Despot von Gottes Gnaden
Seite 5: Silent Terror
Wangers größtes Problem war die Forderung von Hays, dass Hammond zwar Diktator werden dürfe, dies aber nur nach Bevollmächtigung durch den Kongress. Es so zu machen wie im Roman war keine Option. Da gibt es eine Figur namens Oscar Kuhl, die durch den Propagandafilm über den Tod von John Bronson dazu inspiriert wird, eine landesweite Organisation der Arbeitslosen zu gründen, die National Unemployed Citizens’ League. Die Liga der arbeitslosen Bürger wird dann zur Hilfstruppe des Präsidenten. Sie prügeln nicht wie die SA in Deutschland, sondern üben etwas aus, das als "passiver Terrorismus" bekannt wird.
Der passive Terrorismus ist das Äquivalent zum Cyber-Mobbing. Kuhls Männer bilden kleine bewaffnete Gruppen. Jeder Mann trägt eine weiße Armbinde. Das ist das Zeichen für die Polizei, dass sie nicht eingreifen soll. So will es der Präsident. Die Gruppen wechseln sich ab und bewachen rund um die Uhr die Wohnsitze der Senatoren und Mitglieder des Repräsentantenhauses, folgen ihnen, wenn sie das Haus verlassen und so weiter. Das staatlich geduldete Stalking entnervt die Opfer so sehr, dass eine Mehrheit dem Verlangen des Präsidenten zustimmt, den Kongress aufzulösen.
In einem Film, in dem Gott der Inspirator des Präsidenten ist, konnte Wanger mit solchen Nazimethoden nicht operieren. Sonst fiel ihm auch nichts ein, was den rebellischen Kongress, dessen Sprecher den Präsidenten als Diktator und Verräter an der Demokratie beschimpft, dazu hätte bringen können, die Alleinherrschaft per Abstimmung zu legitimieren. Also entschied er sich dafür, einfach zu behaupten, was er durch einen in sich schlüssigen Handlungsablauf wie den in Tweeds Roman, wo durch den "Silent Terror" die Diktatur installiert wird, nicht herbeiführen konnte.
Das geht so: Wenn Sie mir die vier Milliarden nicht bewilligen wollen, sagt der Präsident, dann erklären Sie bitte den nationalen Notstand und vertagen Sie sich auf unbestimmte Zeit, bis ich den Normalzustand wiederhergestellt habe. Ich regiere dann allein und übernehme die volle Verantwortung. Nein, antwortet der Kongress in der Person von Senator Langham, eine Diktatur wollen wir nicht. Gut, sagt Hammond, als Präsident bin ich der Oberkommandierende der Armee und der Marine, und hiermit löse ich das Parlament auf.
Große Empörung im Plenum. Der Präsident hat gesagt, was zu sagen war und geht zurück ins Weiße Haus. Die Kongressabgeordneten schauen ihm verdattert hinterher. Am nächsten Tag steht in der Zeitung, dass sie mit überwältigender Mehrheit beschlossen haben, sich bis auf weiteres zu vertagen. Hays war damit offenbar zufrieden. So kam es in die Kinos.
Plaudereien am Kamin
Der Populismus verspricht, dass alles gut wird, wenn der Bürger den direkten Draht zur Regierung hat. Vermittelnde Instanzen verfälschen und entstellen nur in diesem Heilsmodell. Darum haben Populisten zwei beliebte Feindbilder, die sie gern in einem Atemzug nennen: die Berufspolitiker mit ihren Parteiapparaten und die professionellen Journalisten, die "Lügenpresse". Politiker, Parteien und parlamentarische Verfahren spielen in Gabriel Over the White House keine Rolle mehr, nachdem der Präsident sein Kabinett gefeuert und den Kongress aufgelöst hat. Bleibt die Presse.
