillary Clinton und ihr Team verstanden haben, dass es ein neues Medium gibt, das man bespielen muss, um Erfolg zu haben (im Vergleich zu den Internetauftritten der Rechtspopulisten sehen die Etablierten durch die Bank sehr alt aus).
Trump galt als chancenlos, weil sein Wahlkampfbudget nicht einmal halb so groß war wie das von Hillary Clinton. Doch in der Schlussphase investierte sein Team mehr als ein Viertel des Geldes in soziale Medien. Bei Clinton waren es mickrige vier Prozent. Über die Tweets, die Trump von früh bis spät verschickt, kann man leicht die Nase rümpfen. Doch der Kurznachrichtendienst, der keiner ist, ermöglicht ihm den direkten Zugang zu seinen Followern (auch wenn diese heute eher selten am Kamin sitzen), und den Followern wird suggeriert, dass sie den direkten Draht zu ihrem Helden haben.
Wer nach dem Kraut sucht, das in den nächsten Jahren gegen Trump wachsen könnte, sollte vielleicht mit einem Vergleich der Tweets Hillary Clintons mit denen von "The Donald" beginnen. Meinem subjektiven Eindruck nach würde dabei herauskommen, dass Clinton in 140 korrekt verbundenen Zeichen zur steifen Kandidatin wird, die mit dem Medium fremdelt (und daher unglaubwürdig wirkt), über das sie Wähler erreichen will. Bei Trump dagegen werden sogar die von Tweet zu Tweet auftretenden Widersprüche und die Tippfehler (oder die Rechtschreibschwäche?) zu Stärken, weil sie die Illusion von Spontaneität und Authentizität nähren, die von den Social Media gefordert und belohnt wird.
Entscheidend ist zunächst die dem Medium gemäße Form der Präsentation. Danach kann man sich über Inhalte Gedanken machen. Roosevelt hätte das bestimmt genauso instinktiv verstanden wie Donald Trump. Von FDR hätten Clinton und ihr Team viel lernen können. Er instrumentalisierte das Radio und die Kinowochenschau nicht für sich und seine Politik, weil es Radio und Kino, sondern weil es die damals modernsten und fortschrittlichsten Medien waren. Damit, und weil seine symbolkräftigen Auftritte in Bild und Ton perfekt zu seinem Image als Aktivisten-Präsident passten, war er den Rivalen in der eigenen Partei und den von den Republikanern aufgestellten Gegenkandidaten immer einen Schritt voraus.
Thomas Doherty zitiert in seinem Buch Pre-Code Hollywood die Schauspielerin Miriam Howell, die eine der ersten Radioansprachen Roosevelts hörte und danach dem Hollywood Reporter (12.5.1933) erzählte, das Timbre in der Stimme des Präsidenten habe "fast so gut wie Walter Huston" geklungen. Das war ein Schlüssel zum Erfolg. Roosevelts Politik soll hier keineswegs zur Nebensächlichkeit erklärt werden. Doch als Medienpräsident kam er auch deshalb so gut an, weil er klang wie ein Film- und Radiostar und in der Wochenschau - trotz Behinderung - permanent durchs Bild fuhr wie ein Actionheld.
Direkte Diktatur
Der echte Walter Huston, als Jud Hammond in Gabriel Over the White House, beginnt seine präsidentielle Laufbahn als Mischung aus Warren G. Harding und Herbert Hoover. Bei der ersten Pressekonferenz imitiert (und persifliert) er Hardings "Good old boy"-Stil, und dazu sagt er abgestandene Sprüche aus dem Parteiprogramm oder dem Handbuch für politische Sprechblasen auf wie Hoover, für den es nichts Schlimmeres gab, als direkt auf Fragen der Reporter antworten zu müssen. Konsequenterweise kündigt Sekretär Beekman an, dass der Präsident von nun an nicht mehr direkt zitiert werden dürfe und nur noch Fragen beantworten werde, die 24 Stunden davor eingereicht wurden.
Dann steigt der Erzengel Gabriel zu Hammond herab, oder der Präsident hat eine spirituelle Begegnung mit Lincoln, je nachdem (Walter Huston hatte 1930 die Titelrolle in Abraham Lincoln von D. W. Griffith gespielt und mit seiner Leistung stark beeindruckt). Von da an ist alles anders. Der neue Präsident beantwortet Fragen direkt und ohne Ausflüchte, will zitiert werden, begeistert die Reporter durch den neuen Stil und wird von diesen dafür gelobt, dass er klar und geradeheraus sagt, was Sache ist. Es dauert dann aber nicht mehr lange, und die Reporter sind verschwunden, weil man die ersten Mikrophone sieht.