In Tweeds Roman hat der Präsident die Zeitungen gegen sich. Diese können ihm jedoch nichts anhaben, weil er moderne Propagandamethoden nutzt. Peale Lindsey, der zum Minister für Volksinformation ernannte Studioboss aus Hollywood, kontrolliert die Kinoleinwände und die Radiostationen. Das Radio wurde Ende der 1920er zum Massenmedium. Im Roman kommt noch das Fernsehen dazu. Lindsey kauft die Exklusivrechte an der neuen Erfindung. Auf öffentlichen Plätzen und in Parks werden Monitore aufgestellt, damit das Volk die Botschaften des Präsidenten hören kann. Binnen kurzer Zeit besitzen zwei Drittel aller Haushalte ein Fernsehgerät.
Der Erzähler, Hartley Beekman, beobachtet erst verwundert, was da vor sich geht. Für ihn ist das Ganze viel Lärm um nichts. Aber dann "kommt sie wie ein Blitz aus heiterem Himmel, die Ankündigung, dass der Präsident das Wort an das Volk der Vereinigten Staaten richten werde, nicht durch das Medium eines Parteitags oder auf dem Weg über eine Rede vor dem Kongress, sondern durch das einfache Mittel des Radios". In den "Bedtime Stories", die nun regelmäßig ausgestrahlt werden, erweist sich Präsident Rinehard als großer Charismatiker, der in leicht verständlichen Worten über die Lage der Nation spricht.
In den "Gutenachtgeschichten" erklärt der Präsident seine Politik und greift das bestehende politische System an, um das amerikanische Volk auf die Diktatur einzustimmen, die er sehr geschickt als die Lösung aller Probleme verkauft. Wer ein TV-Gerät besitzt kann ihn nicht nur hören, sondern sehen. Das ist umso wirkungsvoller, weil Rinehard im Gegensatz zu anderen Politikern weiß, wie man sich präsentieren sollte, wenn man in ein Mikrophon spricht und von Kameras gefilmt wird, welche Stimmlage, welche Geste und welches Mienenspiel am besten zu dem technischen Medium passt, das es einem ermöglicht, ein Publikum direkt anzusprechen, das zuhause in den Wohnstuben sitzt.
Der anfangs skeptische Beekman muss eingestehen, dass er sich geirrt hat: "Es war eine erstaunliche Vorstellung. […] Am Ende seiner ersten Ansprache hatte er die Phantasie der Leute komplett erobert; am Ende der Woche war er ein Volksheld, definitiv und unwiderruflich der Führer der nationalen Wiedergeburt, vergleichbar nur mit Lincoln und Washington, mit einem Vorteil, den sie nie gehabt hatten, nämlich dem direkten Zugang zu ihren Heimen und ihren Herzen." Bei Roosevelt, dem man einen Hang zum Populismus und ein demagogisches Talent schwer absprechen kann, hießen die Gutenachtgeschichten "Fireside Chats".
Die "Kaminplaudereien" waren insgesamt 30 Radioansprachen, die FDR zwischen März 1933 und Juni 1944 hielt. Die Idee dahinter war, dass der Präsident seinen Landsleuten in zwangloser Atmosphäre und in einfachen Worten die Lage erklärte und wie er darauf zu reagieren gedenke. Was möglichst informell und spontan wirken sollte folgte einem genau durchdachten und sorgfältig strukturierten Redemanuskript. "Die Entwicklung des Lautsprechers bei Parteitagen und öffentlichen Versammlungen hatte die Menge daran gewöhnt, Reden in schallenden, metallischen Tönen zu hören", kommentiert der Beekman des Romans, "bar jeden menschlichen Interesses und jeder persönlichen Intimität. Jetzt saßen die Leute an ihrem eigenen Kamin und lauschten der Redekunst in ihrer besten Form."
Der Barrymore von Washington
Franklin D. Roosevelt war auch deshalb ein Held der audiovisuellen Medien, weil er das Gegenprogramm zu seinem Vorgänger Herbert Hoover bot. Hoover war den Medienleuten ein Graus, weil er wortkarg war, linkisch und wenig photogen. Er war kein guter Redner, senkte im Beisein von Kameras meist den Blick, erstarrte oder verhaspelte sich. In Fachblättern wie Variety wurden unvorteilhafte Bilder aus der Wochenschau abgedruckt, um zu bemängeln, dass Hoover wieder einmal in einer schlecht inszenierten Einstellung zu sehen war und im Profil (natürlich nicht von seiner Schokoladenseite, falls er eine hatte), statt ins Publikum zu blicken. Er wusste einfach nicht, wie man es richtig macht und nahm auch keine Hilfe an.