Gemäß der populistischen Maxime, dass vermittelnde Instanzen zwischen den Regierten und der Regierung (dem starken Mann als Heilsbringer) den Volkswillen verfälschen und daher schädlich sind, löst Hammond den Kongress auf und wendet sich dann, in der nächsten Szene, zum ersten Mal per Radioansprache direkt an sein Volk, womit die Presse genauso überflüssig wird wie vorher die Politiker (es sei denn, zwischen den Journalisten und Hammond besteht eine distanzlose Kumpanei wie vor der Schuldenkonferenz).
Die überwältigende Unterstützung durch das Volk, sagt der Präsident den Mikrophonen, ermögliche es ihm, noch schneller voranzuschreiten als erhofft. Zugegeben, das Problem der Massenarbeitslosigkeit sei noch nicht ganz gelöst. Wenn die Landsleute aber wüssten, gegen welch gewaltige Widerstände er zu kämpfen habe, welche Verschwendung von Steuergeldern das alte System betrieben habe und in welch beklagenswertem Zustand er das Land übernommen habe, dann, da sei er sich ganz sicher, würden die Landsleute auch alle anderen Maßnahmen gutheißen, die er nun im Namen und zum Wohl des Volkes einzuleiten gedenke.
Indem er die Mikrophone nicht meidet, sondern sucht, vermittelt Hammond dem Wahlvolk an den Radiogeräten das Gefühl, dass hier nicht über die Köpfe der Bürger hinweg regiert wird, sondern dass die Bürger Teil der Politik sind, die der Präsident da für sie macht. Da ihm das Volk ohnehin zustimmen würde muss auch nicht lange eruiert werden, ob dem wirklich so ist. Das würde wieder nur Zeit in Anspruch nehmen, die man nicht hat. Jetzt muss gehandelt werden, und zwar sofort.
Der Präsident verspricht ein ganzes Bündel von Gesetzen, die den amerikanischen Arbeiter wieder in Lohn und Brot bringen sollen, ihm sein Haus erhalten, wenn er die Hypothekenzinsen nicht zahlen kann und bei einer Bankenpleite die Spareinlagen. Die Verabschiedung der Gesetze ist beschlossene Sache, weil sie nicht mehr durch den Kongress müssen.
Ermüdende Spontaneität
Beek und Pendie sitzen mit dabei und hören ergriffen zu, als würden sie der göttlichen Offenbarung lauschen (was sie irgendwie auch tun, da Gott durch den Präsidenten spricht, der vielleicht den Menschen, nicht aber die Demokratie erschaffen hat). Pendie ist jetzt nicht mehr die Geliebte, sondern die Privatsekretärin des Präsidenten. Sie stenographiert mit, was er zu sagen hat, und manchmal ist sie überrascht. Wenn es im Film schon Fernsehgeräte gäbe wie im Roman müsste man das zum Teil der Übertragung machen, weil es per Bild belegt, dass der Präsident sein Volk tatsächlich direkt anspricht, ehrlich und spontan, statt von einem vorbereiteten Manuskript abzulesen.
Notfalls könnte man es so inszenieren, falls er doch vorgestanzte Phrasen aufsagen sollte, oder Tiraden von William Randolph Hearst. Als Zuschauer darf man sich glücklich schätzen, dass LaCava einen Schauspieler vom Format Walter Hustons zur Verfügung hatte, als er die Reden des Präsidenten inszenieren musste. Huston gelingt es, einen auch dann noch zu fesseln, wenn man schon nicht mehr zuhören will. Mitunter ist das sogar sehr spannend. Hin und wieder wirkt der Diktator wie ein Sprechautomat. Ist das automatisches Sprechen unter göttlichem Einfluss oder Hustons Form des Widerstands?
Mag sein, dass der Film insofern zur Entwicklung von Roosevelts vorher genau ausgetüftelten Kaminplaudereien im Radio beitrug, als er ihn zur Lektüre von Tweeds Roman angeregt haben könnte. Da ist nachzulesen, wie Präsident Rinehard seine Rundfunkansprachen so gestaltet, dass sie nicht zu belehrend wirken und so, als würden sie in einem intimen Rahmen stattfinden, wodurch sich die Zuhörer direkt angesprochen fühlen. Der Film hingegen liefert das Anschauungsmaterial dazu, wie man es nicht machen sollte.
Wenn Jud Hammond das Wort an sein Volk richtet ist es meistens so, wie sich der verhinderte US-Präsident William Randolph Hearst das wohl vorstellte: über die (imaginären) Köpfe der Leute hinweg und in Form von Leitartikeln, wie sie aus der Hearst-Presse sattsam bekannt waren. Dem Drehbuchautor Carey Wilson zufolge schrieb der Zeitungszar die Reden höchstpersönlich. Besonders bei der Schuldenkonferenz, wenn live im Radio übertragen wird, wie Hammond die ausländischen Diplomaten schulmeistert, wirkt das sehr ermüdend. Nur gut, dass es die Gangster gibt. Das lockert die Sache wieder auf.
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