Charles Peder, Kameramann bei Fox Movietone, beklagt sich in seinem Erinnerungsbuch Newsreel Man (1932), dass Hoover keine sechs Worte sagen konnte, ohne auf seine Notizen zu blicken. Versuche, ihn vor dem Mikrophon zu ein wenig Spontaneität zu verlocken, seien ausnahmslos gescheitert. Hoover habe vorbereitete Texte gesprochen (und das miserabel) oder gar nichts gesagt. Roosevelt dagegen wurde von den Reportern der Wochenschau geliebt. Wo Hoover mürrisch oder traurig dreingeblickt hatte zauberte sich FDR ein Dauerlächeln ins Gesicht.
Roosevelt beherrschte das Spiel mit der Kamera, war ein begnadeter Selbstdarsteller, gab bereitwillig Auskunft und war immer für einen Scherz zu haben. Für Leute, deren Beruf es ist, Bilder zu liefern, die das Publikum sehen will, war er nach den grimmigen Hoover-Jahren eine Erlösung. Sie dankten es ihm mit schmeichelhaften Kamerawinkeln und O-Tönen sowie der unausgesprochenen Vereinbarung, die Folgen der Kinderlähmung, an der er 1921 erkrankt war, bestmöglich auszublenden. Nach vier Jahren mit Herbert Hoover, der immer steif in der Gegend herumgestanden hatte, war das Bedürfnis groß, einen vitalen, zupackenden und dynamischen Präsidenten zu haben (und dem Publikum zu präsentieren) und keinen hilfebedürftigen und in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkten Mann, der einem gelähmten Land vorstand. Diese Symbolik wollte keiner.
Mit FDR zog erstmals ein Filmfan ins Weiße Haus ein. Abends lud der Präsident Freunde und Verwandte zur Vorführung neuer Spielfilme ein. Seit er eine Person des öffentlichen Lebens war sammelte er alle Wochenschauaufnahmen, die es von ihm gab. Da war sicher Eitelkeit mit dabei. Wichtig aber war ihm vor allem, sein Auftreten zu verbessern und sein naturgegebenes Charisma zu perfektionieren. Roosevelt hatte das, was man Leinwandpräsenz nennt. Dynamik ging über alles andere.
In alten Newsreels sieht man keinen Präsidenten, der nach einer nie ganz überwundenen Kinderlähmung im Rollstuhl sitzt, sondern einen, der immer in Bewegung ist. Dauernd fährt er im Auto an einem vorbei, winkt einem aus fahrenden Zügen zu, kommt gerade irgendwo an, bricht gerade auf, um ein Problem in Angriff zu nehmen oder besucht eine Sportveranstaltung. Seine körperliche Behinderung war nicht wirklich ein Geheimnis. Wurde sie ausnahmsweise thematisiert wurde sogar daraus eine Stärke. FDR war dann der Mann, der tapfer gegen ein Handicap ankämpfte und sich nicht unterkriegen ließ.
Roosevelts Antrittsrede am 4. März 1933, mit dem berühmten Satz "The only thing we have to fear is fear itself", hörten Millionen von Amerikanern im Radio. Hinterher sahen und hörten sie Millionen von Amerikanern im Kino, vor dem Spielfilm in der Wochenschau (das Fernsehen als Massenmedium wie in Tweeds Roman gab es noch nicht). Es war das erste Mal in der amerikanischen Geschichte, dass die Feierlichkeiten zur Vereidigung eines Präsidenten auf Tonfilm festgehalten wurden. Warren G. Harding war der erste Präsident, für den Filmstars Wahlkampf machten. FDR war der erste Präsident, der selbst ein Leinwandstar war (und ein Radiostar sowieso). Variety nannte ihn den "Barrymore von Washington".
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